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# taz.de -- Interessensgemeinschaft WerkFAIRträge: Sich nicht einschüchtern l…
> Inge Bultschnieder und ihre MitstreiterInnen kämpfen gegen Ausbeutung in
> der Fleisch verarbeitenden Industrie.
Bild: Die Mitglieder der Initiative vor der dem Fleischverabreitungsbetrieb Tö…
„Es gibt immer einen Weg”, sagt Inge Bultschnieder bestimmt. Vor ihr, im
Gasthof Klein in Rheda-Wiedenbrück, sitzen 15 bulgarische
Werkvertragsarbeiter. Eine junge Frau übersetzt. Inge Bultschnieder,
Initiatorin der Interessengemeinschaft WerkFAIRträge, setzt sich für
sogenannte Fremdarbeiter in der Fleischverarbeitungsindustrie ein. Heute
will sie einen Workshop unterstützen, der die Arbeiter informieren soll,
wie man sich auf eine Festanstellung bei Tönnies bewerben kann.
Als sie mich drei Stunden vorher in ihrem Garten willkommen heißt, ist auch
die Ärztin Almut Storck dabei. Inge Bultschnieder ist selbstständige
Bäckerin mit einem Stand auf dem Wochenmarkt in Rheda-Wiedenbrück. Die
Brote und Brötchen backt sie in einem großen, selbst gebauten Ofen und
einer Backstube in ihrem Garten.
## Eine folgenreiche Begegnung im Krankenhaus
Auf die Frage, wie alles begonnen habe, erzählt sie von einem
Krankenhausaufenthalt im September 2012. Sie teilt sich das Zimmer mit
einer Bulgarin. „Ich dachte die kommt bestimmt von Tönnies”, erzählt die
43-Jährige, „weil sie weiße Plastikschuhe und eine weiße Hose mit
blutgetränktem Saum unter ihrem Bett liegen hatte. Und sie sah richtig
verhungert aus.” Mit Händen und Füßen verständigen sich die beiden: Katya
ist tatsächlich eine Werkvertragsarbeiterin bei Tönnies. Und Katya hat
Angst.
Die Tönnies Lebensmittel GmbH & Co. KG ist der größte
Fleischverarbeitungsbetrieb in Europa. Allein in Rheda-Wiedenbrück
beschäftigt das Unternehmen rund 3.500 Menschen aus Ländern wie Polen,
Bulgarien und Rumänien. Die meisten davon nicht in direkter Anstellung,
sondern über sogenannte Werkverträge mit Subunternehmen, die ihren Sitz in
osteuropäischen Ländern haben.
Katyas Arbeitgeber ist also nicht Tönnies, sondern der Subunternehmer, der
nach den Gesetzen seines Herkunftslandes anstellt und handelt. Und das
bedeutet oft: Bezahlung mit Billiglöhnen, schlechte und überteuerte
Unterkünfte, extremer Arbeitsdruck und bei Widerspruch oder Krankheit
sofortige Entlassung und Rückkehr in die Heimat.
## Gefeuert nach einem erneuten Krankenhausaufenthalt
Acht Wochen nach ihrem Kennenlernen im Krankenhaus besucht Inge
Bultschnieder Katya in ihrer Wohnung. „Das war so katastrophal, dass ich
erst mal heulend wieder aus der Wohnung raus bin”, erzählt sie. Katya hat
Asthma und lebt mit fünf Raucherinnen in einem Zimmer. So nimmt sie Katya
an den Wochenenden bei sich auf. Als Katya erneut ins Krankenhaus kommt,
weil sie in der Firma zusammengebrochen ist, wird sie gefeuert.
Katya kommt bei Inge Bultschnieder unter. Als Katya sich kurz darauf den
Fuß bricht, bringt sie die inzwischen nicht mehr Krankenversicherte zu
ihrer Ärztin, Almut Storck. Die weiß schon längst über die schlimmen
Zustände bei Tönnies Bescheid und ist sofort bereit zu helfen. 2013 gründet
Inge Bultschnieder mit Almut Storck und anderen die IG WerkFAIRträge. Sie
finden: Auf Unternehmer Clemens Tönnies und die politischen
Verantwortlichen der Stadt muss öffentlich Druck ausgeübt werden.
## Viele Probleme, doch nur wenig Rückhalt in der Bevölkerung
Für Inge Bultschnieder und ihre Familie ist die Situation riskant.
Bultschnieders Mann arbeitet ebenfalls für Tönnies. Aber das hindert sie
nicht daran, ihr Engagement fortzusetzen. Sie sagt: „Wir müssen noch viel
mehr Menschen wach rütteln und auf diese Probleme aufmerksam machen: auf
Wohnsituation, Mindestlohn, Meldewesen, Arbeitszeiterfassung und
Krankenversicherung.”
