| # taz.de -- In der DDR geschiedene Frauen: "Wir sind nicht die Assis der Ossis!" | |
| > Heute leben Frauen, die in der DDR geschieden wurden, oft an der | |
| > Armutsgrenze. Eine Sonderregelung um ihre Renten fair zu berechnen lässt | |
| > auf sich warten. | |
| Bild: Nicht konsequent abgerechnet: Rentenansprüche für in der DDR geschieden… | |
| LEIPZIG taz | "Wenn ich morgens zum Bäcker gehe und die Politiker von ihren | |
| Wahlplakaten auf mich herunterlächeln, habe ich das Gefühl, dass sie zu mir | |
| sagen: Dein Elend interessiert mich überhaupt nicht!" Die 68-jährige | |
| Annelies Staack aus Wismar ist eine von 450.000 Frauen, die in der DDR | |
| geschieden wurden und durch das Zusammenspiel mehrerer Gesetzeslücken an | |
| der Armutsgrenze leben. | |
| 25 Jahre lang war sie verheiratet, bis ihr Mann sie 1986 für eine jüngere | |
| Frau verließ. Die ersten Ehejahre hatte Annelies Staack als ausgebildete | |
| Friseurin die Familie versorgt, während ihr Mann die Fachhochschule | |
| besuchte. Später war sie als "mithelfende Ehefrau" im familieneigenen | |
| Elektrohandwerksbetrieb tätig und kümmerte sich um die beiden Kinder. Nach | |
| einer Zusatzausbildung zur Industriekauffrau arbeitete sie bis zur Wende | |
| vollbeschäftigt. Heute lebt Annelies Staack von 575 Euro Rente im Monat. | |
| Während in der Bundesrepublik seit 1977 der Versorgungsausgleich nach einer | |
| Scheidung eine faire Rentenberechnung für gemeinsame Ehejahre garantierte, | |
| spielte die Familiensituation für die Rentenberechnung in der DDR keine | |
| Rolle. Lediglich die letzten 20 Arbeitsjahre eines jeden Bürgers und ein | |
| freiwilliger Versicherungsbeitrag wurden zur Berechnung herangezogen. | |
| Verständlich, dass viele Ehepaare, wie Familie Staack, ihr gemeinsames | |
| Leben nach dieser Rentenregelung der DDR ausrichteten. Oft gingen die | |
| Männer arbeiten, während die Frauen für die Kindererziehung ihr Berufsleben | |
| aussetzten. | |
| Dass für in der DDR geschiedene Frauen aufgrund dieser Gesetzeslage eine | |
| Sonderlösung gefunden werden muss, war auch den Urhebern des | |
| Einigungsvertrags bewusst. Darin heißt es: Für die Rentenberechnung der in | |
| der DDR Geschiedenen müsse noch eine "spezialgesetzliche Regelung" | |
| erfolgen, sobald die Angleichung der Rentensysteme abgeschlossen sei. Der | |
| Einigungsvertrag trat am 29. September 1990 in Kraft, 1991 folgte das | |
| Rentenüberleitungsgesetz. Für eine "spezialgesetzliche Regelung" kämpfen | |
| die betroffenen Frauen bis heute. | |
| Hätte Hanna Kirchner im Westen Deutschlands gelebt, bekäme sie als | |
| geschiedene Frau eines Arztes gut das Fünffache ihrer jetzigen Rente. Heute | |
| erhält die 71-jährige Magdeburgerin 796 Euro monatlich - obwohl sie | |
| insgesamt 35 Jahre gearbeitet und einen Sohn und eine schwerhörige Tochter | |
| großgezogen hat. | |
| "Es ist schwer, mit so wenig Geld am gesellschaftlichen Leben | |
| teilzunehmen", gibt Kirchner zu. "Ein Theaterbesuch oder ein Zeitungsabo | |
| will da gut überlegt sein." | |
| Das Scheidungsrecht der DDR erklärte die wirtschaftlichen Beziehungen | |
| zwischen geschiedenen Eheleuten für gänzlich beendet. Unterhaltszahlungen | |
| waren nur für gemeinsame Kinder vorgesehen, nicht aber für den geschiedenen | |
| Ehepartner. Durch die mangelnde finanzielle Unterstützung des geschiedenen | |
