# taz.de -- Integration: "Das Türkische war mir fremd" | |
> Dilek Güngör über die schwäbische Provinz, die Freiheiten türkischer | |
> Mädchen und ihren Roman "Das Geheimnis meiner türkischen Großmutter". | |
Bild: Möchte nicht die Integrationstante sein: Dilek Güngör | |
taz: Frau Güngör, Ihr Roman erzählt von der Begegnung einer Deutschtürkin | |
mit Ihrer Großmutter, die in der Türkei lebt. Was hat Sie dazu inspiriert? | |
Dilek Güngör: Ich war als Journalistin mehrmals beruflich in der Türkei. | |
Einmal war ich ganz in der Nähe vom Dorf meiner Großeltern und dachte mir: | |
Na, dann fahre ich doch mal mit dem Bus dahin. Ich habe mich aber auch | |
gefragt, ob die das wohl so toll finden, wenn ich da so ganz allein und | |
ohne meine Familie aufkreuze. | |
Was wäre denn falsch daran? | |
Nun, ich wohne allein in Berlin, weit entfernt von meinen Eltern - ich | |
dachte, die werden mich vielleicht bemitleiden und denken: Guck mal, das | |
arme Mädchen, die ist ja schon so alt und hat keinen abgekriegt. Aber das | |
Gegenteil war der Fall. Meine Großmutter meinte sogar: Sei doch froh! Wozu | |
brauchst du einen Mann? Wir sind alle verheiratet, und was hat es uns | |
gebracht? Da war ich schon ein bisschen verblüfft über diese Frau, die | |
nicht lesen und schreiben gelernt und nichts von der Welt gesehen hat, und | |
die trotzdem um einiges liberaler eingestellt ist als viele Leute, die ich | |
kenne und die sogar studiert haben. Das hat mich auf die Idee für meinen | |
Roman gebracht. | |
Wie autobiografisch ist die Geschichte denn gefärbt? | |
Die Details des Dorflebens habe ich so beschrieben, wie ich sie aus dem | |
Dorf kenne, in dem meine Großeltern leben. Aber die Geschichte, die ich | |
erzähle, ist ausgedacht. | |
In Ihrem Roman kommt ein sogenannter Ehrenmord vor. Wollten Sie einen | |
Kulturkonflikt nachzeichnen? | |
Es gibt einen Konflikt, der sich aus der Konfrontation zweier Lebenswelten | |
ergibt. Aber das lässt sich nicht auf einen simplen deutsch-türkischen | |
Widerspruch reduzieren, was immer das sein mag. Die Hauptfigur macht | |
zweimal die Erfahrung, dass ihre Vorstellungen auf den Kopf gestellt | |
werden: Zunächst glaubt sie, ihre Großmutter sei eine dumme Bauersfrau, die | |
nichts von der Welt wisse. Und gerade, als sie sie lieben gelernt hat, | |
merkt sie, dass diese Frau auch ihre dunklen Seiten besitzt. Mir ging es | |
also eher darum, Erwartungen zu brechen. | |
Sie haben einige Jahre lang eine Serie von Zeitungskolumnen geschrieben, | |
die vor allem von Ihrer Familie handelten. Haben Sie das Gefühl, als | |
Sprachrohr der Deutschtürken wahrgenommen zu werden? | |
Manchmal bekomme ich Anfragen, in dieser Rolle an einer Podiumsdiskussion | |
teilzunehmen, da sage ich lieber ab. Ich bin da zwiegespalten: Einerseits | |
möchte ich nicht die Integrationstante sein, die sich ständig zur EU äußert | |
oder zu türkischen Frauen, die geschlagen werden. Andererseits stehe ich | |
nun mal in der Öffentlichkeit und habe auch einen Roman geschrieben, der in | |
der Türkei spielt. Ich hätte ja auch über etwas anderes schreiben können. | |
Sie sind in Deutschland geboren. In welcher Sprache sind Sie aufgewachsen? | |
Ich bin in Schwäbisch Gmünd groß geworden, da gab es bis auf meine Cousins | |
und drei, vier Kinder in der Grundschule kaum türkische Kinder. Deshalb war | |
meine Hauptsprache immer schon Deutsch. Außerdem hatte ich vor allem als | |
Teenager so eine Phase, in der ich mit allem Türkischen so wenig wie | |
möglich zu tun haben wollte. Ich habe noch die Mahnung meiner Mutter im | |
