# taz.de -- Ingrid Betancourt ist frei: Sechs Jahre Dschungelhaft zuende | |
> Die bekannteste Geisel der Welt, Ingrid Betancourt, ist frei. Nach sechs | |
> Jahren in der Gewalt der Farc wurde sie mit 14 weiteren Geiseln befreit. | |
Bild: In erstaunlich guter Verfassung: Ingrid Betancourt mit ihren Kindern. | |
PORTO ALEGRE taz Als der Hubschrauber abgehoben hatte und Ingrid Betancourt | |
zusammen mit 14 weiteren Geiseln aus der Gewalt der kolumbianischen Farc | |
befreit war, wurde es noch einmal brenzlig: "Der Hubschrauber wäre fast | |
abgestürzt", erinnerte sich die frühere Präsidentschaftskandidatin an ihre | |
Befreiung nach sechs Jahren im Dschungel. Die Freudensprünge der Befreiten | |
hatten den Hubschrauber ins Schlingern gebracht. | |
"Die Aktion war absolut makellos", strahlte Betancourt am | |
Mittwochnachmittag auf dem Militärflughafen von Bogotá. Dann nahm sie die | |
Mütze in olivgrünen Tarnfarben ab, ihr langes Haar war adrett um den Kopf | |
geflochten. Kurz zuvor hatten Spezialeinheiten der kolumbianischen Armee | |
sie aus den Fängen der Farc-Guerilla geholt, ohne dabei einen einzigen | |
Schuss abzugeben. | |
"Es war wie in einem Hollywoodfilm", meinte Verteidigungsminister Juan | |
Manuel Santos zufrieden. Nach Angaben des Militärs waren die Planungen | |
bereits vor gut einem Jahr angelaufen, nachdem einer Geisel die Flucht | |
gelungen war. Als die Farc Anfang des Jahres weitere Geiseln freiließ, | |
darunter Betancourts frühere Wahlkampfleiterin Clara Royas, gewann die | |
Armee weitere Erkenntnisse über den Aufenthaltsort der Geiseln in der | |
Urwaldprovinz Guaviare. | |
Wenn man der Schilderung von Heereschef Mario Montoya folgt, verlief die | |
Befreiungsaktion in der Tat spektakulär. Agenten der Armee, die sich in das | |
Kommunikationssystem der Guerilla eingeschleust hatten, bewirkten einen | |
gefälschten Befehl von Farc-Chef Alfonso Cano, die Geiseln | |
zusammenzuführen. Dann flogen sie mit einem Hubschrauber in das Lager, wo | |
sie vorgaben, die Geiseln zu Cano zu bringen. Der Vorwand: Die Geiseln | |
sollten einer internationalen Kommission gezeigt werden. Das war die | |
kritische Phase der "Operation Schachmatt", 22 Minuten und 13 Sekunden soll | |
sie gedauert haben. | |
Als "absolut surrealistische Typen" mit Che-Guevara-T-Shirts schilderte | |
später Betancourt die Agenten. Zwei Farc-Leute seien ebenfalls zugestiegen, | |
in der Luft seien sie von der Besatzung des Hubschraubers überwältigt | |
worden. Deren Anführer habe gerufen: "Wir sind vom nationalen Heer. Sie | |
sind frei!' | |
Auf dem Flughafen dankte sie Präsident Álvaro Uribe, dass er das Risiko | |
einer militärischen Befreiungsaktion eingegangen sei: "Lieber sterben, wenn | |
man die Freiheit, und sei es auch nur für eine Sekunde, mit den Händen | |
greifen kann, als durch ein Hinrichtungskommando der Guerilla". | |
Betancourt, die auch die französische Staatsangehörigkeit hat, zeigte sich | |
in erstaunlich guter Verfassung. Ihre Mutter Yolanda Pulecio hielt sie fest | |
umschlungen, den Ehemann Juan Carlos Lecompte empfing sie hingegen betont | |
kühl. Zwischendurch telefonierte sie mit ihren Kindern in Paris und | |
bedankte sich bei Präsident Nicolas Sarkozy und dessen Vorgänger Jacques | |
Chirac. | |
Es war ein scharfer Kontrast zu jenem Ende November veröffentlichten Video, | |
auf dem sie abgemagert und tieftraurig ausgesehen hatte. Gerüchte, wonach | |
sie schwer an mehreren Tropenkrankheiten erkrankt sei, stellten sich nun | |
als lancierte Falschmeldungen heraus. | |
Auf den Straßen der Hauptstadt feierten Tausende spontan die Befreiung. | |
Staatschef Uribe sagte auf einem Empfang für die Geiseln, auf die | |
zurückgebliebenen Guerilleros sei nicht geschossen worden, weil man "an der | |
Freiheit der Entführten und nicht an Blutvergießen" interessiert gewesen | |
sei. Außerdem habe man den Farc die Botschaft übermitteln wollen, die | |
verbliebenen Geiseln gut zu behandeln und freizulassen. In der Gewalt der | |
Farc sind noch um die 700 Entführte. | |
Betancourt war im Februar 2002 mitten im Wahlkampf von den Farc verschleppt | |
worden. Die drei US-Söldner Marc Gonsalves, Thomas Howes und Keith | |
Stansell, die im Auftrag Washingtons am Antidrogenkrieg in Kolumbien | |
beteiligt waren, befanden sich seit 2003 in der Gewalt der Guerilla. Auf | |
dem Militärflughafen spielten sie eine ähnliche Statistenrolle wie die | |
befreiten vier Polizisten und sieben Soldaten, die teilweise fast zehn | |
Jahre lang im Dschungelknast ausharren mussten. | |
US-Botschafter William Bownfield sagte in einem CNN-Interview: "Es war eine | |
kolumbianische Aktion, ein kolumbianischer Plan und ein kolumbianisches | |
Konzept, das von den kolumbianischen Streitkräften umgesetzt wurde." | |
Allerdings hätten die USA "etwa zwei Wochen lang" eng mit den Kolumbianern | |
zusammengearbeitet und sie in "einigen technischen Aspekten" unterstützt, | |
sagte er kryptisch. | |
Dass Ingrid Betancourt bereits wieder politische Ambitionen hegt, konnte | |
sie bei allem Lob für den "sehr guten Präsidenten" Uribe nicht | |
verheimlichen. "Nur Gott weiß das", antwortete sie auf eine Frage nach | |
einer erneuten Kandidatur für das höchste Staatsamt. Und: "Ich bin nicht | |
mit allem einverstanden, was der Präsident getan hat." | |
3 Jul 2008 | |
## AUTOREN | |
Gerhard Dilger | |
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