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# taz.de -- Kinostart von "72 Stunden": Fluchthelfer im Selbststudium
> Ein alleinerziehender Vater will im neuen Film von Paul Haggis ("L. A.
> Crash") seine Frau aus dem Gefängnis befreien. Allzu glaubhaft ist das
> nicht – aber sehr unterhaltsam.
Bild: Superstar heruntergeschraubt auf Normalmaß: Russell Crowe als John Brenn…
In Paul Haggis' "72 Stunden – The Next Three Days" erfährt man, dass das
Erste, was man tun muss, um als absoluter Laie einen Gefängnisausbruch
durchzuführen, ist, den Verstand zu verlieren. Realistisch gesehen hat man
nämlich in etwa dieselben Chancen wie der berühmte Schneeball in der Hölle.
Da kommt nur weiter, wer wie Don Quijote bloß noch das Unrealistische für
wahr hält. John Brennan (Russell Crowe), Lehrer für Literatur, nimmt sich
diese Regel zu Herzen und macht sich ans Werk.
Brennan will seine Frau befreien. Die sitzt, seit ihre Chefin im Parkhaus
in ihrem eigenen Blut liegend aufgefunden wurde, als verurteilte Mörderin
im Gefängnis. Obwohl die Beweislast erdrückend ist, glaubt der Ehemann an
ihre Unschuld, und das umso stärker, je mehr alle anderen, zuletzt auch
noch der Rechtsanwalt, daran zweifeln. Als vor Gericht alle Mittel
ausgeschöpft sind, beschließt Brennan, mitsamt Sohn und Ehefrau zu
verschwinden.
"72 Stunden", ein Remake des französischen Thrillers "Pour Elle" von 2008,
ist, wie es sich für das Genre gehört, so straff gespannt wie ein Uhrwerk.
Kein Detail, das nicht irgendwann den Gang der Dinge beeinflussen würde.
Dabei nimmt sich der Film in seiner ersten Hälfte reichlich Zeit, die
Verhältnisse der Familie Brennan im Allgemeinen und das Dilemma des Helden
im Speziellen zu beschreiben.
Brennan ist ein im Drehbuchsinn gewöhnlicher, in Wirklichkeit viel zu
perfekter Ehemann, Vater, Lehrer und Mitmensch, den ein Schicksalsschlag zu
außergewöhnlichem Handeln zwingt. Sobald der Plot ins Rollen kommt, läuft
Brennan zu voller Form auf. Wobei der eigentliche Trick natürlich darin
liegt, einen Superstar wie Crowe erst einmal aufs Normalmaß des Jedermann
herunterzuschrauben.
Regisseur und Drehbuchautor Paul Haggis gilt als Spezialist für
anspruchsvolles Genrekino mit Autorentouch. Er hat lange genug fürs
Fernsehen gearbeitet, um genau zu wissen, wie man ein Mainstreampublikum
anspricht. Als Clint Eastwood sein Drehbuch zu "Million Dollar Baby"
verfilmte, wurde Haggis auch in Hollywood Tür und Tor geöffnet. "L. A.
Crash", Haggis' erste Regiearbeit, wurde sogleich oscarprämiert. Schon in
diesem Film lag die Kunst vor allem darin, völlig verschiedene Charaktere
und Handlungsstränge derart miteinander in Verbindung zu setzen, dass das
Unwahrscheinliche plausibel erscheint.
Auch "72 Stunden" lebt von dieser Spannung zwischen Wahnsinn und Methode.
Brennan geht methodisch vor, er holt sich Rat von einem ehemaligen
Ausbrecher, der seine Erfahrungen zu einem Bestseller verarbeitet hat,
wälzt Gefängnispläne in der Bibliothek und lässt sich von YouTube erklären,
wie man Schlösser knackt. Ein Fluchthelfer im Selbststudium. Nebenher muss
Brennan seinen Sohn erziehen und seinem Job als Lehrer nachgehen. Allzu
glaubhaft ist das nicht, aber sehr unterhaltsam.
20 Jan 2011
## AUTOREN
Dietmar Kammerer
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