# taz.de -- Interview über Geschlechterkonflikte: Es wird alles nur noch geiler | |
> Wie werden Frau-Mann-Beziehungen nach #MeToo besser? Ein Gespräch mit den | |
> Buchautorinnen Jagoda Marinić (Sheroes) und Sophie Passmann (Alte weiße | |
> Männer). | |
Bild: »Ich kann jeder Schwäche lieben, außer Humorlosigkeit.« – Feministi… | |
taz FUTURZWEI: Frau Marinić, Frau Passmann, Sie sind beide öffentlich | |
hörbare und sichtbare Frauen, haben sich durchgesetzt, haben Einfluss und | |
damit Macht. Wie haben Sie das gemacht? | |
Sophie Passmann: Einfach die Schnauze nicht halten. | |
Das ist Ihr Erfolgsprinzip? | |
Passmann: Das laute Sprechen ist nicht das Erfolgsprinzip allein, aber das | |
ist mit Sicherheit ein Teil der Methode. Da sind wir schon bei einem ganz | |
wichtigen Aspekt aus deinem Buch, Jagoda, sich über gewisse Ideen | |
hinwegzusetzen, wie man zu sein hat, und mit einem gewissen | |
Selbstbewusstsein Dinge zu tun und nicht sofort in Handlungsunfähigkeit zu | |
erstarren, wenn irgendjemand kritisiert, weil man vielleicht eine junge | |
Frau ist, die feministische Dinge sagt. Es reicht aber nicht, einfach nur | |
ständig da zu sein und die Klappe aufzureißen. Man muss zwischen fünfzehn | |
anderen Gedanken auch mal einen besonders klugen haben, der Leute dann | |
beeindrucken kann oder zumindest mal zum Nachdenken bringt. Man kann eben | |
nicht erwarten, dass irgendwann jemand klingelt und sagt: Du wirkst in | |
deinem stillen Kämmerlein so beeindruckend. Schreib doch mal was für uns. | |
Jagoda Marinić: Mir ist es passiert. | |
Ja? | |
Marinić: Es gab und gibt ja Leute, die scouten und sichten. Nicht jeder | |
sucht von sich aus das Rampenlicht. So wie nicht jeder von seinem Talent | |
weiß. An Social Media ist einerseits reizvoll, dass die Entscheiderriege | |
wegfällt, man kann da nicht von irgendwelchen Gatekeepern stumm gestellt | |
werden. Das macht es andererseits aber oft extrem nervig, weil jeder | |
»Hier!« und »Ich!« schreit. Da fallen die Ruhigeren wieder auf ihre Weise | |
auf. | |
Wie wichtig war Twitter für Ihren Erfolg? | |
Passmann: Mir wurde im letzten Jahr gerne mal aufgedrückt, ich sei so | |
dieses Girl aus dem Internet und hätte einfach angefangen zu twittern und | |
dann sei mir alles zugefallen. So war es nicht. Ich habe beim | |
Öffentlich-Rechtlichen gearbeitet. Ich habe eine Moderatoren-Ausbildung, | |
ich habe studiert, ich habe während des Studiums geschrieben. Parallel zum | |
vielen Twittern hatte ich einen Lebenslauf, der mir erlaubt, auch Sachen zu | |
machen, die ich jetzt mache. Twittern war trotzdem wichtig, weil ich da | |
natürlich eine Reichweite generiert habe und generieren kann bis heute, die | |
ich im Hörsaal nicht generieren konnte. Aber am Ende des Tages reicht es | |
nicht, auf Twitter laut zu sein. Muss man schon ein bisschen mehr können | |
als das. | |
Warum gibt es im künstlerischen Bereich Satire und Humor kaum Frauen? | |
Passmann: Wenn ich mir die deutsche Satirelandschaft anschaue, muss ich | |
eher sagen: Wo sind eigentlich die lustigen Männer? Es gibt viele Männer, | |
die machen Dinge mit großem Selbstbewusstsein auch in Fernsehshows, vor | |
Kameras, hinter Mikros, auf Comedy-Bühnen. Die kommen eine ganze Stunde | |
ohne eine handwerklich richtige Pointe aus. Wenn ich mir die Frauen | |
anschaue, die in der Satirelandschaft gerade Erfolg haben und gute Sachen | |
machen, dann gibt es, grob geschätzt, neunzig Prozent wirklich gute Leute. | |
Bei den Männern nur die Hälfte. | |
Warum läuft das öffentlich-rechtlich so? | |
Passmann: Das hat viel mit Förderung zu tun, mit einer sexistischen | |
Förderung. Letztes Jahr hat, glaube ich, ZDF neo zwei neue Late-Night-Shows | |
pilotiert, beide mit weißen Männern. Da sage ich: Davon haben wir genug. | |
Männer profitieren von dieser Förderung und in der Erziehung mit Sicherheit | |
davon, dass sie eher auf laut sein und lustig sein getrimmt werden als | |
Mädchen. Frauen verbieten sich dann oft selber den Mund, wenn es um Witze | |
