# taz.de -- Iran: Die frechen Frauen von Teheran | |
> Die iranische Frauenbewegung kämpft mit der Kampagne "Eine Million | |
> Unterschriften" erfolgreich für die Emanzipation. Der Beginn einer | |
> islamischen Aufklärung? | |
Bild: Lichtblick in der Finsternis: Frauen, die sich befreien. | |
"Wollen Sie sehen, wie wir das machen?" Die Aktivistin der Kampagne "Eine | |
Million Unterschriften gegen die Ungleichheit von Männern und Frauen vor | |
dem Gesetz" lächelt verschwörerisch. Dann kramt sie ein Formular hervor und | |
spaziert zum Nachbartisch, wo vier junge Frauen und Männer sich Witze | |
erzählen. Wir befinden uns in einem Café in Teheran. Eine lebhafte | |
Diskussion hebt an, nach zehn Minuten kommt sie mit drei Unterschriften | |
zurück. "Es war nicht schwierig", sagt sie, "eine der Frauen hatte schon in | |
der Universität unterschrieben und hat die anderen überzeugt." | |
Heute ist die Frauenbewegung die lebendigste Kraft der iranischen | |
Zivilgesellschaft, und Unterstützung für den Kampf gegen Diskriminierung | |
kommt längst nicht mehr nur aus den großen Städten. Bis dahin musste | |
allerdings ein langer Weg zurückgelegt werden. Am 7. März 1979, gerade mal | |
einen Monat nachdem er aus dem französischen Exil zurückkehrte, gibt | |
Revolutionsführer Chomeini eine Erklärung ab: Von nun an dürften sich | |
Frauen nur verschleiert, also mit Hedschab in der Öffentlichkeit bewegen. | |
Einen Tag später, am Internationalen Frauentag, kommt es in Teheran zu | |
lauten Protesten und im Gegenzug zu Übergriffen islamistischer Milizen. Ein | |
Jahr zieht sich die Meuterei der Frauen hin. Zuerst schreckt der oberste | |
geistige Führer noch vor ihren massiven Einsprüchen zurück und erklärt | |
alles für ein Missverständnis, dann folgen Schritt auf Schritt die | |
Einschränkungen: Zuerst werden Frauen ohne Hedschab auf Ämtern ignoriert, | |
dann auf dem Campus der Universitäten nicht mehr zugelassen, wenig später | |
in den Geschäften nicht bedient. Die letzte große Protestaktion findet am | |
8. März 1980 statt. Danach wird der Internationale Frauentag durch die | |
Feier des Geburtstags von Fatima, der Tochter Mohammeds, ersetzt. Erst 20 | |
Jahre später, am 8. März 2000, wird der Frauentag zum ersten Mal wieder | |
semiöffentlich begangen, die Einladung in die Räume einer Stadtbibliothek | |
erfolgt durch Mund-zu-Mund-Propaganda. | |
"Wir hatten Stühle für 50 Frauen aufgestellt, es kamen 2.000." Noch immer | |
steht Mansureh, einer der Aktivistinnen der ersten Stunde, Überraschung und | |
Begeisterung ins Gesicht geschrieben, wenn sie von diesem ersten Auftritt | |
ihrer Frauen-NGO erzählt. "Es war so wunderbar! Das war der Moment, da wir | |
uns entschieden, uns nicht mehr in den Wohnungen zu verstecken, sondern | |
rauszugehen und sichtbar zu werden." | |
Seitdem finden die Forderungen der Frauenbewegung langsam wieder Gehör. | |
Nicht nur kritische Akademikerinnen stehen hinter ihnen, wie etwa Nuschin | |
Khorasani, die auf ihrem Weblog schreibt: "Wir müssen endlich aus der | |
Opferrolle heraus. Statt im westlichen Ausland Mitleid zu erwecken, müssen | |
wir zu einer Bewegung werden, die klare Forderungen stellt und diese auch | |
durchsetzt." Für die "Eine Million Unterschriften"-Kampagne haben sich | |
islamische und säkulare Feministinnen zusammengetan. Gemeinsam wollen sie | |
die Veränderung solcher Gesetze wie diesem durchsetzen: Töchter erben die | |
Hälfte dessen, was die Söhne bekommen. Das Zeugnis einer Frau hat vor | |
Gericht nur die Hälfte des Gewichts wie das eines Mannes. Das Blutgeld für | |
eine Frau, die durch die Schuld eines anderen Menschen zu Tode kam, ist nur | |
halb so hoch wie das für einen Mann. Mädchen sind mit 9 strafmündig, Jungen | |
mit 15. Der Mann kann seiner Frau verbieten zu studieren, zu arbeiten, zu | |
reisen | |
Die Kampagne bewegt sich strikt innerhalb der islamischen Verfassung. | |