Auf die Frage, ob sich seither etwas verändert habe, antworteten beide
Frauen eher verhalten. Ein runder Tisch wurde von der Stadt ins Leben
gerufen, eine Ombudsfrau eingesetzt, aber sie sehen das eher als einen
geschickten Schachzug von der Firma Tönnies. Auch die Unterstützung der
Bevölkerung sehen die beiden kritisch: „Der Weg ist noch weit“, erklärt
Inge Bultschnieder.
Das habe sich auch bei den Demos gezeigt: „Im Winter im Dunkeln, da
bekommst du 200 Leute auf die Straße, aber im Sommer, im Hellen, da sind
gerade noch 50 gekommen, da kann man dich ja sehen.” Trotzdem, die
Öffentlichkeit sei endlich wach geworden. „Man kann die Zustände offen
ansprechen und nicht mehr nur hinter vorgehaltener Hand. Früher hat man
nichts Schlechtes über die Firma Tönnies gesagt, und wenn doch, dann nur
ganz leise”, erklärt Almut Storck.
## Kaum jemand wagt Kritik an dem mächtigen Betrieb
Um die Bevölkerung des schönen Rheda-Wiedenbrück zu verstehen, muss man
wissen, dass die Familie Tönnies eng mit der Stadt verwoben ist. Sie lebt
mitten unter ihnen. Viele Seilschaften, erklärt Almut Storck, gebe es, die
mit diesem Unternehmen zusammenhängen. „Schwer ist es, die Leute zu
bewegen”, fügt Inge Bultschnieder an. Die Angst sei auch deshalb so groß,
weil die Subunternehmen den Ruf haben, brutal zu sein.
Man habe ihr geraten, sich in diese Dinge nicht einzumischen, weil ihr oder
ihrer Familie etwas passieren könnte. „Und das einfach nur, weil du den Mut
hast, aufzustehen und etwas zu sagen.” Aber sie lassen sich nicht
einschüchtern. „Wenn jeder vor seiner Haustür eine Kleinigkeit tut, dann
ist eine ganze Menge getan!” sagt Inge Bultschnieder.
## Die gewonnene Öffentlichkeit bietet ihnen Schutz
Die gewonnene Öffentlichkeit bietet ihnen Schutz, ist aber gleichzeitig zum
Hindernis geworden: Inzwischen ist es für die beiden schwer, mit den
Werkvertragsarbeiter überhaupt in Kontakt zu treten. Allzu bekannt sind die
beiden Frauen. „Und in jeder der Wohnungen der Arbeiter sitzt ein Spitzel”,
erzählt Inge Bultschnieder. Viel Ärger gibt es mit ihren Arbeitgebern, wenn
sie eine Unterschrift von Almut Storck auf ihrer Krankschreibung haben.
Vor einem Werksbesuch bei Tönnies schaut Bundeswirtschaftsminister Sigmar
Gabriel bei der IG WerkFAIRträge vorbei. Später postet Gabriel auf
Facebook, bei Tönnies handele es sich um einen Vorzeigebetrieb. Schließlich
propagiere er, die Arbeiter fest anzustellen. „Das tut er schon seit 2010”,
so Bultschnieder „aber fest angestellt hat er von denen noch niemand.”
## Die Angst vor dem Arbeitsplatzverlust erschwert die Hilfe.
Darum geht es auch heute bei dem Workshop im Gasthof Klein. Das DGB Projekt
„Faire Mobilität” und die IG wollen die Werkvertragsarbeiter bei Tönnies
darüber informieren, wie sie in das Festangestellten-Verhältnis rein- und
aus dem Teufelskreis Werkvertragsarbeit rauskommen.
Der Gastraum ist, ein wenig enttäuschend, nicht mal zur Hälfte gefüllt. Die
Stimmung ist angespannt. „Die wenigsten schreiben am Ende wirklich eine
Bewerbung”, sagt Inge Bultschnieder. Ein Gerücht besagt, dass man beim
Subunternehmer rausfliegt und seine Wohnung verliert, wenn man sich bei
Tönnies um eine feste Stelle bewirbt.
Plötzlich wird es laut. Eine Frau meint, einen Vorarbeiter von Tönnies
erkannt zu haben. Ein Spion? Nachdrücklich bittet Inge Bultschnieder den
Mann nach draußen. Als er nicht mehr zuhören kann, füllt sich der Gastraum.
Inge Bultschnieder steht in der Mitte des Raums und erklärt den Arbeitern,
dass sie Listen führen würde von den Leuten, die sich bewerben. Und falls
diese deshalb ihre Arbeit verlieren, hätte sie Minister Gabriels
persönliche Mailadresse – denn er hat versprochen sich einzusetzen.
[1][MAREIKE BARMEYER], ist promovierte Soziologin und taz.lab-Redakteurin.
Außerdem ist sie Mitglied der Berliner Lesebühne Rakete 2000.
13 Jul 2015
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## AUTOREN
Mareike Barmeyer
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