geht, und haben Angst, nicht beliebt zu sein und nicht liebgehabt zu werden | |
und zu unbequem zu sein, zu laut zu sein, zu schwierig. An der Struktur | |
kann ich zumindest akut nichts ändern, aber an einer Idee von Weiblichkeit | |
schon. Ich kann mich fragen: Hindere ich mich selber an so einem Prozess, | |
zu werden, was ich bin? Vielleicht muss ich Grenzen übertreten, weil es | |
dann erst spannend wird. | |
Frau Marinić, Sie haben den klassischen Weg gewählt, Bücher geschrieben, | |
Kolumne in der taz und Seite vier der SZ. Sie lesen die linksliberalen | |
Oberstudienrätinnen und Oberstudienräte? | |
Marinić: Zunächst mal finde ich, der Selbstdarstellungsvorwurf betrifft | |
nicht nur Männer. Wir sind in einem Zeitalter der Selbstdarstellung und | |
umgeben von viel hohler Luft, die man hochdrehen kann auf spannende Medien. | |
Das ist ein Zeitgeist. Wir sehen Leute, die drehen Sachen hoch, für die sie | |
drei Millionen Follower finden, dafür, dass sie ihren linken Arm ausstellen | |
und da eine Gucci-Tasche dranhängt. Wenn Sie in diesem Kontext meinen Weg | |
»klassisch« nennen, bitte. Im Kern wollte ich das, was du gesagt hast, | |
Sophie: Den Mund aufmachen. Ich wollte hörbar werden im politischen | |
Diskurs. Als Schreibende. Aber gleichzeitig wollte ich nicht so richtig ans | |
Licht. | |
Wie passt das zusammen? | |
Marinić: Eigentlich hat Suhrkamp mich ans Licht gezerrt. Ich war sehr für | |
die Freiheit, fern von Öffentlichkeit erwachsen zu werden. Das hat die | |
Generation jetzt, glaube ich, schon nicht mehr, da gehört das Öffentliche | |
fast zwanghaft zum Leben. Ich komme ja quasi vor Twitter. Ich war 21, als | |
ich entdeckt wurde, und 23, als ich 1999 mit einem Buch an die | |
Öffentlichkeit trat. Ich fand das schon einen absurden Vorgang, dass das | |
eigene Denken plötzlich so eine öffentliche Resonanz erhält. Alles, was | |
heute normal ist, schien mir früher absurd. Da war Schreiben Denken. Die | |
Leser, das Publikum, das war nicht immer im Kopf. Heute ist alles | |
Publizieren ein intensiver Austausch mit dem Publikum. Jede Kritik muss | |
verarbeitet werden. Ich fand das nicht gut. Nach meinem ersten Buch wollte | |
ich erst einmal eine Pause, weil ich dachte, ich will lesen, trinken, | |
erfahren. | |
Passmann: Ich will auch lesen, trinken, erfahren. Vor allem trinken. | |
Marinić: Ich wollte es nicht in der Öffentlichkeit. Ich wollte nicht alles, | |
was ich denke, sofort an den Reaktionen von außen überprüfen. Ich wollte | |
eine Gärungszeit, ich wollte ein gefestigtes Ding in mir haben. Aber | |
irgendwann war mir das zu isoliert – der deutsche Autor und sein | |
Elfenbeinturm. Und dann kam die Lust, mich in den Diskurs einzumischen – | |
aber auch das auf Nachfrage. Ich war anfangs total gegen Role Models, auch | |
im Migrationsbetrieb. Ich habe dann in den USA gemerkt, dass du diese | |
inneren Bilder brauchst, die dir und anderen zeigen, was möglich ist. | |
Der Hashtag #MeToo hat ab Ende 2017 der Öffentlichkeit eine Ahnung über das | |
Ausmaß sexueller Belästigung und Übergriffe gegeben, meist von Männern in | |
Machtpositionen. Sie haben beide Bücher geschrieben, in denen es darum | |
geht, nach #MeToo mit Männern zu sprechen, damit etwas besser wird, für | |
Frauen, aber auch für Männer. Sie setzen auf die Gespräche im Privaten, | |
Frau Marinić, am Küchentisch. Warum? | |
Marinić: In den USA haben zweihundertfünfzig Männer ihren Job verloren und | |
wurden in weiten Teilen von Frauen ersetzt. Als klares Zeichen. Da geht es | |
darum, zu sagen, ihr missbraucht eure Macht, wir geben sie jetzt Frauen. In | |
Deutschland hat #MeToo nicht stattgefunden, das ist das irrste Ding, da | |
gibt es außer Dieter Wedel keinen großen Namen, der gefallen wäre. Im | |
Kulturbetrieb und anderswo gibt es die Fälle, aber es gibt keine Namen. Auf | |
der Ebene haben wir versagt. | |
Wir? | |
Marinić: Auch wir Frauen. In meiner ersten Kolumne über #MeToo kritisierte | |