Ohr: Jetzt sprich doch mal Türkisch und pfleg doch mal deine Muttersprache! | |
Ist Ihnen das Türkische fremd geblieben? | |
Ich habe mich eigentlich erst nach dem Abitur wieder dafür interessiert. | |
Ich war bei einer Freundin in Istanbul und habe gemerkt: Die sind ja gar | |
nicht alle so. Auch ich kannte halt nur das typische Türkenklischee: Frauen | |
mit Kopftuch, deren Töchter nichts dürfen und Friseurinnen werden und die | |
Söhne Automechaniker - das war mein Bild von türkischen Familien. Erst in | |
Istanbul habe ich gemerkt, dass es auch ganz anders sein kann, und das hat | |
auch wieder mein Interesse an der türkischen Sprache geweckt. Ich habe dann | |
sogar Kurse an der Uni belegt, um mein Türkisch aufzufrischen. | |
Haben Sie selbst so anders gelebt als die anderen türkischen Familien in | |
Ihrer Stadt? | |
Ich war eines der wenigen türkischen Mädchen, die aufs Schullandheim, nach | |
der Schule ins Freibad gehen oder einen deutschen Freund haben durften. | |
Meine ganzen türkischen Freundinnen, die gingen heimlich und die haben | |
aufgepasst, dass keiner sie erwischte. Bis auf meine beiden Cousins kannte | |
ich wenig türkische Kinder, die so ein Leben hatten wie ich. Ich wusste | |
immer, dass bei den anderen ein deutscher Freund nicht in Frage kommt und | |
eine Ehe mit einem Deutschen schon gar nicht. Und dass die Töchter | |
ausziehen und allein wohnen, um zu studieren, das war auch nicht so gerne | |
gesehen. | |
Warum, glauben Sie, waren Ihre Eltern so viel liberaler? | |
Sie haben mir immer vertraut. Aber sie waren auch sehr behütend: Ich war | |
zum Beispiel auf einer katholischen Schule, was andere wiederum verrückt | |
fanden. Wir mussten da dienstags immer in einen Gottesdienst, und ich habe | |
dort auch immer einen Knicks gemacht vor der Kirchenbank und mit Weihwasser | |
ein Kreuz geschlagen. Aber meine Eltern hatten nie die Angst, dass aus | |
ihrem Kind eine Christin werden könnte. Vielleicht lag das auch daran, dass | |
sie selbst gar nicht so religiös sind. | |
Vor welchem Hintergrund sind Ihre Eltern damals nach Deutschland gekommen? | |
Meine Eltern sind in den Siebzigerjahren als ganz klassische Gastarbeiter | |
nach Deutschland gekommen. Sie stammen aus einem Dorf in der Türkei, in dem | |
es heute wahrscheinlich immer noch so aussieht wie vor vierzig Jahren. | |
Meine Mutter hat nur vier Jahre lang eine Schule besucht, mein Vater fünf; | |
sie können auch jetzt noch nicht flüssig schreiben. Ich habe leider erst | |
spät gelernt, ihre Leistung anzuerkennen: dass sie eben nicht nur die | |
doofen türkischen Eltern sind, die kein Deutsch können. | |
Haben Sie das als Kind so gesehen? | |
Ja, im Vergleich zu den deutschen Eltern fand ich immer: Meine Eltern | |
machen alles verkehrt. Ich fand mich sehr verkehrt. Und ich fand vieles, | |
was wir machen, sehr verkehrt. | |
Zum Beispiel? | |
Zum Beispiel abends warm essen. Bei uns wurde abends immer gekocht. Aber in | |
Schwäbisch Gmünd, wo ich geboren bin, da wird abends nur gevespert. Da isst | |
man Käsebrot und Wurstbrot und saure Gurken und macht Tee dazu. Oder dass | |
deutsche Kinder nackt sein können vor ihren Eltern, oder dass sie ihre | |
Eltern nackt sehen können. An so kleinen alltäglichen Dingen habe ich das | |
festgemacht, dass wir es irgendwie falsch machen. | |
Wann hat sich das geändert? | |
Es hat sehr lange gebraucht, bis ich gemerkt habe, dass zwei Sprachen und | |
zwei Kulturen auch etwas ganz Tolles sein können. Wenn ich zum Beispiel | |
Deutschfranzösin gewesen wäre, dann hätten das Prestige der Kultur und das | |
