# taz.de -- "Jahr der Mahnung" in Guben: Endlich mal die Klappe halten | |
> Von Ignoranz bis Ablehnung reichen die Reaktionen der schweigenden | |
> Mehrheit in Guben auf die Rechtsextremisten. Andere wollen so schnell wie | |
> möglich weg. Eine Reportage | |
Bild: Die Antifa Guben hielt nicht die Klappe und organisierte eine Gedenktafel. | |
Es sollte eigentlich das Jahr werden, in dem die Gubener sich an eines der | |
dunkelsten Kapitel ihrer Geschichte erinnern. Ein "Jahr der Mahnung" hatten | |
aufrechte Bürger der Stadt für 2009 ausgerufen. Sie wollten damit des | |
algerischen Asylbewerbers Farid Guendoul gedenken, der hier im Februar 1999 | |
von Neonazis zu Tode gehetzt wurde. Und sie wollten dafür sorgen, dass der | |
immer noch aktiven Neonazi-Szene das Wasser abgegraben wird, wie es der | |
Gubener Pfarrer Michael Domke am Anfang des Jahres ausdrückte. | |
Doch am Ende des Gedenkjahrs herrscht unter den aufrechten Gubenern | |
Ernüchterung. Es hat wieder geknallt in der Stadt, die alten Narben sind | |
erneut aufgeplatzt. Und wie damals igelt sich das offizielle Guben ein, aus | |
Angst um das Image der Stadt. | |
Im Jahr zehn nach der Hetzjagd steht die Schülerin Tamara am Gedenkstein | |
für Farid Guendoul, draußen auf einer kleinen Wiese im Stadtteil | |
Obersprucke, ganz in der Nähe des damaligen Tatorts. Unzählige Male wurde | |
der Stein schon geschändet, wurden die Blumen zertrampelt, wurde gegen die | |
Platte uriniert. Eingeritzte Hakenkreuze sind dort zu erkennen, die durch | |
weitere Kratzer wieder unkenntlich gemacht wurden. | |
Tamara ist eine derjenigen, die sich im "Jahr der Mahnung" engagiert haben. | |
Nun aber sagt sie: "Nach dem Abitur nächsten Sommer ziehe ich weg. Mich | |
hält hier nichts mehr." | |
Der Grund dafür sind nicht nur die Neonazis – aber sie sind es auch. Zu | |
viel ist passiert in diesem Jahr. Tamara hatte sich mit anderen Schülern | |
dafür eingesetzt, dass ihr Gymnasium den Titel "Schule ohne Rassismus" | |
bekommt. Das Gymnasium bekam das Label, doch schon nach wenigen Tagen wurde | |
die Plakette am Schuleingang geklaut. Eine neue gibt es bis heute nicht. | |
Eine Kleinigkeit? Vielleicht. | |
Doch dann hat ausgerechnet einer der Todeshetzer von 1999, Alexander Bode, | |
vor ein paar Wochen wieder jemanden angegriffen: den 14-jährigen Martin K., | |
einen Bekannten Tamaras aus dem linksalternativen Jugendklub "Comet". Bode | |
klingelte mit drei Freunden an einem Sonntag an der Tür der Familie K. und | |
attackierte Martin vor den Augen seines Vaters. Er soll Martin gewürgt | |
haben, ein anderer der Neonazis soll dem Schüler gegen die Brust geschlagen | |
haben. Bode bestreitet den Angriff, die Polizei hat aber keinen Zweifel, | |
dass es so gewesen ist. Der mutmaßliche Grund für den Überfall: Martin K. | |
soll NPD-Plakate abgerissen haben. | |
Alexander Bode, 30, ist Vizevorsitzender des NPD-Kreisverbands Lausitz. Vom | |
Brandenburger Verfassungsschutz wird er als "führender Neonationalsozialist | |
im Landkreis Cottbus/Spree-Neiße" bezeichnet. Einmal wurde Bode nach der | |
Tat von 1999 bereits wieder wegen Körperverletzung verurteilt, ein weiteres | |
Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Schülerin Tamara drückt es so aus: | |
"Bode und die anderen Neonazis sind eine Gefahr für die ganze Stadt." | |
Deswegen möchte sie ihren richtigen Namen auch nicht in der Zeitung lesen. | |
Vier Tage nach dem Angriff an der Haustür wollte Bode mit seinem rechten | |
Trupp den 14-jährigen Martin K. in dessen Schule heimsuchen, der | |
Europaschule in der Obersprucke. Die Schulleitung rief die Polizei, die | |
gegen Bode und seine braunen Kameraden Platzverweise aussprach. | |
Genaueres über die beiden Vorfälle erfährt man nicht, auch nicht vom Opfer, | |
weil der Junge nicht mit den Medien sprechen darf. Bekannte der Familie | |
sagen, der Vater wolle, dass sein Sohn endlich mal lerne "im richtigen | |
Moment die Klappe zu halten". | |
Wer in der Stadt zum Thema Rechtsextremismus recherchiert, stößt immer | |
wieder auf eine Mauer des Schweigens. | |
Die Schulleiterin der Europaschule Guben, Berit Kreisig, wird am Telefon | |
fast schon aggressiv, wenn man sie auf den Vorfall an ihrer Schule | |
anspricht. "Wir werden gleich wieder in so eine Ecke gestellt", sagt sie. | |
"Wir möchten hier in Ruhe arbeiten." Ein Gespräch lehnt sie ab. | |
Auf gut 50 auch gewaltbereite Neonazis schätzt das Mobile Beratungsteam | |
Cottbus den harten Kern der rechten Szene in Guben. Das macht die Stadt für | |
den Verein zu einem "Brennpunkt des Rechtsextremismus" in Südbrandenburg. | |
Für das Innenministerium gehört der Polizeischutzbereich | |
Cottbus/Spree-Neiße zu den "stark belasteten Schutzbereichen Brandenburgs". | |
Vor allem auf den Stadtteil Obersprucke, in dem Guendoul zu Tode gehetzt | |
wurde, konzentriert sich auch heute noch die rechte Szene laut Beobachtern. | |
Doch wer sich mit dem Gubener Bürgermeister Klaus-Dieter Hübner (FDP) über | |
die Neonazis in seiner Stadt unterhalten will, kann lange warten - | |
vergeblich. Ein Treffen mit der taz hat Hübner verweigert, die Sekretärin | |
verwies auf seinen engen Terminplan. Schließlich sagte Hübner doch ein | |
kurzes Interview am Telefon zu – und rief dann trotz mehrmaliger Nachfrage | |
nie zurück. Tags darauf war er plötzlich im Urlaub. | |
Im Februar teilte Bürgermeister Hübner zum zehnten Jahrestag von Farid | |
Guendoul in einer Pressemitteilung mit, dass er den Tod zwar | |
außerordentlich bedauere. Aber der "Vorfall" dürfe auch nicht dazu führen, | |
"dass die Bevölkerung einer ganzen Stadt über Jahre hinweg stigmatisiert | |
und angeprangert wird". Deshalb müsse man jetzt "vor allem nach vorne | |
schauen". | |
"Die Stadt hat das Problem auch zehn Jahre nach dem Tod von Guendoul nicht | |
erkannt", sagt Franziska Keller, die bis vor kurzem Grünen-Landeschefin war | |
und aus Guben stammt. Eine Kritik, die viele Beobachter teilen. Doch Hübner | |
wurde gerade für acht weitere Jahre als Bürgermeister bestätigt. Zwei | |
Drittel der Gubener stimmten für ihn. | |
Es ist ein seltsames Schweigen, das einem in Guben entgegenschlägt. Sogar | |
der Sprecher der Initiative "Jahr der Mahnung", Peter Stephan, der als | |
Parteiloser für die Linke im Stadtparlament sitzt, möchte offenbar nicht so | |
gerne mit der Presse reden. Tagelang ist er nicht zu erreichen, beantwortet | |
