# taz.de -- Klootschießen: Der ewige Feldkampf | |
> Auch ohne Kahlfrost fand gestern der Feldkampf im Klootschießen statt. | |
> Sechs Stunden rannten die Teilnehmer und sprangen über die Schanze, | |
> schossen den Kloot, tranken viel Köm und pflegten das schlechte | |
> Verhältnis zwischen Oldenburgern und Ostfriesen, die traditionell | |
> gegeneinander antreten. | |
Bild: Beeten hoo: Der Kloot muss während des Sprungs mit einer enormen Kreisbe… | |
Es ist noch nicht richtig hell an diesem Sonntagmorgen, da stehen auf dem | |
Bohlenberger Feld, ein paar Kilometer südlich von Wilhelmshaven, Gruppen | |
von Männern, und diskutieren: Kein Kahlfrost! Es regnet, und der Fuß, den | |
man aufs Bohlenberger Feld setzt, drückt das Wasser heraus und erzeugt ein | |
Geräusch wie gefräßiges Schmatzen. Man ist froh darüber, dass das hungrige | |
Feld allein von Wasser lebt und nicht von Zehen. | |
Die Männer, Oldenburger und Ostfriesen, besprechen die Lage, die der | |
ausbleibende Kahlfrost erzeugt hat. Sollen wir oder sollen wir nicht? Seit | |
Januar 2006, damals in Ardorf bei Oldenburg, hat kein Feldkampf | |
stattgefunden, die 40.000 Klootschießer, die im "Friesischen | |
Klootschießerverband" (FKV) organisiert sind, warten seitdem. "We mook | |
dat", lautet aber dann die Entscheidung. | |
Der Feldkampf braucht Kahlfrost, damit die Gräben zugefroren sind. Denn | |
beim Feldkampf rennt der Klootschießer mit dem Kloot, einer 475 Gramm | |
schweren und mit Blei ausgegossenen Holzkugel auf eine 140 Zentimeter lange | |
und 90 Zentimeter breite Schanze, und wirft von dort im Sprung. Und auch | |
die Taktik spielt eine Rolle: Wirft man bis zum Graben, oder versucht man | |
drüber zu kommen, mit der Gefahr selbst im Graben zu landen? Liegt der | |
Kloot nämlich vor dem Graben, kauern sich die Männer, die für die Schanze | |
zuständig sind, in den Graben und bauen die Schanze auf ihrem Rücken auf, | |
um ja keinen Zentimeter zu verschenken. Auf dem Bohlenberger Feld, einem | |
Segelflugplatz, gibt es keine Gräben, nur Maulwurfshügel. Bei Kahlfrost | |
"trüllert" der Kloot auch viel besser, er bleibt dann nicht im Schlamm | |
liegen, sondern hoppelt weiter. | |
Ursprünglich war der Kloot eine Waffe der Friesen, die sie auf Schiffe und | |
Gegner schleuderten. Im Jahr 1985 warf Hans-Georg Bohlken, der "Bär von | |
Ellens", das Sportgerät Kloot 105 Meter weit, seit Januar 2006 hält Stefan | |
Albarus mit 106,20 Metern den Rekord. Aufgestellt in Norden, Ostfriesland. | |
Bohlken und Albarus, der eine für Oldenburg, der andere für Ostfriesland, | |
waren auch bei diesem großen Feldkampf am Start. | |
Man muss wissen, dass das Verhältnis zwischen den Oldenburgern, die auch | |
Friesen sind, und den Ostfriesen so ist wie das Wetter. Getrübt. Das geht | |
auf Auseinandersetzungen im 16. Jahrhundert zurück und nicht eingehaltene | |
Eheversprechen zwischen dem ostfriesischen Grafensohn Enno und einer wie | |
vom Erdboden verschluckten Prinzessin Maria von Jever. Das führt dazu, dass | |
vor jedem Wurf beim Klootschießen die Trompeter Gerd Janssen (Aurich) und | |
Otto Menssen (Holtgast), "Heil Dir oh Oldenburg" und, nach der Melodie von | |
"Weißt Du, wie viel Sternlein stehen?", "In Ostfriesland ist am besten" | |
blasen. | |
So ein Feldkampf dauert an die sechs Stunden, denn er besteht aus vier | |
Durchgängen mit je sieben Werfern. Schanze und Kokosmatte, über die der | |
Werfer zur Schanze rennt, werden dort aufgebaut, wo der Kloot zum Liegen | |
gekommen ist. Zweimal laufen die Klootschießer trocken an, dann blasen die | |
Trompeter, dann rufen diejenigen, die dort stehen, wo der Kloot hinfliegen | |
soll, damit er möglichst weit trüllert, "her up an" (hierher), dann rennt | |
der Werfer los, springt drei, vier Meter vor der Schanze ab, lässt sich von | |
der Schanze in die Luft katapultieren, schleudert mit einer enormen | |
Kreisbewegung den Kloot aus der Hüfte. Der Kloot fliegt Richtung graue | |
Wolken. "Schön aus der Hand", rufen die Zuschauer, und: "Das warn Ding." | |
Dann senkt sich der Kloot gen Erde und die, die im Feld stehen, um dem | |
Schützen die Richtung anzugeben, müssen aufpassen, dass sie nicht getroffen | |
werden. Johann Hasselhorst, Vorsitzender des Landesverbands Oldenburg, | |
sagt: "Das ist ein höchst anspruchsvoller Hochleistungssport." Und dann | |
feuert er seinen Athleten Renko Altona an: "Jo, jo." | |
In den großen Tagen des Klootschießens kamen bis zu 12.000 Zuschauer zu den | |
Feldkämpfen. In den vergangenen Jahren, in denen die Oldenburger gewannen, | |
waren es wenigstens vier- bis fünftausend. Heute sind es nur ein paar | |
Hundert unter Kapuzen, Mützen, Kappen und Schirmen. Hier wird, auch vom | |
Ansager, Platt geschnackt. "He löpt noo", heißt, dass der Kloot noch | |
trüllert. Und "beeten hoo", heißt, dass die Flugkurve nicht stimmte. | |
"Eigentlich", sagt Hasselhorst, "sind wir Oldenburger beim Flüchten | |
besser." Also, wenn es darum geht, dass der Kloot möglichst weit geworfen | |
wird, und dann liegen bleibt, wie beim "Standkampf", und nicht noch lange | |
hoppelt. | |
Im Schubkarren der Ostfriesen, in dem Anlaufmatte und Handwerkszeug übers | |
Feld transportiert werden, ist auch eine Aktentasche, in der eine Flasche | |
Köm, Kümmel-Schnaps, steckt. Am Nachmittag ist es heller geworden, es | |
regnet aber weiterhin so, dass man mit der Erbsensuppe nicht im Freien | |
stehen kann. Doch trotz des Schietwetters sind Teilnehmer, Zuschauer, | |
Offizielle und Inoffizielle gut drauf, vor allem aber die Oldenburger, die | |
das Klootschießen mit 57 Metern Vorsprung gewonnen haben. Ihre Hymne klingt | |
allerdings inzwischen wie Miles Davis. Auch das ist der Köm. | |
4 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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