| # taz.de -- Jung-Abgeordnete Lührmann hört auf: "Die Gefahr, Apparatschik zu … | |
| > Anna Lührmann ist die jüngste Bundestagsabgeordnete aller Zeiten - und | |
| > verlässt die politische Bühne. Die Grüne über bettelnde Kollegen, | |
| > Wichtigtuerei und ihr Ziel Sudan. | |
| Bild: "Mehr Zeit für WG, Bücher und Menschen": Anna Lührmann | |
| taz: Frau Lührmann, sind Sie jung und frustriert? | |
| Anna Lührmann: Nee - jung und motiviert. Wieso? | |
| Sie sind noch keine 25 und brechen schon Ihre politische Karriere ab: Nach | |
| sieben Jahren scheiden Sie 2009 aus dem Bundestag aus. | |
| Ich habe von Anfang an gesagt, ich will nur zwei Legislaturperioden machen. | |
| Ich will meine Unabhängigkeit sichern. Mit 19 Jahren wurde ich gewählt. | |
| Bliebe ich im Bundestag, bis ich zum Beispiel 39 wäre, würde ich abhängig | |
| von der Partei, müsste darum betteln, wieder aufgestellt zu werden, weil | |
| ich sonst keine Perspektive sähe. | |
| Haben Sie Ihre grünen Kollegen betteln sehen? | |
| Ja, das kann man so sagen. Ich habe zumindest gesehen, dass Leute ihre | |
| Politik daran orientieren, dass sie bei der Basis gut ankommen, dass sie | |
| also wieder aufgestellt werden. Ich könnte mir vorstellen, dass manche | |
| meiner Kollegen ihr Abstimmungsverhalten zum Afghanistaneinsatz nicht daran | |
| ausgerichtet haben, was sie selber denken, sondern daran, welche | |
| Auswirkungen das auf ihren Listenplatz haben würde. Da ich durchaus auch | |
| Positionen vertrete, die nicht unbedingt Grünen-Mainstream sind, will ich | |
| das selbst nie erleben müssen. | |
| Kluge alte Männer schreiben, Politik macht süchtig. | |
| Ich habe mit dieser Suchtthese vom Spiegel-Autor Jürgen Leinemann echt | |
| Probleme. Politik wird zu negativ dargestellt. Alle Karrierejobs haben | |
| Suchtpotenzial - das betrifft Supermanager ebenso wie Politiker. Viele | |
| Vertreter beider Gruppen können ohne das dauerklingelnde Handy nicht mehr | |
| leben. Dabei ist doch das Tolle an der Politik, dass man nicht nur für sich | |
| selbst, sondern für das Gemeinwohl arbeitet. | |
| Was haben Sie denn im Bundestag erreicht? | |
| In meinem Wahlkreis wird eine Ortsumgehung nicht gebaut. Das ist etwas ganz | |
| Konkretes - ein wunderschönes Waldstück, in dem bald die Bagger rollen | |
| würden, wenn ich mich nicht so eingebracht hätte. Im Europaausschuss | |
| konnten wir zumindest ein wenig Einfluss auf die deutsche | |
| Verhandlungsposition - also Joschka Fischer - zur EU-Verfassung nehmen. Im | |
| Haushaltsausschuss haben wir Geld von der Kernforschung zu den erneuerbaren | |
| Energien hinübergeschaufelt. Selbst jetzt in der Opposition gelingt es noch | |
| manchmal, dass die große Koalition ein Thema von uns aufnimmt. Und ich | |
| glaube, ich habe in unzähligen Gesprächen mit Schulklassen, Jugendmedien | |
| und so weiter gezeigt: Auch junge Frauen können in der Politik etwas | |
| machen. | |
| Ihre ehemalige hessische Koabgeordnete Margareta Wolf berät jetzt die | |
| Atomlobby. Die Exabgeordnete der Grünen Marianne Tritz ist jetzt | |
| Tabaklobbyistin. Die Exministerin der Grünen Andrea Fischer gibt jetzt ein | |
| Pharmalobby-Magazin heraus. Wo werden wir Sie demnächst wiederfinden? | |
| Von Grünen wird nicht umsonst erwartet, das zu leben, was sie vertreten. | |
| Ich kann mir für mich überhaupt nicht vorstellen, jemals etwas zu machen, | |
| wo ich nicht hinter stehe. Atomlobby wäre schlicht ausgeschlossen. Ich | |
| möchte in die Entwicklungshilfe gehen. Ende Juni wird meine Tochter | |
| geboren. Dann mache ich noch im September die Haushaltsberatungen im | |
| Bundestag mit und nächstes Jahr den Wahlkampf. Aber nach der Bundestagswahl | |
| im September 2009 gehen mein Mann, meine dann einjährige Tochter und ich in | |
| den Sudan. Mein Mann wird dort Botschafter, und ich möchte gerne bei der | |
| UNO oder der EU arbeiten. Darum habe ich jetzt auch schon meine | |
| Bachelor-Arbeit über Menschenrechte im Sudan geschrieben. | |
| Nie wieder Politik? | |
| In einigen Jahren werde ich vielleicht auch in die Politik zurückkehren. | |
| Ich finde aber auch nachhaltigen Konsum ein Riesenthema, vielleicht kann | |