"Alles, was wir machen, ist legal, transparent, für jeden einsehbar", sagen | |
die Frauen der NGO. "Wenn wir eine Million Unterschriften haben, muss sich | |
das Parlament damit befassen." Und sie ergänzen herausfordernd: "Wenn denn | |
die Abgeordneten sich als Volksvertretung begreifen." Auch die | |
Rechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi (siehe Kasten) | |
erklärt, dass Reformen durchaus möglich seien: "In der Verfassung gibt es | |
Bestimmungen über einen Volksentscheid." Und weil die Kampagne offen, breit | |
und unideologisch ist, können ihr Menschen unterschiedlicher Herkunft und | |
Bildung zustimmen. Darüber hinaus sind heute im Iran über die Hälfte der | |
Hochschulabsolventen weiblich. Und werden gut ausgebildete junge Frauen die | |
Herrschaft der Männer als festgeschriebene Norm auf Dauer hinnehmen? | |
Alle Familien, auch die der Geistlichen, sind von diesem Konflikt berührt: | |
Die Gleichzeitigkeit von einer Rechtsprechung nach der Scharia und dem | |
modernen Selbstverständnis der Frauen zerrt an der Gesellschaft. Und so | |
könnte die Kampagne eine Lawine lostreten, denn wenn einmal ein Teil des | |
Rechts zum öffentlichen Streitfall geworden ist, wird das Tor weit geöffnet | |
für eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Rechtsordnung. Eben | |
deshalb verfolgt die herrschende Koalition von Fundamentalisten und | |
religiösen Orthodoxen die Frauenbewegung trotz aller Verfassungskonformität | |
mit Misstrauen. | |
Mehr als 20 Jahre hat es seit der Revolution gedauert, bis sich im Iran | |
wieder eine Bewegung von Frauen konstituierte, die ihre Anliegen selbst in | |
die Hand nehmen. "Anfangs waren wir so beschäftigt, den Schah zu feuern, | |
dass wir unsere eigenen Probleme darüber vergaßen", sagt Mansureh. Dann kam | |
der achtjährige, vom Westen geschürte Krieg mit dem Irak. In dieser hoch | |
ideologisierten Zeit, in der die Islamisten noch mit den Kommunisten | |
kämpften, war die Debatte zentral, ob die westliche Moderne als Totalität | |
abzulehnen sei oder Teile herausgebrochen werden könnten. Für so konkrete | |
Themen wie Frauendiskriminierung war kein Platz, zumal sie nach westlichem | |
Einfluss rochen. "Der Westen, das ist eine Art zu denken und zu handeln, | |
die sich vor 400 Jahren in Europa herausbildete und seitdem mehr oder | |
weniger universell geworden ist", so Reza Davari, als Präsident der | |
Akademie der Wissenschaften so etwas wie Chefideologe der islamischen | |
Republik. Gegen den Westen, der über "seinen Materialismus, seinen | |
individuellen Egoismus und seiner Gottvergessenheit die höchsten und | |
letzten Fragen, die Metaphysik und die Verbundenheit mit Gott vergessen | |
hat", setzt er die islamische Identität als das "absolut Andere" | |
(Huntington lässt grüßen). Und das sichtbarste Zeichen dafür ist die | |
Verschleierung der Frauen. | |
1995 kommt erstmals Bewegung ins Spiel. In Peking wird die | |
UN-Frauenkonferenz abgehalten. Auch Iran schickt eine Delegation, Frauen | |
der sogenannten Government Family, gebildete Töchter der regierenden | |
Ajatollahs. Vom Welttreffen kommen sie zurück mit einer Idee von | |
Zivilgesellschaft. Sie gründen NGOs. Umwelt, Frauensport, Hilfe für Kinder | |
sind die Themen. Etwas hatte in China gefunkt und regt nun auch ein | |
weiteres, inoffizielles Netzwerk unabhängiger Frauen an, tätig zu werden. | |
Mit der Feier zum 8. März 2000 wird ein erstes Signal gesetzt. Ab jetzt | |
geht es um eine Veränderung des Rechts, das Frauen benachteiligt, und um | |
die Veränderung kultureller Traditionen, denn die diskriminierenden Gesetze | |
finden ihren Rückhalt in den Lebensgewohnheiten. Mansureh erzählt: "2005, | |
als die Regierungszeit des liberalen Präsidenten Chatami dem Ende entgegen | |
ging, beschlossen wir, öffentlich die Frage zu stellen, warum eine Frau | |
