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# taz.de -- Ingmar Bergman-Woche auf Farö: Wilde Erdbeeren, derbe Flüche
> Der schwedische Regisseur lebte und arbeitete viele Jahre auf der
> Ostseeinsel Fårö. Jedes Jahr zu Beginn des Sommers erinnert die
> Bergman-Woche an ihn.
Bild: Ingmar Bergman und seine Gefährtin Liv Ullmann genießen den Sommer 1972…
Letzte Woche bin ich auf Fårö gewesen. Einmal im Jahr, Ende Juni, Anfang
Juli, findet auf der Insel östlich von Gotland die "Bergmanveckan" statt,
ein einwöchiges Festival mit Filmen, Musik, Lesungen, Ausstellungen,
internationalen Gästen, Debatten. Es dreht sich dabei viel, aber nicht
alles um Ingmar Bergman, der 2007 starb und vorher auf der Insel einen
Großteil seines Lebens zugebracht hatte. Einige seiner Filme sind hier
gedreht worden, neben "Wie in einem Spiegel" und "Persona" auch die beiden
Dokumentarfilme, "Fårö-dokument 1969" und "Fårö-dokument 1979".
Von Stockholm fliegt man etwa eine halbe Stunde nach Visby. Dort, auf
Gotland, warten die beiden Leihwagen, deutsche Fabrikate, und schwedische
Begleiterinnen fahren uns Journalisten zur Fähre nach Fårö. Eingeladen hat
uns das Schwedische Institut, eine staatliche Behörde, die damit betraut
ist, im Ausland das Interesse an Schweden zu fördern. Ein Caterer kann uns
gerade noch Sandwichs rüberreichen, da, schwupps, ist die Fähre schon in
voller Fahrt unterwegs. Zehn Minuten später legen wir auf der Insel an, und
nach kurzer Fahrt zum Bygdegården, dem Gemeindezentrum, geht die
Bergmanwoche für uns los. Der Kameramann Lars von Triers, Manuel Alberto
Claro, hält einen Vortrag, er erzählt, dass von Trier beim Drehen seines
neuen, in Cannes vorgestellten Films "Melancholia" nie einen zweiten Take
wollte. Keine Korrekturen, damit der Film bloß nicht zu schön werde. Das
Bygdegården ist bis auf den letzten Platz besetzt, am vorigen Abend war
"Melancholia" gezeigt worden, und auch wegen uns Berichterstattern,
vermutlich aber vor allem wegen der Touristen und Bergmanfans aus aller
Herrn Länder, wird kein Schwedisch gesprochen, sondern gebrochenes
Englisch.
Die Bergmanwoche gibt es seit fast zehn Jahren, und ihr Fokus hat sich mit
den Jahren verändert, erzählt später die Leiterin des Festivals, Jannike
Åhlund, die vorher das größte Filmfestival Schwedens in Göteborg
dirigierte. War es erst immer nur um Bergman und sein Werk gegangen, wird
jetzt versucht, Bezüge herzustellen zwischen Bergman, anderen,
gegenwärtigen Kinematografien und Fårö. Es ist das kleinste Filmfestival
Schwedens, und man will nicht nur nicht wachsen, man kann es auch gar nicht
ohne Weiteres, denn es fehlt an Gebäuden und Infrastruktur auf einer Insel,
auf der nur etwa 500 Leute leben.
Jetzt fahren wir zu Bergmans Haus. Ein Norweger hat es gekauft und auch
Teile des Besitzes, der sich nach Bergmans Tod in die Welt zerstreute, mit
Rückkäufen wieder zusammengetragen. Die Bergmanstiftung des Norwegers
vergibt Stipendien, mit denen Arbeitsvorhaben realisiert werden können,
aber man kann sich kaum vorstellen, dass in Bergmans Haus jemand anderes
arbeiten könnte. Die Räume sind sehr asketisch und zweckhaft eingerichtet,
vor allem das Arbeitszimmer. Das ist ein klösterlicher Raum, wie eine
Mönchszelle, die den Blick nach außen blockiert und alles ins Innere
richtet. Damit am Schreibtisch der Blick aufs Meer nicht ablenkt, ist das
frontal der See zugewandte Fenster nach oben versetzt worden. In Bergmans
Schlafzimmer steht ein Beistelltisch, auf dessen weißlackiertem Holz er aus
Träumen aufwachend seine Gedanken notierte. Später erfahre ich, dass diese
Einträge fast alle derbe Flüche sind.
In der Bibliothek findet sich erwartungsgemäß eine große
Strindberg-Ausgabe, aber auch das Westernlexikon von Joe Hembus. Bergman
wird es in seiner Zeit in Deutschland gekauft haben, nachdem er Mitte der
70er vor dem schwedischen Finanzamt nach München ans Theater geflüchtet
war. In der wohlsortierten Privatvideothek (Bergman misstraute DVDs und hat
diesen Medienwechsel nicht mitgemacht) staunen wir über die Masse
amerikanischer Filme. Keiner von uns hätte John McTiernans "Die Hard", den
ersten Teil der Trilogie mit Bruce Willis, in dieser Sammlung vermutet.