| ich dazu etwas auf die Beine stellen. Ich habe jetzt gemerkt, dass in der | |
| ganzen großen Babywarenwelt alles Mögliche sich als bio verkauft, es aber | |
| schier unmöglich ist, Produkte mit aussagekräftigem Ökosiegel zu finden. | |
| Was haben Sie im Bundestag gelernt, was Ihnen kein Studium und keine | |
| sonstige Ausbildung beigebracht hätte? | |
| Die harten "soft skills": Selbstorganisation, Mitarbeiterführung. Die | |
| Techniken der Macht: wann man am besten mit wem spricht, um etwas | |
| durchzusetzen. Das Wichtigste läuft immer vor den Sitzungen im | |
| Vier-Augen-Gespräch. Ich habe mir ein dickes Fell zugelegt und gelernt, | |
| nicht jede Kritik persönlich zu nehmen. | |
| Wie geht das, wenn Politik immer die ganze Person braucht? | |
| Dazu musste ich auch lernen, dass mein Auftreten als Politikerin nicht das | |
| Allerwichtigste im Leben ist. Das ist in meinem ersten Jahr ein bisschen | |
| schiefgelaufen. Da rannte ich nur den ganzen Tag ab frühmorgens gestresst | |
| durch Berlin, machte im Anzug auf wichtig-wichtig. Da erschien dann im | |
| Stern dieser Artikel: "Anna ist früh vergreist". Das war gemein und unfair, | |
| aber die Gefahr bestand tatsächlich, krass zum Apparatschik zu werden. Ich | |
| habe dann beschlossen, abends ab acht und an Wochenenden nur noch zu | |
| arbeiten, wenn es unbedingt sein muss, mir mehr Zeit für meine WG, für | |
| Bücher, für Menschen zu nehmen. Das klappte. | |
| Aber Politik macht zynisch. Politiker wie Journalisten wissen, dass es fast | |
| nie um die Sache, sondern immer um die Macht geht. Oder nicht? | |
| Eine Sache nervt mich total: Was ich als Politikerin kann und mache, hat | |
| nichts damit zu tun, wie die öffentliche Wahrnehmung meiner Person ist. Die | |
| größte Zeit habe ich im Haushaltsausschuss gesessen und einen | |
| Haushaltsposten nach dem anderen kontrolliert. Unter größten Mühen haben | |
| wir einen Klimaschutzhaushalt erarbeitet. Dafür hat sich kein Schwein | |
| interessiert. Als aber jetzt zum Frühjahr die Rentendebatte hochkochte, | |
| hatte ich plötzlich die totale Medienaufmerksamkeit für relativ | |
| nebensächliche Bemerkungen. Das ist so frustrierend, dann zu merken, dass | |
| das Bild des guten oder schlechten Politikers danach zustande kommt, wie | |
| oft man in den Medien ist. So richtet sich die Politik an der schnellen | |
| Schlagzeile statt an der ordentlich nachgerechneten Problemanalyse aus. | |
| Generationengerechtigkeit ist aber das Thema, mit dem Sie im Bundestag | |
| gepunktet haben - da liegt die Frage nach Rentenerhöhungen nahe. Nachdem | |
| nun ein Drittel der Jüngeren dank der rot-grünen Rentenkürzungen in der | |
| Altersarmut landen könnte: War das Generationengerechtigkeitsticket richtig | |
| gewählt? | |
| Das Finanzierungsproblem hätte sich für die heute mitteljunge Generation in | |
| den Jahren 2020 bis 2040 in jedem Fall gestellt. Durch die Rentenreformen | |
| sind die Belastungen durch die Alterung der Gesellschaft gerechter zwischen | |
| den Generationen verteilt worden. Außerdem wurde eine Altersgrundsicherung | |
| eingeführt, die dringend auf 420 Euro erhöht werden muss. Jetzt diskutieren | |
| wir in der Fraktion, wie wir darüber hinaus zu einer akzeptablen | |
| Alterssicherung für kleine und mittlere Einkommen kommen können. | |
| Da diskutiert es sich jetzt in der Opposition leicht. | |
| Als ich 2002 in den Bundestag kam, war Generationengerechtigkeit gerade das | |
| Modethema. Ich habe zu spät gemerkt, dass das Thema von neoliberaler Seite | |
| instrumentalisiert wurde. Da wurde aus Generationengerechtigkeit der | |
| Dreiklang "Steuern senken, Sozialabgaben senken, Sozialausgaben senken". | |
| Mir aber geht es um den grünen Nachhaltigkeitsgedanken - die Welt den | |
| Kindern so zu hinterlassen, dass sie Handlungsspielräume haben. Dazu habe | |
| ich auch etwa mit einem neoliberalen Thinktank zusammengearbeitet, der aber | |
| hauptsächlich für die Privatisierung von Sozialleistungen eintrat. Das | |
| würde mir nicht mehr passieren. Da bin ich kritischer geworden, da bin ich | |
| auch linker geworden. | |
| INTERVIEW: ULRIKE WINKELMANN | |
| 30 May 2008 | |
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