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# taz.de -- Jan Delay über sein neues Funk-Album: "Ich bin direkter geworden"
> Der Hamburger Rapper spricht über die Motivation, seine neue Platte "Wir
> Kinder vom Bahnhof Soul" mit Liebesliedern auszustatten, seine Wut
> anlässlich der Bankenkrise und warum er gläubig ist.
Bild: "Ich wähle einfach das kleinste Übel" - Rapper Jan Delay glaubt nicht a…
taz: Herr Delay, wer Ihr neues Album "Wir Kinder vom Bahnhof Soul" hört,
fragt sich, warum sind Ihre Songs nicht mehr so zornig wie früher?
Jan Delay: Klar gibt es Dinge, die mich wütend machen. Aber ich habe eben
schon vieles in meinen alten Liedern thematisiert - da will ich mich jetzt
nicht wiederholen. Der einzige politische Song ist diesmal "Kommando
Bauchladen", ansonsten sind meine Texte persönlicher geworden.
Was ärgert Sie denn derzeit?
Eine Menge. Wir leben ja in einer Zeit, in der Manager, die tausende Leute
entlassen haben, fette Millionenabfindungen kassieren. Wie kann sich unter
diesen Bedingungen das ganze Land über eine Dienstwagen-Affäre aufregen,
frage ich mich. So was nervt mich genauso wie die Wirtschaftskrise und die
Art und Weise, wie wir da reingerutscht sind.
Sind Sie unzufriedener als vor zehn Jahren?
Wenn ich mir die Kids angucke, dann blicke ich schon ein bisschen
optimistischer in die Zukunft. 13-Jährige sind heute einfach cooler,
reflektierter, ich kann mich mit ihnen richtig gut über Subkultur
unterhalten. Das war 1999 völlig anders. Zu "Bambule"-Zeiten standen bei
den Beginner-Konzerten Teenager mit Zahnspangen in den ersten drei Reihen.
Vorher waren sie bei Scooter, dann bei Blümchen und in dem Moment halt bei
uns, bei den "Liebeslied"-Typen. Die hatten überhaupt keine Ahnung von
HipHop oder von irgendwas.
Was hat Sie eigentlich bei HipHop angezogen?
Nicht nur die geile Musik. HipHop ist eine Jugendkultur, in der sich
letztlich alle über ihren ganz persönlichen Style definieren. Du saugst dir
überall was raus, was du gut findest, und machst daraus dein Ding. Dieses
Prinzip lässt sich übrigens auch auf andere Bereiche wie Politik
übertragen. Ich bin nicht der Linke von den Grünen oder aus der PDS, ich
habe mein eigenes linkes Spektrum. Dafür sampele ich aus allen Ideologien
das Beste und bringe das mit meiner Identität zusammen. Das ist Janarchie!
Studieren Sie vor der Wahl alle Parteiprogramme?
Nee. Was soll das bringen? Ich weiß doch eh, dass Politiker nie ihre
Versprechen halten. Interessiert mich auch nicht, was sich CDU oder SPD so
vornehmen. Weil ich mit keiner Partei hundertprozentig daccord bin, wähle
ich einfach das kleinste Übel. Leider darf ich ja nicht für mich selber
stimmen. (lacht)
Es sei denn, Sie gingen in die Politik…
Viel zu anstrengend, da habe ich echt keinen Bock drauf. Ich bleibe bei
meiner Musik. Plus: Als Musiker, der halbwegs cool aussieht und ihren Slang
spricht, komme ich eher an die Kids ran als so ein dröger Politiker. Wenn
es um Anti-G8-Aktionen geht, oder um Proteste gegen das Kohlekraftwerk
Moorburg, dann bin ich dabei. Ich sage ganz ehrlich meine Meinung dazu,
damit kann ich am Ende mehr bewirken als mit politischen Songs. Die
erreichen nämlich nicht die Leute, die ich bekehren will. Sondern nur
diejenigen, die sowieso mit mir auf einer Wellenlänge liegen.
Gemessen an Ihren bisherigen Plattenverkäufen scheinen Sie zahlreiche Fans
zu haben. Wodurch Sie ziemlich viel verdienen.
Zugegeben: Geld ist mir verdammt wichtig. Wobei ich nicht von Yachten oder
so einem Scheiß rede. Gott sei Dank stelle ich keine hohen Ansprüche, ich
habe weder Auto noch Führerschein. Ich möchte einfach die Freiheit haben,
mein Leben so leben zu können, wie ich will - ohne zu knausern. Ab und an
in den Urlaub fahren, in Restaurants gehen, in denen ich nicht gleich
erkannt werde, und so weiter.
Heißt das, Sie hätten sich einen anderen Job gesucht, wenn es mit der
Karriere als Popstar nicht geklappt hätte?
