# taz.de -- Irak: Todesstrafe für "Giftgas-Ali" | |
> Das Sondertribunal spricht Ali Hassan al-Madschid des Völkermordes an den | |
> Kurden schuldig. Die Angehörigen der Opfer wollen nun kurdische | |
> Kollaborateure vor Gericht sehen. | |
Bild: Ali Hassan al-Madschid während des Völkermordprozesses | |
ERBIL taz Nach nur 60 Verhandlungstagen ist Ali Hassan al-Madschid, einer | |
der ruchlosesten Vollstrecker des ehemaligen Regimes Saddam Husseins, am | |
Sonntag zum Tod durch den Strang verurteilt worden. Das irakische | |
Sondertribunal sah es als erwiesen an, das Madschid für Völkermord an den | |
Kurden Ende der 80er-Jahre verantwortlich ist. | |
Von Februar bis Ende August 1988 hatte das Regime unter dem Codenamen Anfal | |
zehntausende Kurden verschleppt und ermordet. Wegen des systematischen | |
Einsatzes von Giftgas nennen die Kurden al-Madschid, einen Cousin von | |
Saddam Hussein, bis heute nur "Giftgas-Ali". Während der acht | |
Anfal-Offensiven machte das Regime weite Landstriche Kurdistans dem | |
Erdboden gleich. | |
Beinahe reglos verfolgt Schadi Ismail Ali mit ihren drei Geschwistern die | |
Fernsehübertragung der Urteilsverkündung in einem engen Raum des | |
Ministeriums für Märtyrer und Anfal-Opfer im Zentrum von Erbil. Stumm sieht | |
sie zu, wie der Vorsitzende Richter die sechs Angeklagten in dem | |
Anfal-Prozess aufruft und der Reihe nach die Urteile verhängt. Als Erster | |
ist der ehemalige Gouverneur von Mossul, Taher Tawfik Ani, an der Reihe. | |
Zitternd hört Ani zu, wie der Richter die ihm zur Last gelegten Straftaten | |
verliest. Während des Verfahrens hatte er immer wieder seine Unschuld | |
beteuert. Als das Gericht ihn aus Mangel an Beweisen freispricht, schlägt | |
er sich mit einem tiefen Seufzer erleichtert auf die Brust. Gegen die | |
früheren Armeekommandanten Farhan Mutlak und Saleh al-Juburi sowie den | |
damaligen Chef des Militärgeheimdienstes im Nordirak Sabir Abdulasis | |
al-Duri ergehen lebenslange Freiheitsstrafen. | |
Auch als der Richter den damaligen Verteidigungsminister Sultan Haschem | |
Ahmed und den Exchef der gefürchteten Republikanischen Garden, Hussein | |
Raschid al-Tikriti, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und | |
Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt, sagen die Anfal-Überlebenden kein | |
Wort. "Lang lebe die tapfere irakische Armee! Lang lebe die Baath-Partei!", | |
ruft al-Tikriti dem Richter zu. | |
Einige der Männer in dem kleinen Büroraum in Erbil lachen spöttisch. | |
Schadi, ihre Geschwister und Tante verharren reglos, selbst als das Urteil | |
gegen "Giftgas-Ali" fällt. Er habe den Befehl zur Ermordung von kurdischen | |
Zivilisten gegeben, weitreichende und systematische Angriffe angeordnet, | |
einschließlich des Einsatzes von chemischen Waffen und Artillerie, hielt | |
der Richter al-Madschid vor. Auf das Gitter der Anklagebank gestützt, hörte | |
sich der heute 66-Jährige das Urteil zweitweise mit einem höhnischen | |
Lächeln an, das in fünf Angeklagepunkten auf Todesstrafe, in weiteren | |
Punkten auf Freiheitsstrafen zwischen fünf Jahren und "lebenslänglich" | |
lautet. Das Berufungsgericht muss die Urteile noch bestätigen. | |
Bei Schadi und ihren Geschwistern mag sich keine Genugtuung einstellen. Die | |
zierliche Frau, die heute 19 Jahre alt ist, wurde von ihrer Mutter auf | |
einem Ifa-Lastwagen zur Welt gebracht. Dem damals von der DDR gelieferten | |
Militärtransporter, den das Regime zum Abtransport der zusammengetriebenen | |
Zivilisten einsetzte, verdankt sie ihr Spitznamen. "Nichts kann mir meine | |
Eltern zurückgeben", sagt Schadi. Ihre Eltern starben im berüchtigten | |
Gefängnis Nugre Salman. Ihre Leichen wurden in einem der vielen | |
Massengräber verscharrt, bis heute wissen die Kinder nicht, wo. "Ich möchte | |
meine Eltern zumindest begraben können", sagt die Schadis Schwester. Neben | |
den Eltern verloren die Geschwister damals 15 weitere Angehörige. Heute | |
müssen sie mit einer spärlichen Rente von umgerechnet 100 Dollar auskommen. | |
"Der Tod von Saddam und 'Giftgas-Ali' ändern für uns nichts", sagt Schadi. | |
"Wir möchten endlich ein halbwegs anständiges Leben führen." | |
Aber Schadi und ihre Geschwistern wollen noch in einem anderen Punkt | |
Gerechtigkeit. Wie viele Anfal-Überlebende fordern sie, dass die kurdischen | |
Kollaborateure vor Gericht gestellt werden. Gegen 223 dieser Stammeschefs | |
hat das Sondertribunal Haftbefehl erlassen. " 'Giftgas-Ali' kenne ich nur | |
vom Fernsehen", sagt die 55-jährige Nergez Ali, die während Anfal ihren | |
Mann und sieben Geschwister verlor. "Es waren die Kollaborateure, die meine | |
Familie wie Tiere zusammengetrieben haben." | |
25 Jun 2007 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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