# taz.de -- Jan Delay: "Jeder muss zum Bono werden" | |
> Jan Delay wurde im deutschen Herbst geboren. Heute rappt er auf dem Label | |
> "Buback". Warum er Dogma-Linke nicht mag, aber zum G8-Gegengipfel | |
> mobilisiert. | |
Bild: Kein Fruganer in der Einöde: Jan Delay | |
taz: Herr Eißfeldt, wäre es nicht Zeit, dass Sie Ihren RAF-Song "Söhne | |
Stammheims" umschreiben? "Die Terroristen" sind ja alles andere als "weg" | |
... | |
Jan Eißfeldt: Ja! Als ich erfahren habe, dass Bernd Eichinger gerade das | |
Drehbuch zu "Der Baader-Meinhof-Komplex" schreibt, da habe ich sofort | |
gewusst: Ich muss die Musik zu diesem Film machen. Wenn jemand das kann, | |
dann bin ich das. | |
Weshalb? | |
Weshalb? Kein Campino und kein Bela B. und kein Smudo hat jemals die Sachen | |
gesagt, die ich zur RAF gesagt habe. Und vor allem hört denen kein Kind zu. | |
Deshalb. Ich würde auch eine Update-Version von "Söhne Stammheims" machen. | |
Was wäre neu? | |
Die Musik. | |
Am Text würden Sie nichts ändern? | |
Doch. Das Wort "Terrorist" hat ja nach dem 11. September eine komplette | |
Werteverschiebung erlebt. Heute versteht man unter der Bezeichnung | |
manipulierte Menschen. Die RAF-Leute waren genau das Gegenteil. Da würde | |
sich mein Text ändern. | |
Wir hatten eigentlich eher an die Zeile gedacht: "Und das bisschen | |
Gesindel, das noch in den Knästen steckt / tut sowieso keinen mehr | |
interessieren" - nach Brigitte Mohnhaupt soll nun eventuell auch Christian | |
Klar entlassen werden. | |
Das wusste ich ja schon, deshalb heißt die erste Single von meinem neuen | |
Album ja "Klar". | |
Oh, wir dachten, alle Namenswitze sind gemacht ... | |
Nee, im Ernst: Die aktuelle Debatte nervt mich so dermaßen! Letztendlich | |
wird doch nichts Neues zutage gefördert. Da kann der Stern noch so viele | |
Serien machen: Ob Peter-Jürgen Boock die dreißigste Pressekonferenz im | |
Hotel Vierjahreszeiten gibt und erzählt, wie das damals alles war, ist so | |
derbe egal. | |
Damals fehlte Ihnen eine Auseinandersetzung mit der RAF. Haben wir sie nun? | |
Das bezog sich auf die Kids. Was jetzt in den Medien passiert, wird so | |
serviert, dass es die nicht interessiert.Ich wollte nicht, dass sie alle | |
Terroristen werden, sondern dass sie die RAF reflektieren und merken: | |
Damals gab es Menschen, die haben tausendmal mehr Haltung an den Tag gelegt | |
als heute irgendjemand. Das fand ich einfach krass und bewundernswert. | |
Sie mussten eine erste Version von "Söhne Stammheims" entschärfen. Weshalb? | |
Der ursprüngliche Refrain lautete: "Sag mir, wo die Terroristen sind / Sag | |
mir, wo sind sie geblieben / Sag mir, wo die brennenden Faschisten sind / | |
Wo die Autos explodieren" - er war eher aufrufend und nicht beschreibend. | |
Mein Vater hat mir abgeraten, und dann habe ich es gemeinsam mit einem | |
Anwalt entschärft. | |
Man hat Ihnen ja schon öfter vorgeworfen, die RAF zu verklären. Wie wollen | |
Sie den Jüngeren klarmachen, dass Leute umzubringen bei allen Idealen keine | |
vertretbare Haltung ist? | |
Natürlich sag ich denen nicht: Knallt Leute ab. Das ist ja das Schlimmste, | |
auf keinen Fall, niemals. Mir geht es eher um die Grundideen, die Bewegung | |
2. Juni finde ich gut. Aber trotzdem reimt sich nun mal "Ensslin/Benzin" so | |
geil. Wenn man einen Dreiminutensong schreibt, kann man nicht differenziert | |
über ein Thema reden. Da machst du dir eher Gedanken über Entertainment und | |
gute Reime, um den Grundgedanken rüberzubringen. Das nervt mich so an | |
diesem Linkstum: Wieso muss alles totdiskutiert werden? | |
Darin waren die RAF-Leute aber auch nicht schlecht. | |
Ah, die haben alles totdiskutiert! Und humorvoll waren sie gar nicht. Aber | |