| Mannes leben die meisten der betroffenen Frauen heute am Rande des | |
| Existenzminimums: Im Durchschnitt bekommen sie 620 Euro Rente im Monat. | |
| Nicht nur Geschiedene sind durch die Nichtbeachtung im | |
| Rentenüberleitungsgesetz finanziell benachteiligt. Insgesamt 17 soziale | |
| Gruppen sind betroffen, unter anderem Krankenschwestern, Künstler und | |
| Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes der DDR. Für sie galten im | |
| DDR-Rentensystem Sonderprivilegien, die bei der Angleichung keine Beachtung | |
| fanden. Beispielsweise konnten Mitglieder des Staatsballetts nach ihrem | |
| Ausscheiden in der DDR eine vorgezogene Berufsrente erwarten. Heute haben | |
| sie nur einen Anspruch auf Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsrente. | |
| Die geschiedenen Frauen trifft es besonders hart: "Wir sind nicht aufgrund | |
| unserer Berufswahl betroffen, sondern auf Grund persönlicher | |
| Lebensentscheidungen", erklärt Annelies Staack den hohen emotionalen Faktor | |
| dieses Konflikts. "Wir Frauen haben uns bewusst dafür entschieden, für | |
| unsere Familien da zu sein. Auch Familienleistung ist Arbeit. Dass diese | |
| Leistung heute nicht anerkannt wird, ist diskriminierend." | |
| Im Jahr 1999 gründete sich der "Verein der in der DDR geschiedenen Frauen". | |
| Sie sprachen mit Medienvertretern und Politikern. Eine interministerielle | |
| Arbeitsgruppe wurde gebildet, mit dem Ziel, eine schnelle Lösung für die | |
| Frauen zu finden. Drei Jahre später das ernüchternde Ergebnis: Neben einem | |
| erheblichen verwaltungsrechtlichen Aufwand würde jede Lösung in der | |
| Konsequenz neues Unrecht hervorrufen. Es bleibt beim Status quo. | |
| Auch wenn die meisten Betroffenen die Wende befürwortet haben und nicht | |
| wieder in der DDR leben wollen würden, fühlen sie sich aus der Einheit | |
| Deutschlands ausgeschlossen: "Wir sind nicht die Assis der Ossis", so die | |
| 69- jährige Vereinssprecherin Ute Lauterbach aus Berlin. "Es war keine | |
| persönliche Entscheidung, in der DDR zu leben. Heute, 20 Jahre später, wird | |
| unsere Rente, unser Eigentum einfach mit bundesdeutschem Recht | |
| plattgemacht." | |
| Schon bei der Überleitung der Rentenversicherung erlagen Politiker und | |
| Experten der irrigen Annahme, dass Frauen in der DDR ihre Erwerbstätigkeit | |
| nur selten zugunsten der Betreuung ihrer Kinder unterbrochen oder | |
| eingeschränkt hätten. Bis heute hält sich die Vorstellung der arbeitenden | |
| Frau, deren Kinder in Krippe, Kindergarten und Hort gut versorgt wurden. | |
| Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin | |
| belegt, dass dies aber erst ab den Siebzigerjahren flächendeckend zutraf. | |
| Bis dahin hatte gut die Hälfte aller Frauen in der DDR ihre Kinder selbst | |
| betreut. | |
| Nicht nur die Exekutive des geeinten Deutschlands scheint das Problem zu | |
| ignorieren: Eine Gemeinschaftsklage wurde vom Bundesverfassungsgericht | |
| abgelehnt, weil die Kläger angeblich den falschen Instanzenweg gewählt | |
| hatten. Sie hätten vor das Familiengericht und nicht vor das Sozialgericht | |
| ziehen müssen. | |
| Anfang September dieses Jahres wurde eine zweite Verfassungsbeschwerde | |
| abgewiesen. Die Karlsruher Richter entschieden, die Klage nicht zur | |
| Entscheidung anzunehmen, weil für eine Bearbeitung die Angaben zur | |