Absolut. Ich bin in Hamburg-Eppendorf aufgewachsen, da waren alle reich,
nur meine Familie nicht. Darum habe ich als Junge gesagt: Ich werde
Börsenmakler. Das war mir damals tatsächlich ernst. Ich wollte auf jeden
Fall die Gewissheit haben, dass ich genug verdiene und nicht am Hungertuch
nagen muss. Diesen Plan mit meiner Musik zu verwirklichen, war natürlich
hunderttausend Mal geiler. Zumal ich mich für den Erfolg kein bisschen
verbogen habe.
Weshalb haben Sie dann Ihre Sprache vereinfacht und verzichten
weitestgehend auf HipHop-Slang?
Ich dachte mir: Es wäre halt nicht schlecht, mit diesem Album möglichst
viele Menschen anzusprechen. Ich bin direkter geworden, statt mit krassen
Reimen und Rap-Insiderwitzen aufzutrumpfen, die einen Großteil der Leute
ausschließen. Da braucht man ziemliches Szenewissen, um die überhaupt zu
verstehen. Das wollte ich jetzt umgehen.
Aber Liebeslieder hätte man von Ihnen wirklich nicht erwartet. Wieso haben
Sie plötzlich Ihre romantische Ader entdeckt?
Na ja, so abrupt kam das gar nicht. Gefühlvolle Sachen habe ich schon vor
zehn Jahren geschrieben. Allerdings war es mir irgendwie unangenehm, die
auch selber zu performen. Wenn ich mal in einem Konzert so eine Ballade
gesungen habe, dann habe ich mir Kompositionen von anderen rausgepickt.
Selbst dabei habe ich mich ein wenig geschämt, nun bin ich - hoffentlich -
entspannter und mutiger.
Wo ist Ihr Selbstbewusstsein geblieben?
Ich kann durchaus aus einem gesunden Selbstvertrauen schöpfen. "Bambule"
war quasi das Fundament meiner musikalischen Selbstsicherheit. Ich hab
gleich gewusst: Das ist sehr gut, was wir da machen. Wir waren einfach zur
richtigen Zeit am richtigen Ort - mit der nötigen Portion Talent. Es hat
also alles gestimmt. Und später, bei meinen Solosachen, wurde ich auch ein
paar Mal gelobt. Daran bin ich gewachsen. Im Studio verzettele ich mich
nicht mehr. Ich weiß genau, wann bei einem Song 120 Prozent erreicht sind.
Apropos "Bambule": Was empfinden Sie, wenn Sie auf Ihre Eimsbush-Tage
zurückblicken?
Am Schluss gabs nur noch Stress und Schulden. Aber anfangs hatte ich eine
sehr geile Zeit mit meinem Label. Wir waren um die 20 Leute, die ständig
auf einem Fleck hockten. In zwei Jahren hatten wir ein gigantisches Output.
Daran ist nie wieder irgendwer in diesem Land rangekommen. Einen Raptrack
macht man eben ganz locker an einem Tag. Kein Vergleich zu meinen
Funk-Songs, an denen ich etliche Monate penibel gefeilt habe.
Weil Sie extrem ehrgeizig sind?
Sehr, sehr ehrgeizig. Ich reiße mir komplett den Arsch auf, um meine
Platten wirklich perfekt zu machen. Das heißt aber nicht, dass ich völlig
spaßfrei durchs Leben gehe. Aus Spaß und Glück ziehe ich die Kraft für
meine Arbeit, für Protest oder Widerstand. Deswegen finde ich es völlig
okay, kleine Sünden zu begehen. Solange sie sich in einem gewissen Rahmen
bewegen und ich sie mir selbst verzeihen kann, ist alles super. Schließlich
darf man auf dem Weg zum Gutmenschen nicht verkrampfen.
Was sind denn für Sie kleine Sünden?
Das zähle ich ja in dem Lied Oh Jonny auf. Zum Beispiel keine
Energiesparbirnen zu verwenden. Bild-Zeitung lesen fällt sicher auch
darunter. Trotzdem würde ich keinem die Freundschaft kündigen, bloß weil
der mal in der Bild blättert - das wäre mir zu kleingeistig. Ich würde das
eher mit einem bösen Spruch abtun.
Sünde ist ein religiöser Begriff. Sind Sie gläubig?
Ja. Wenn man nicht glaubt, hat man keine Hoffnung, keine Ziele. Darum ist
Religion eigentlich eine gute Idee, leider hinkt die Umsetzung. Wer Regeln
und Gebote aufstellt, verrät den Glauben. Es darf halt keinen geben, der
diktiert, woran man glauben soll. Jeder kann sich doch seinen ganz
persönlichen "Flashgott" suchen.
11 Aug 2009
## AUTOREN
Dagmar Leischow
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