Andreas Baader hat gute Klamotten getragen. | |
Muss Protest heute Entertainment sein? | |
Nicht Protest muss Entertainment sein, wenn in meiner Musik Protest | |
passiert, dann muss das Entertainment sein. | |
Sie sind mit "Söhne Stammheims" auf dem Anti-G-8-Gipfel-Sampler vertreten. | |
Was wollen Sie damit bewegen? | |
Man darf von so einem Sampler keine allzu romantische Vorstellung haben. | |
Ich sehe darin einfach eine Maßnahme, die Leute zu mobilisieren. Genauso | |
wie ein Kettenmail oder ein Flyer. | |
Warum sollen die Leute denn zum Antigipfel kommen? | |
Um zu zeigen, dass es nicht klargeht, dass sich acht Leute - die | |
selbsternannt wichtigsten - treffen und über die Zukunft der Welt | |
entscheiden. Allein diese Tatsache ist zum Kotzen. Und allein deshalb muss | |
man Radau machen und zeigen, dass man damit nicht einverstanden ist. | |
Sind Sie bei Attac? Was Sie sagen, klingt wie deren Statut ... | |
Nee, ich hatte eigentlich gar keine Ahnung von G 8, und da habe ich gesagt, | |
wenn ich Interviews gebe, schreibt mir doch mal ein paar gute Sätze auf ... | |
Auch nicht schlecht. | |
Ach Quatsch, ich bin da nicht Mitglied. Mir geht es nicht um einzelne | |
Tagesordnungspunkte, sondern um die grundsätzliche Sache. Ich bin da, wenn | |
es einfach nur heißt: Bist du dagegen? Ich bin dagegen. | |
Und wenn es heißt: Bist du dafür? | |
Tja, die UNO, die finde ich ne gute Sache. Weil da arme und reiche Nationen | |
Mitglieder sind. Selbst wenn nicht alle das gleiche Stimmrecht haben, sie | |
können ihren Protest kundtun. Niemand wird ausgeschlossen. Abgesehen davon | |
finde ich Kofi Annan einen der respektabelsten Menschen in der Politik. | |
Weil er Haltung hat, Style, wie Sie es gerne nennen? | |
Sein Auftreten, also nicht seine Klamotten, sondern seine Politik, seine | |
Handhabung, Dinge zu regeln, die haben definitiv Style. | |
Was ist mit Angela Merkel? | |
Nee, die hat keinen Style. | |
Immerhin hat sie innerhalb der CDU eine eher liberale Haltung, oder? | |
Sagen wir so, bei Angela Merkel ist es in keinster Weise so schlimm, wie | |
ich dachte. Was ich gut fand, war, als sie George W. Bush bei ihrem ersten | |
Treffen als Kanzlerin gleich auf die Gefangenenflüge der CIA angesprochen | |
hat. Hätte ich nicht gedacht. | |
Haben Sie ein Grußwort für sie, zum G-8-Gipfel vielleicht? | |
Nee, die will ich nicht grüßen. Der Bono-Pegel würde so extrem ausschlagen, | |
das geht nicht. | |
Was stört Sie denn so sehr an Bono-Linken oder der Antifa, die Sie oft | |
kritisieren? | |
Das Dogmatum, das Totdiskutieren und die Haarspalterei. Das führt zu | |
nichts. Die Attac-Bewegung finde ich dagegen gut. Die stellt diese Regeln | |
und Normen ganz schwer hintenan. Von ihr kann etwas ausgehen, weil sie sich | |
aus vielen verschiedenen Leuten zusammensetzt und nicht auf dieses | |
Bauwagenniveau reduziert. | |
Kann man so Widerstand leisten? Oder braucht man manchmal Steinewerfer? | |
Egal. Alles. Auch wenn ich jetzt hier auf die Kreuzung scheißen würde und | |
die Leute fragen: Wieso kackst du auf die Straße? Deshalb! Ich will | |
Aufmerksamkeit erregen. Ich finde, auch das brennende Auto ist eine super | |
Aktion. Es kommt ja niemand zu Schaden, und es gibt Schadensersatz. Die | |
Zeitungen schreiben aber darüber und zwangsläufig auch über die | |
Hintergründe. | |
Aber was ist da der Unterschied zur reinen Provokation? | |
Provokation ist auch gut. Die Sache muss nur ein Anliegen transportieren. | |
Und natürlich klammere ich aus, dass Menschen zu Schaden kommen. Aber Tiere | |
sind mir schon wieder egal ... | |
Das bringt Sie direkt in die Hassforen der Tierschützer ... | |
Na und? Ich finde alle Aktionen gut. Immer noch die besten sind solche, die | |