| Erwerbsbiografie des geschiedenen Mannes fehlten - auf diese hat die | |
| Klägerin keinen Zugriff. | |
| Für Vereinssprecherin Ute Lauterbach ist klar: Die staatlichen Stellen | |
| verfolgen eine Verzögerungstaktik und hoffen auf eine biologische Lösung. | |
| 1989 waren 800.000 Frauen von dem Problem betroffen. Fast die Hälfte von | |
| ihnen ist inzwischen gestorben. In persönlichen Gesprächen bedauern | |
| Politiker die Situation der Geschiedenen zwar ausdrücklich, aber keiner hat | |
| bislang etwas für sie bewirken können. | |
| Auch die Bundestagsabgeordnete Irmingard Schewe-Gerigk von den Grünen ist | |
| sich des Problems erst durch Gespräche mit den betroffenen Frauen bewusst | |
| geworden. "An dieser Stelle muss der Staat eingreifen und ein Stück | |
| Gerechtigkeit schaffen. Das gilt natürlich genauso für die wenigen | |
| geschiedenen Männer, die betroffen sind." | |
| Die Grünen stellten 2007 als erste Partei eine Anfrage an die | |
| Bundesregierung. Die Linken folgten mit einem Lösungsvorschlag: Ein | |
| fiktiver Versorgungsausgleich, finanziert durch Steuergelder, sollte | |
| nachträglich für Gerechtigkeit sorgen. | |
| Nachdem die Frauen jahrelang vergeblich auf eine spezialgesetzliche | |
| Regelung gehofft hatten, beschlossen sie im Oktober 2008, den Druck auf die | |
| Politiker zu erhöhen und in die Öffentlichkeit zu gehen. Leipzig wurde zum | |
| Zentrum mehrerer Proteste; zuletzt verabschiedeten die Frauen im März | |
| dieses Jahres eine Resolution an die Mitglieder des Bundestages. | |
| Die Aktionen der Betroffenen scheinen Erfolg zu haben: Am 4. Mai fand in | |
| dieser Sache im Bundestag eine Anhörung der Sachverständigen des | |
| Ausschusses für Arbeit und Soziales statt. Zur Debatte stand ein Antrag der | |
| Grünen zur Verbesserung der Versorgung der Geschiedenen aus den neuen | |
| Bundesländern. Hinzu kamen 17 Anträge der Linksfraktion sowie ein Antrag | |
| der FDP. Beide Fraktionen forderten eine verbesserte Altersversorgung für | |
| die durch das Rentenüberleitungsgesetz benachteiligten Gruppen. | |
| Am 28. Mai warteten die Frauen gespannt auf das namentliche | |
| Abstimmungsergebnis der von den Linken vorgeschlagenen "Gerechten Lösung | |
| für die rentenrechtliche Situation von in der DDR Geschiedenen". Doch gegen | |
| 57 Jastimmen standen 421 Neinstimmen und 88 Enthaltungen. Auch die Anträge | |
| der Grünen und der FDP erhielten keine Mehrheit. Schließlich scheiterte vor | |
| wenigen Wochen ein Petitionsverfahren. | |
| "Im Bundestag sind damit alle Messen gesungen - wir erwarten nichts mehr | |
| von den deutschen Politikern", sagt Vereinssprecherin Ute Lauterbach. | |
| Akzeptabel ist das Ergebnis für sie nicht. In der Rentenberechnung sieht | |
| sie nicht nur einen Bruch des Einigungsvertrages, sondern auch eine | |
| Verletzung des Gleichberechtigungsprinzips des Grundgesetzes. | |
| Jetzt bleibt den Frauen nur noch eine Anhörung vor den Vereinten Nationen: | |
| Diese wollen nun überprüfen, ob ein Verstoß gegen das internationale | |
| Übereinkommen der UN zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der | |
| Frau vorliegt. Sollten die Forderungen der in der DDR geschiedenen Frauen | |
| hier auf Zuspruch treffen, müssten die deutschen Politiker handeln. | |
| 8 Oct 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Sarah Alberti | |
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