| # taz.de -- ■ Nachruf: Jurek Becker: Nicht nur Liebling Kreuzberg | |
| Er hatte, im Gegensatz zu den meisten seiner Kollegen, überhaupt keine | |
| Angst vor dem Fernsehen. Jurek Becker war sogar ein Schriftsteller, der | |
| sich mit Fug und Recht „Drehbuchautor“ nennen durfte. Gleich seine zweite | |
| Episode für die Serie „Liebling Kreuzberg“ enthielt eine Szene, in der | |
| versehentlich ein Hakenkreuz auf einer abgelegten Robe auftaucht. Zum | |
| Redakteur bestellt, bekam der Autor von „Jakob der Lügner“, einer der | |
| wirkungsvollsten Darstellungen der Judenvernichtung, zu hören, es sei sein | |
| gutes Recht, Probleme, unter denen er offenbar leide, in die Welt | |
| herauszuschreien, aber doch nicht in einer Unterhaltungsserie. | |
| Der Autor fand seine Episode überaus unterhaltsam. Becker, am 30. im | |
| September 1937 in Lodz geboren, war im Ghetto und im Konzentrationslager | |
| aufgewachsen und hatte erst nach 1945 Deutsch gelernt. Den Verlust | |
| „abhanden gekommener Onkel und Tanten“ habe er früh mit dem Radio | |
| kompensiert: Max Schmeling in der Waldbühne, Jules-Verne-Lesungen. Auch | |
| sein erster Romanheld, jener Jakob aus einer polnischen Kleinstadt, erzählt | |
| den anderen Ghettobewohnern von einer verstümmelten Nachricht aus dem | |
| (verbotenen) Radio, wonach die Russen schon ganz nah seien. Er hat seinen | |
| Nachbarn für ein paar Wochen Hoffnung verschafft – eine trügerische, wie | |
| sich zeigt. Mit „Der Boxer“ und „Bronsteins Kinder“ entstand eine Trilo… | |
| der Judenvernichtung, die den Opfern und ihren Versuchen, ihr Leben zu | |
| rekonstruieren, bis in die Gegenwart folgte. | |
| Aus Ost-Berlin, wo der unliebsam auffallende Becker von 1960 bis 1977 | |
| lebte, ließen ihn die Behörden nach 1977 nur zu gern ziehen. Mit | |
| Erzählungen wie „Die Mauer“ oder „Nach der ersten Zukunft“, aber auch | |
| Romanen wie „Amanda herzlos“ machte er nicht mehr soviel von sich reden wie | |
| mit seiner Fernsehserie „Wir sind auch nur ein Volk“. Wer sich mit ihm | |
| verabreden wollte, hatte gute Chancen, wenn er einen oder zwei schöne Witze | |
| kannte und wenn kein großes Sportereignis im Fernsehen stattfand. Mariam | |
| Niroumand | |
| 15 Mar 1997 | |
| ## AUTOREN | |
| Mariam Niroumand | |
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