nicht zur Präsidentin gewählt werden kann. Zusammen mit den islamischen | |
Feministinnen gingen wir zum Präsidentenbüro, um öffentlich darüber zu | |
diskutieren. Die bekannte Verlegerin Shahla Lahiji hielt eine Rede: | |
'Stellen wir uns vor, ich wäre Präsidentin. Aber selbst dann könnte ich | |
nichts für uns tun, denn der Wächterrat würde es verhindern.' " Er ist das | |
zentrale Gremium des islamischen Staates, das alle Gesetze und Kandidaten | |
für ein politisches Amt auf Übereinstimmung mit dem Islam prüft. Es kann | |
vom Parlament beschlossene Gesetze für nichtig erklären und Kandidaten von | |
der Wahl ausschließen. Über Lahijis Rede kommt es zu heftigen | |
Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und eher säkularen Frauen, denn | |
ihre Kritik trifft ins Herz der islamischen Republik. Und doch zeigt sie, | |
wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Das islamische Gesetz ist nicht | |
mehr sakrosankt, die Diskussion über seine Gültigkeit wird vielerorts | |
geführt: "Die Scharia selbst ist heilig, ihre Interpretation ist es nicht; | |
die Scharia ist alte Tradition, das Verständnis der Texte aber immer | |
zeitgenössisch." Das ist in Kurzform die Lesart der islamischen Reformer um | |
Abdolkarim Sorush, auf die sich auch die Frauenbewegung bezieht und die | |
auch in den theologischen Hochschulen ihre Anhänger hat. | |
"Drei Tage, bevor Ahmadinedschad zum neuen Präsident gewählt wurde, trafen | |
wir uns erneut", berichtet Mansureh weiter: "Es war das bislang größte | |
öffentliche Frauentreffen seit der Revolution. Wir hatten uns schon im | |
Vorfeld auf die Parole: Freiheit für Frauen, Gleichheit vor dem Gesetz | |
geeinigt. Und dann kündigten wir die Kampagne 'Eine Million Unterschriften' | |
an. Aber bevor wir mehr darüber sagen konnten, wurden wir von der Polizei | |
auseinandergetrieben." | |
Seit November 2006 wird nun gesammelt, mehr als 300.000 Unterschriften | |
liegen vor. Ein mühsamer Prozess. Die Medien schweigen die Aktion tot, so | |
beruht jede Unterschrift auf dem persönlichen Gespräch, der persönlichen | |
Überzeugungskraft. Und doch scheint die Kampagne zum Kristallisationspunkt | |
zu werden. Als bei der diesjährigen Kundgebung zum 8. März rund hundert | |
Frauen vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen wurden, formulierten 620 | |
führende Mitglieder politischer Reformparteien und Gewerkschaften in einem | |
offenen Brief an den obersten Richter ihre "Enttäuschung" über die | |
Verhaftungen. Nicht wenige Geistliche und auch ein mächtiger Politiker wie | |
Expräsident Haschemi Rafsandschani haben sich nach einigem Zögern hinter | |
die Forderungen gestellt. Die Gegenseite, die darin die Anfänge eines | |
"sanften Umsturzes" und einen Angriff auf die "nationale Sicherheit" | |
wittert, schickt Milizen und Sittenwächterinnen los, die die Frauen | |
drangsalieren, verprügeln oder verhaften. So sind Delaram Ali gerade zu 34 | |
Monaten Gefängnis und 10 Peitschenhieben und Eghdam Doust zu drei Jahren | |
verurteilt worden. Die Frauenpolitik spaltet die politische Elite, aber war | |
das nicht immer und überall so? | |
Die Beschäftigung mit Philosophie ist in der islamischen Republik populär | |
geworden, sie wird als Weg des Widerstands gegen politische Ideologien und | |
religiösen Dogmatismus empfunden. Auch Hannah Arendt ist en vogue. "Ihre | |
Bücher erinnern uns daran, dass Freiheit die 'Fähigkeit ist, immer erneut | |
anzufangen' ", sagt eine Studentin. "Und dass das, was alle angeht, | |
öffentlich ausgehandelt werden sollte. Da sind wir doch gut dabei!" Und | |
Richard Rorty, amerikanischer Philosoph und häufiger Ost-West-Dialogpartner | |
in Teheran, ging sogar davon aus, dass von Iran die islamische Aufklärung | |
ausgehen wird. | |
19 Jul 2007 | |
## AUTOREN | |
Elisabeth Kiderlein | |
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