Ansehen der Sprache diese Einstellung sicher eher befördert. Aber das | |
Türkische besitzt halt in Deutschland bis heute kein großes Ansehen. Es war | |
nichts, worauf ich besonders stolz sein konnte. | |
Liegt das auch am Aufwachsen in der Provinz? Als Deutschtürkin in Berlin | |
wächst man vielleicht selbstbewusster auf. | |
Ich weiß nicht. In Berlin gibt es wieder andere Probleme. Ich hatte immer | |
eine aufregendere Vorstellung vom türkischen Leben in Berlin, als ich es | |
dann tatsächlich hier vorgefunden habe. | |
Fühlen sich Ihre Eltern heute im Schwäbischen zu Hause? | |
Die fühlen sich da mittlerweile recht wohl. Sie haben dort ihr Haus und | |
ihre Arbeit. Sie haben eigentlich nie davon geredet, in die Türkei | |
zurückzukehren. Mein Vater redet zwar manchmal davon, dass er gern ein Haus | |
am Mittelmeer hätte, aber eher als Alterswohnsitz in der Sonne. | |
Das ist recht ungewöhnlich. Viele türkische Familien haben ja jahrelang in | |
der Illusion gelebt, sie würden nur für ein paar Jahre in Deutschland | |
bleiben. | |
Meine Eltern haben wohl sehr unter der Enge des Dorflebens gelitten. Sie | |
wären beide gerne länger zur Schule gegangen. Aber bei meiner Mutter hieß | |
es: Du bist jetzt ein großes Mädchen, du kannst auf deine Geschwister | |
aufpassen. Sie hat mir ganz oft erzählt, dass sie da geweint habe und dass | |
es ihr deshalb auch so wichtig gewesen sei, dass ihre Töchter eine gute | |
Ausbildung kriegen. Und mein Vater ist mit vierzehn von zu Hause | |
weggelaufen, als ihm seine Eltern verbieten wollten, weiter zur Schule | |
gehen. Er wollte seinen Vater damit erpressen, aber es hat nichts genutzt. | |
Vor der Aussicht, nichts anderes werden zu können als Schafhirte oder | |
Bauersfrau, sind sie dann quasi nach Deutschland geflohen. Die wollten nur | |
weg. Ich weiß nicht, ob ihnen gefallen hat, was sie in Deutschland | |
angetroffen haben. Aber mittlerweile haben sie sich damit arrangiert. | |
Fahren Ihre Eltern noch regelmäßig in die Türkei? | |
Meine Mutter würde gerne mal woandershin fahren, aber meinem Vater fällt | |
das schwer. Er ruft zwar nie bei seiner Familie an. Aber vielleicht steht | |
er noch unter dem Zwang, dass es sich eben so gehört, dass man seine Eltern | |
besucht. | |
Was sagt Ihre Familie in der Türkei dazu, dass Sie und Ihre Schwestern so | |
viele Freiheiten genießen? | |
Meine Tanten fanden das immer toll, und meine Großmutter, wie gesagt, auch. | |
In diesem Jahr war ich zum ersten Mal mit meinem deutschen Freund im Dorf | |
meiner Großeltern zu Besuch. Ich dachte zuerst, das könnte heikel werden, | |
schließlich sind wir weder verlobt noch verheiratet. Aber das war überhaupt | |
kein Thema - und auch nicht, dass er kein Türke oder Muslim ist. Im | |
Gegenteil. Alle waren ganz glücklich über den künftigen Schwiegersohn und | |
haben gesagt: Das ist ja ein Toller, den nimmst du jetzt aber, was willst | |
du denn noch - so Kommentare halt. Und eine Tante meinte, er solle in | |
Deutschland herumerzählen, was für nette Leute wir seien, dann würden sie | |
uns auch in die EU aufnehmen. Sie hatten nur Schwierigkeiten, seinen Namen | |
auszusprechen. | |
Heiraten muss sein, oder? | |
Die haben natürlich immer gefragt: Wann heiratet ihr? Ich habe dann immer | |
gesagt: Nächstes Jahr, um der Konvention genüge zu tun. In der Region, aus | |
der meine Eltern stammen, da lebt man halt nicht einfach so zusammen. Wenn | |
schon, dann wird geheiratet. | |
4 Jun 2007 | |
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