weder Anrufe noch SMS. Hat man ihn schließlich doch am Apparat, bricht die | |
Verbindung ab. Oder er sagt, er habe gerade keine Zeit. Er ist ein | |
Sprecher, der nicht mehr spricht. | |
Vielleicht liegt es daran, dass man in Guben schnell als Nestbeschmutzer | |
gilt, wenn man öffentlich das Problem mit dem Rechtsextremismus anprangert. | |
Das glaubt zumindest Gesa Köbberling von der Opferperspektive Brandenburg, | |
einem Verein, der sich um Betroffene von Neonazi-Gewalt kümmert. Auch den | |
Gubener Schüler Martin K. hat der Verein betreut. | |
"Die Leute hier haben die Schnauze voll von den Medien", sagt Karsten | |
Geilich vom Jugendzentrum "Fabrik" in der Nähe des Gubener Bahnhofs. Und | |
ein Stück weit könne er das auch verstehen. Nach der tödlichen Hetzjagd vor | |
zehn Jahren hätten es sich viele zu einfach gemacht und die Stadt pauschal | |
zum Nazi-Nest abgestempelt. Aber die Dinge totzuschweigen ist für ihn auch | |
keine Alternative. Denn dass es in Guben ein Problem mit den Rechtsextremen | |
gibt, steht für ihn außer Frage. | |
Geilich sitzt im ersten Stock des ehemaligen Fabrikgebäudes in seinem Büro. | |
Er trägt graue, lange Haare, Vollbart und einen Kapuzenpulli – genauso | |
stellt man sich einen Sozialarbeiter vor. Geilich hat zweierlei Dinge | |
festgestellt. Zum einen, dass die Hemmschwelle für Gewalt in letzter Zeit | |
gesunken ist. Ein Konzert ohne muskelbepackte Sicherheitsleute kann er sich | |
deshalb nicht mehr vorstellen. | |
Zum anderen beobachtet Geilich noch etwas zweites Beunruhigendes. Ob jemand | |
rechts oder links ist, lasse sich nicht mehr so schnell erkennen. Er hört | |
immer öfter rechte Parolen von Jugendlichen, von denen er das nicht | |
vermutet hätte. Dann grölen nach drei Bier auch Gymnasiasten "Scheiß | |
Ausländer". "Woher haben die das?", fragt sich Geilich. | |
Zumindest im Stadtteil Obersprucke braucht man nicht groß nach einer | |
Antwort zu suchen. | |
"Ich steh jetzt nicht so zu den Ausländern, jeder sollte in seinem Land | |
bleiben", sagt eine Frau um die 50. Sie führt gerade ihren Pudel spazieren, | |
nur wenige Meter vom einstigen Tatort entfernt. Hier hatte Guendoul beim | |
Versuch, sich zu retten, eine Glastür eingetreten und sich dabei eine | |
Arterie aufgeschnitten. Der Plattenbau, in dem Guendoul verblutete, ist | |
inzwischen einem Park gewichen. | |
Nur ein paar Schritte weiter, vor einem fünfstöckigen Wohnhaus, hört man | |
Ähnliches. Zwei Rentnerinnen unterhalten sich. Was sie denn vom "Jahr der | |
Mahnung" halten? "Wissen Sie, ich hab nichts gegen Ausländer", sagt die | |
eine der beiden. "Aber als Gast hat man sich nun mal zu fügen." | |
Und auch auf der anderen Straßenseite, in einer Spielothek gleich neben dem | |
"Dance Club", wo damals die Hetzjagd auf Guendoul ihren Anfang genommen | |
hat, hört man solche verstörenden Sätze. "Zwischen Deutschen und Ausländern | |
gibts immer Keilereien", sagt eine Mitarbeiterin. "Und der Ausländer | |
provoziert ja auch mal gerne." | |
Jemanden, der die Täter verurteilt, kann man in der Obersprucke lange | |
suchen. | |
22 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
W. Schmidt | |
D. Schulz | |
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