Humor haben. | |
Was zum Beispiel? | |
Neulich, die Aktion im Reichstag, als eine Gruppe "Dem deutschen Volke" | |
überhängt hat mit "Der deutschen Wirtschaft". Dann haben sie sich abgeseilt | |
in den Saal und skandiert: "Paragraf 1 des Grundgesetzes: Die Würde der | |
Wirtschaft ist unantastbar." Das fand ich geil. | |
Wie stand es bei Ihnen selbst mit Rebellion? Sie sind ja in einem linken | |
Wohnprojekt aufgewachsen und haben mit Ihrer Mutter gemeinsam Prince gehört | |
- wie haben Sie sich gegen die Eltern abgegrenzt? | |
Mit 10 habe ich zu meiner Mutter gesagt: Ich will Börsenmakler werden und | |
Kohle verdienen. Das war mein Rebellieren. | |
Aber der Wunsch hat sich schnell geändert? | |
Nö. Ich habe sogar drei Tage VWL studiert, mit DJ Dynamite zusammen. Für | |
mich war immer klar, dass ich später Geld haben will. Das Schlimme ist gar | |
nicht gewesen, dass meine Eltern keine Kohle hatten, sondern dass ich in | |
Hamburg-Eppendorf, dem reichsten Stadtteil, aufgewachsen bin. Wenn du in | |
dem Kontext keine Kohle hast, ist es viel härter als unter Leuten, die auch | |
keine haben. | |
Andere wollen da den ungerechten Kapitalismus abschaffen. Aber den finden | |
Sie okay? | |
Nein, ich habe mich eher mit den Umständen arrangiert. Kapitalismus an sich | |
ist trotzdem Scheiße. Aber ich habe keinen Bock, mich als Fruganer allein | |
in die Berge zurückzuziehen und meine Lebensmittel selber anzubauen. Das | |
Mindeste aber, was ich machen kann, ist: Bewusstsein schaffen, bei jedem | |
Menschen für seine eigene Situation. Denn auch er wird in 30, 40 Jahren | |
ersticken, ertrinken oder auf andere Weise elendig verrecken, aufgrund | |
dessen, was er selbst der Welt zugefügt hat. | |
Was tun Sie gegen den Klimawandel? | |
Ich mache jetzt die Sachen, die mir meine Mutter seit 25 Jahren sagt. Das | |
hört sich blöd an, aber dazu gehört wirklich: diese Scheiß Stand-by-Geräte | |
ausmachen oder alle Heizungen, wenn ich gehe; ich hab mir noch nie ein Auto | |
gekauft. Ich weiß, das kommt ein bisschen spät - aber besser als nie. Ob | |
cool oder nicht cool: Jeder muss zum Bono werden. Auch wenn man dabei Nikes | |
trägt, wie ich es tue. | |
Ohne dabei Kinder auszubeuten, wie Sie mal gesagt haben - wie geht das? | |
Als Nike-Marketingstratege würde ich sagen, weil die großen Konzerne mehr | |
auf ihre Produktionsbedingungen achten, seit das publik wurde. Als ich | |
selbst würde ich sagen: Wenn ich anfange, alles, was ich käuflich erwerbe, | |
auf Fair Trade und diesen ganzen Scheiß abzuklopfen, dann müsste ich im | |
Kartoffelsack in der Einöde abhängen und mein eigenes Korn anbauen. Und ich | |
bin nun mal ein Schöngeist, das geht nicht zusammen. | |
Muss es denn so extrem zusammengehen? | |
Es geht doch darum, dass man trotzdem all diesen Idealen noch frönen kann, | |
solange es sich in einem gewissen Rahmen verhält. Sonst verbittert man | |
doch. Deshalb kann ich auch Fußball gucken und Deutschland-Fan sein, ohne | |
Heil Hitler zu sagen; oder ein Palästinensertuch tragen, ohne Antisemit zu | |
sein. | |
Inzwischen gibt es ja Palästinensertücher für 220 Euro aus Kaschmir ... | |
Stimmt, sogar Beckham trägt jetzt Palituch. Das ist gefährlich. Deshalb | |
trage ich keins. Ich habe mir dafür eine Krawatte aus einem Palituch machen | |
lassen. | |
Warum wird es gefährlich, wenn Beckham auch eins trägt? | |
Weil jetzt auch 14-jährige Poppermädchen auf Wochenendbesuch vom Internat | |
an der Alster rumlaufen und Palituch tragen. In dem Moment frage ich mich: | |
Wo sind denn eure Steine? | |
5 May 2007 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Reinhardt | |
Susanne Lang | |
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