Wir stoppen für einen kurzen Imbiss, es gibt Kaffee, Gebäck und wilde
Erdbeeren. Diese Erdbeeren schmecken unglaublich! Sie sind fest und
fleischig und saftig und süß. Tagelang will ich nichts anderes mehr essen
als wilde schwedische Erdbeeren. Später dürfen wir schwedische Kurzfilme
schauen, im örtlichen, öffentlich zugänglichen Kino.
Kino heißt "Bio" in Schweden, die Abkürzung für "Biograf". Der Film "Late
on Earth" von John Skoog begeistert mich: enigmatische Fragmente von
Aufwachsenden, fußballspielende Mädchen in sattem Grün, Hunde, die den
Bällen und den Mädchen hinterherhetzen, Jungs, die im Zwielicht
Feuerwerkskörper auf Vorortstraßen knallen lassen, und ein älteres Mädchen,
das atemlos an Gleisen entlang Bäumen und Sträuchern eilt, und als in der
letzten Einstellung endlich ein Zug vorbeifährt, nutzt das Mädchen dies
Vorbeifahren und die mitreißenden Geräusche und Vibrationen, die den Film
nun erfüllen, zu einem überlagerten Schrei, der den enigmatisch dunklen
Sinn des Vorhergegangenen nicht aufhellt, aber einen tollen, bewegenden
Kinomoment erzeugt. Später am Abend könnten wir in einer Creperie, die
aussieht, als sei sie aus einem Kaurismäkifilm entwendet, Crepes und
Galettes essen, die Kerouac, James Dean und Liz Taylor heißen, und Wein bis
zum Abwinken trinken. Aber wir sind alle müde, manche gejetlagt, und am
anderen Morgen geht es schon um 8 Uhr weiter mit Filmgucken in Ingmar
Bergmans Privatkino, das Dämba heißt.
Bergman hatte sich Anfang der 70er ein Studio auf der Insel aufgebaut und
dort auch Teile von "Szenen einer Ehe" gedreht, dabei aber gemerkt, dass
das Haus als Studio nicht taugte. Es war nicht groß genug fürs Filmemachen,
also hat er es fürs Filmegucken zu einem Kino umbauen lassen. 15 grüne
Sessel stehen darin. Jeden Nachmittag um 15 Uhr gab es eine Vorführung und,
so heißt es, auch die Inselbewohner durften mitgucken, umsonst. Vorne
rechts war Bergmans Platz, da steht eine Fußbank davor. Der Sessel musste
immer frei bleiben für ihn, und auch nach seinem Tod hält man es so.
## 15 grüne Sessel
Es ist angenehm, in diesem nicht der Öffentlichkeit zugänglichen Kino neue
schwedische Spielfilme angucken zu dürfen. "Beyond", von Pernilla August,
einer ehemaligen Bergmanschauspielerin, ist besonders schön und bewegend.
Der Film handelt von einer unglücklichen Kindheit in den 70ern, von
Enttäuschungen, Schlägen und Narben, von Alkoholismus und Verderben, und
erzählt ist er aus der Perspektive einer Frau, die, konfrontiert mit dem
Sterben ihrer Mutter, in diese Kindheit zurücktauchen muss, vor der sie ihr
Leben lang geflohen war.
1960 hatte Bergman einen Handlungsort gesucht für "Wie in einem Spiegel"
und war auf Fårö gestoßen. Mitte der 60er hat er sich dann, ganz versteckt
in einem Waldstück, sein Haus gebaut. Wenn Bergmanfans die Bewohner nach
dem Weg dorthin fragten, wurden sie in die Irre geleitet. Am besten stellt
man sich diese raue, windige, steinige Insel wie in den Filmen in Schwarz
und Weiß vor. Die Landschaft ist nicht besonders vielfältig, und man kann
sich vorstellen, dass Bergman gerade an dieser Monotonie Gefallen fand.
Ihre Sensation ist ihre Sensationsarmut. Aufgrund des Eintönigen heben sich
die wenigen, wie aus dem Nichts auftauchenden expressiven Elemente - das
Meer, der Wind, die Steine in allen möglichen Formen und Größen - besonders
unmittelbar ab.
Die Natur bisweilen wie aus dem Nichts auftauchen zu lassen ist ein Effekt,
der oft in den Filmen Bergmans vorkommt, vor allen in denen aus den 50er
und 60er Jahren. Später hat er auch diese Naturvorkommen immer stärker
reduziert. In "Saraband" von 2003, seinem letzten Film, gibt es zu Beginn
drei Naturtotalen, die jeder andere Film langsam weittragend und elegisch
behandelt hätte. In "Saraband" aber sind die Naturbilder hektisch und
nachlässig hintereinander geschnitten, sie überrumpeln und fallen sich
widersprechend ins Wort, so als mache der Film sich lustig über das
Bedürfnis nach Verortung einer identifzierbaren Umwelt für Figuren in
Filmen.
An dem expressiven Strandstück im Osten der Insel, an dem Liv Ullman und
Bibi Anderson in "Persona" entlanggehen, sind die Steine eigentlich
scharfkantig, aber die Figuren gehen auf ihnen, als sei es ein Leichtes.
7 Jul 2011
## AUTOREN
Michael Baute
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