ich, dass wir die Chance zum Gespräch nicht nutzen. Danach bekam ich viel | |
Post von Männern, die schrieben: Liebe Frau Marinić, ich lasse die Chance | |
nicht verstreichen, sondern ich möchte das Gespräch nicht öffentlich | |
führen, weil da so viel Hysterie ist. Aber mit meiner Frau und meinen | |
Freunden reden wir viel drüber. Oder einer schrieb: Ich habe Frau und | |
Tochter, Frauen, die ich liebe, das beschäftigt mich, dass ihnen das auch | |
widerfahren kann. Was ich sagen will: Wenn wir es schaffen, im Privaten | |
einen anderen Gesprächsmodus aufzubauen, dann sehe ich die Chance, dass das | |
gesellschaftlich eine Bewegung ins Rollen bringen wird, die wir bei #MeToo | |
versäumt haben. Das meine ich mit Sheroes: Allen, denen es gelingt, jetzt | |
doch noch etwas daraus zu machen, ermöglichen es, neue Rollenbilder zu | |
finden. An den Briefen merkte ich, dass da auch verdammt viele Männer | |
darunter sind. | |
Frau Passmann, Sie gehen mit dem konfrontativen Begriff »alter weißer Mann« | |
in »Schlichtungs«-Gespräche mit fünfzehn Männern. Aber damit ist eine | |
Festlegung getroffen. | |
Passmann: Nein. Ich gehe eben nicht mit einer Feststellung rein, sondern | |
bin fünzehnmal mit der Frage eingestiegen: Sind Sie ein alter weißer Mann? | |
Das Ziel war, Männer darüber sprechen zu lassen, was Männlichkeit und ihr | |
Blick auf Männlichkeit heute ist, weil der sich durch #MeToo und die | |
neuesten Weiterentwicklungen von Feminismus verändert, die eben nicht mehr | |
nur Quoten im Büro infrage stellen oder vielleicht mal Dinge im Haus, | |
sondern jeden Bereich des Lebens. | |
Sie sprechen mit Robert Habeck, Kai Diekmann, Ulf Poschardt, Sascha Lobo, | |
Werner Patzelt, Micky Beisenherz, Ihrem Vater – manche geben sich Mühe, | |
andere haben so gar keine Lust auf ein Gespräch über alte, weiße Männer. | |
Passmann: Je öfter man diese Frage an einen Mann stellt, desto öfter zeigt | |
sich, dass dieser Begriff wahnsinnig fluide ist und eigentlich das | |
Gegenteil von einer starren Festlegung. In jedem Gespräch gab es andere | |
Schwerpunkte und vor allem andere Begründungen, warum man kein alter, | |
weißer Mann ist, warum es einem vielleicht egal ist, wenn man so bezeichnet | |
wird. Wieder andere haben einfach auf einer Metaebene auf das Problem | |
geblickt und haben gesagt: Der alte weiße Mann ist ein Verhalten der Welt | |
gegenüber. | |
Marinić: Genau. Das ist ein Schlagwortbegriff für eine bestimmte | |
Machtposition in diesem System. Es ist ein Bild, das die Funktion hat zu | |
zeigen, dass über Jahrzehnte bestimmte Männer Macht auf sich vereinigen und | |
andere ausschließen. Übrigens schließen sie auch andere weiße Männer aus. | |
Passmann: Das Wichtige für mich ist, dass ich in keinen Moment jemandem | |
unreflektiert die Bühne gebe. Und ich habe fünfzehnmal völlig | |
unterschiedliche Argumentationen und Begründungen und Definitionen von | |
diesem Begriff bekommen. Das zeigt vor allem auch, dass dieser Begriff | |
etwas mit Männern macht und dass es ganz unterschiedliche Methoden sind, | |
wie man damit umgehen kann. Ich habe gemerkt, dass an dem Begriff | |
tatsächlich viel mehr dran ist, als einfach nur stellvertretend für ein | |
Machtkonstrukt zu stehen. Wie auch gerade die #MeToo-Debatte und insgesamt | |
eine neue Bewegung des Feminismus verunsichert er einen Mann in jedem | |
Bereich. Und ich habe keine Bauchschmerzen mit der Verunsicherung von | |
Männern. Ich finde sogar, seid gerne alle verunsichert, jahrelang, dann | |
wisst ihr, wie es ist, mal nicht der weiße Mann zu sein. | |
• Die Fragen stellte Peter Unfried, Chefredakteur von taz FUTURZWEI. | |
Dies ist Teil 1 des Gesprächs zwischen Jagoda Marinić und Sophie Passmann. | |
Teil 2 über die neuen Sheroes, Michelle Obama, Alexandria Ocasio-Cortez und | |
wie man „das Beste aus dem anderen herauslieben“ kann, lesen Sie in der | |
gedruckten Ausgabe [1][der ][2][neuen taz FUTURZWEI]. | |
13 Mar 2019 | |
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