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# taz.de -- „Kann ich nicht rausgebracht werden?“
> Der Neonazi Kay Diesner wurde zu lebenslanger Haft verurteilt. Der
> 25jährige tötete einen Polizisten und verletzte zwei weitere Opfer
> schwer. Bis zum Schluß des Verfahrens spielte Diesner den germanischen
> Kämpfer  ■ Aus Lübeck Annette Rogalla
Er will zeigen, wie unbeugsam er ist. Demonstrativ wendet er sich vom
Publikum ab und stiert in eine Zeitung. Nur das letzte Wort vor der
Urteilsverkündung läßt er sich nicht nehmen. Das schreit er förmlich in den
Gerichtssaal: „Herr Möller ist fehl an seinem Platze, er trifft
selbstherrliche Entscheidungen! Ich erlaube mir, irgendwann eine
Strafanzeige zu stellen, wegen Amtsmißbrauchs, Rechtsbeugung und
Beleidigung.“ Der Staatsanwalt quittiert es mit einem lapidaren „danke“.
Darüber, daß seine Taten ihm leid tun, redet Kay Diesner nicht. Er hält
stereotyp an dem Bild fest: Er ist der Krieger aus dem braunen Untergrund,
dem kann ein Gericht nichts anhaben. Ungerührt guckt er in die Zeitung, als
der Vorsitzende Richter der 1. Großen Strafkammer, Fritz Vilmar, das Urteil
verkündet: „lebenslänglich“, mit besonderer Schwere der Schuld. 15 Jahre
muß er mindestens sitzen, so das Urteil. Erst dann kann eine vorzeitige
Haftentlassung geprüft werden.
Am Mittwoch, dem 19. Februar, war Kay Diesner mit einem Schrotgewehr in das
PDS-Haus von Berlin-Marzahn gestürmt und hatte den Buchhändler Klaus
Baltruschat niedergeschossen. Das Gericht glaubt, er habe sich für die
„Niederlage“ rächen wollen, die rechte Jugendliche am 15. Februar bei einer
Straßenschlacht mit Berliner Autonomen hatten hinnehmen müssen. Nach diesem
Attentat floh er mit seinem Wagen zunächst Richtung Hamburg. Auf dem
Rückweg nach Berlin wurde er von einer Polizeistreife kontrolliert. Diesner
eröffnete das Feuer und erschoß den Polizisten Stefan Grage. Dessen
Kollegen Stefan K. verletzte er schwer. Eine ganze Armada von Streifenwagen
verfolgte Diesner über die Dörfer von Schleswig-Holstein. Immer wieder kam
es zu Schußwechseln. Am Ende stehen ein Mord und drei versuchte Morde.
Richter Vilmar sagt: „Herr Diesner, Sie haben einen ahnungslosen,
unschuldigen Menschen umgebracht.“ Das will er nicht hören. Er hat seine
Taten zugegeben, aber daß es Mord gewesen sein soll, damit will er auch bei
der Urteilsverkündung nicht konfrontiert werden. Was gehen ihn der Schmerz
an von Stefan Grages Mutter, die verweinten Augen des überlebenden
Polizisten, die Krücke in der Hand von Klaus Baltruschat? „Muß ich mir so
eine Scheiße anhören? Kann ich nicht rausgebracht werden!“ schreit er dem
Richter entgegen. Im Zuschauerraum, wo eine Schulklasse die
Gerichtsverhandlung verfolgt, wird leise gelacht, als vier Polizisten Kay
Diesner hinausführen. Später, so heißt es im Foyer, soll er geweint haben.
Aus Sicht der Strafkammer ist Diesner, 25, seit Jahren von „einem
Vernichtungswillen“ besessen. Kaltblütig sei er, mit „verquasten Gedanken
und einer irren Geisteshaltung“, attestiert ihm der Richter Vilmar. Die
Familie des ermordeten Polizisten Grage, der Buchhändler Klaus Baltruschat,
der dienstunfähige Polizist Stefan K. „sind davon gezeichnet worden“, sagt
Vilmar. „Kein Zweck kann diese Taten und ihre Mittel heiligen.“ Wie wurde
Kay Diesner zum Killer? Dem Gericht bleibt seine Biographie und das
psychologische Gutachten. 1972 in Ost- Berlin geboren. Der Vater verläßt
bald die Familie, die Mutter, eine Verkäuferin, hätschelt ihn. Diesner
absolviert zehn Schuljahre. Seine politische Sozialisation beginnt bei den
Jungen Pionieren und der FDJ. Mit 16 schließt er sich der Skinhead- und
Hooliganszene von BFC Dynamo an, läßt sich eine Glatze schneiden und
stiefelt in Doc-Martens-Schuhen in den Unterricht. 1989 beginnt er eine
Feinmechanikerlehre und flieht kurz vor dem Fall der Mauer über Prag in den
Westen. In dem von Neonazis besetzten Haus in der Berliner Weitlingstraße
geht er seit 1990 ein und aus. Drei Jahre treibt er sich dort herum. In der
Gruppe „Kameradschaft Sozialrevolutionäre Nationalisten“ läßt er sich
militärisch ausbilden. Nun zählt er zum inneren Zirkel der Berliner
Neonazis. Seine Gruppe „White Aryan Resistance“, ein Haufen von einem
halben Dutzend Kämpfer, die den „Rassenkampf“ proben wollten, zerfällt
1994.
Ab diesem Zeitpunkt ergeben sich Anhaltspunkte dafür, daß Diesner sich in
die Welt der Möchtegernführer einschloß. Er liest Bücher über den Werwolf,
versorgt sich mit NS-Kampfrufen. Im Sommer 1996 kauft er sich in Österreich
die Moosberg-9200- Schrotflinte, mit der er schoß. Während der mündlichen
Verhandlung sagte er einmal, er habe nur seine Wohnung, sein „Territorium“,
schützen wollen.
2 Dec 1997
## AUTOREN
Annette Rogalla
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