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# taz.de -- Kiss kommen zurück: Die Rockkapitalisten Satans
> Kiss, die Mutter aller Schminke- und Bravo-Poster-Bands, gibt es nun seit
> 35 Jahren. Jetzt kommen sie auf Deutschlandtournee. Was dürfen wir
> erwarten?
Bild: Erster Preis beim Schminkwettberwerb: KISS.
In den Siebzigern waren Kiss die ultimative Bravo-Posterband, ideal zum
Übertünchen der Kinderzimmertapete. Genau wie ihre Musik die ultimative
Schaumschlägerversion von Hardrock war. Eine perfekte Mischung aus
Glamrock-Travestie, vorsintflutlicher Punkhärte und Halloween-Horror. Kiss
verkörperten damals Teenager-Angst und Teenager-Lust.
Ihr Songtitel "Rock n Roll All Night and Party Every Day?" ist das, was zum
Lebensabschnitt Teenager rockt: "Pared-down urban-burlesque bootstrap
electrocution for teenagers who wanna (mostly male), about teenagers who
dont (mostly female)", so formulierte es der Kritiker Chuck Eddy einmal.
Der entscheidende Standortvorteil von Kiss war ihr Make-up, denn es war
cooler als das der Konkurrenz. Selbst das ärgste Pickelgesicht konnte so
Teil der Kiss-Idee werden. Und Mitglied des Fanclubs "Kiss-Army", der
immerhin einzigen Armee, die noch nie einen Schuss abgegeben hat.
Das - und eine gute Balance aus harten Riffs und poptauglichen
Ohrwurmrefrains - unterscheidet Kiss auch von humorlosen Hardrockbands wie
Black Sabbath.
Andererseits wurden Kiss von der "seriösen" Rockpresse seit jeher gehasst.
Und das, obwohl sie mit Lärmsongs wie "Detroit Rock City" die Fans von
Punk-Pionieren wie den Stooges direkt ansprachen.
Erst im Zuge von Grunge Anfang der Neunziger waren Kiss wieder neu zu
genießen. Denn nun konnte das Referenzgewusel, aus dem diese Comic-Version
der Blumen des Bösen bestand, endlich auch im Sinne subversiver
Mehrwertbeschaffungen gelesen werden. Wobei als Einsager neben den "Kiss
Army"-Mitgliedern The Melvins, auch Schminkebands wie Marylin Manson
fungierten.
Gene Simmons und Paul Stanley, die Kiss-Begründer, hatten einen Masterplan,
der über den musikalischen Aspekt ihres grell-bunten Popspektakels
hinausging. Fan-Devotionalien von "Kiss Your Face"-Make-up bis hin zu
Flipperautomaten, Kondomen und dem 2006 eröffneten Coffeeshop sind Produkte
einer Band, die sich als eigene Marke sieht. Bereits 1980 sollen Kiss mit
Fanartikeln über 100 Millionen US-Dollar umgesetzt haben. 1996 landeten sie
auf dem Cover des Magazins Forbes. 2002 belegten sie dort immerhin Platz 47
der "Celebrity 100".
Motor all dieser Aktivitäten ist Kiss-Sänger Gene Simmons. Wie aus der auf
der Internetseite der Band laufenden Reality-Soap "Gene Simmons: Family
Jewels" zu erfahren ist, betreibt Simmons mittlerweile auch
Autowaschanlagen.
Jedenfalls hat er im Gegensatz zum tragikomischen Ozzy Osbourne seine
Karriere unter eigener Kontrolle. Würde er dabei nicht einen
Mel-Brooks-artigen Humor zur Schau stellen, wäre der Bierverächter ("it
just looks like piss") nur ein weiterer unsympathischer Rockkapitalist.
Aber der Kerl ist immer für Überraschungen gut: Im Sommer erscheint sein
Sachbuch "Ladies Of The Night: A Historical And Personal Perspective Of The
Oldest Profession In The World", in dem Simmons unter anderem Diogenes ins
Rennen schickt, um für die Legalisierung der Prostitution einzutreten.
Sind Kiss also die geschäftstüchtige Antithese zur Rock-n-Roll-Kunst des
Scheiterns? Oder langweilige alte Showhasen?
Immerhin brachten sie den Zirkus näher an die Popmusik - mit allerlei
Pyrotechnik und variétehaften Grand-Gugniol-Späßchen wie Blut- und
Flammenspucken - zuerst sah man das bei Kiss-Konzerten.
Ironischerweise schafften Kiss ihren Durchbruch auch erst 1979 mit dem
Disco-Hardrock-Crossover "I Was Made For Lovin You". Das ist nicht nur die
meistverkaufte Single der Band, sie gehört auch zu den wenigen wirklich
gelungenen Flirts zwischen Disco und Rock.
Das Maskuline und seine Maskierung schwingen in ihren Songs immer mit.
Wobei Kiss eigentlich nur auf einen bestehenden Fundus zurückgreifen und
diesen ins Hyperreale aufblasen. Das Androgyne und das sexuell Uneindeutige
der Glam-Ära sind ihnen allerdings abhanden gekommen. Einzig Gitarrist Paul
Stanley, der sich immer noch über die Frage "Are you a boy or a girl?"
amüsiert, regt zu heftigen Internetdiskussionen zum Thema "Is Paul Stanley
Gay?" an.
Andererseits war das Flamboyante und Effeminierte im Glamrock ja auch
nichts anderes als die noch raffiniertere Methode, an Mädels ranzukommen.
Und genau das wollten Kiss ja auch. Sie fanden sich jedoch unattraktiver
als ihre großen Helden The New York Dolls, daher der Trick mit den
Vollgesichtsmasken.
Die gehören seit Kiss in Metal-Kreisen von Mötley Crüe bisDimmu Borgir zum
guten bösen Ton. Diverse Backmetalcombos glauben sogar, dass der Name Kiss
"Knights in Satans Service" bedeutet.
Bewiesen ist aber nur eines: Robbie Williams griff beim Video zu "Let Me
Entertain You" auf "Kiss Your Face"-Make-up zurück. Ergo ist die Maskerade
auch die logische Konsequenz der Idee Kiss. Denn die treten auf ihrer
aktuellen Tournee im Grunde als Impersonatoren ihrer selbst auf und spielen
hauptsächlich die Songs aus dem "Kiss Alive!"-Album plus einige Hits. Womit
sie den konzeptuellen Ansatz von Rufus Wainwright und dessen "Judy Garland
at Carnegie Hall"-Projekt auf kuriose Weise weiterführen.
Kiss live: 4. 6. Hamburg, 9. 6. Berlin, 10. 6. Mannheim, 11. 6. Oberhausen,
18. 6. Stuttgart, 27. 6. Nürnberg
4 Jun 2008
## AUTOREN
Didi Neidhart
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