# taz.de -- Imperiale Konflikte nach 1945: Diplomatie und Abschreckung | |
> Die andere Seite rätseln lassen, wo die Grenze zwischen Bluff und | |
> Vabanquespiel verlief, so funktionierte die Logik des kalten Kriegs. | |
Bild: Über das "schreckliche Gefühl, dass wir kurz vor einem Krieg stehen" sc… | |
"Jede historische Situation ist einzigartig, obwohl einige einzigartiger | |
sind als andere", schreibt Vojtech Mastny in seinem Beitrag. Gemeint ist, | |
dass im Kalten Krieg alle Beteiligten vor einer historisch beispiellosen | |
Herausforderung standen - nämlich Mittel und Wege des Umgangs mit der | |
"absoluten Waffe" finden zu müssen, einer Waffe, die zwar das militärische | |
Drohpotential ins Unermessliche steigerte, aber den Krieg als Mittel der | |
Politik entwertete, weil die Vernichtung des Feindes nur um den Preis der | |
eigenen Auslöschung zu erreichen gewesen wäre. Dass ihre bloße Existenz den | |
Akteuren in Ost wie West Zurückhaltung auferlegte und zu Rücksichten zwang, | |
die man unter anderen Umständen möglicherweise nicht genommen hätte, ist | |
kaum zu bezweifeln. | |
Anders als in "vornuklearen Zeiten", in denen die Kombination von | |
Rüstungswettläufen und zwischenstaatlichen Konflikten fast regelmäßig im | |
Krieg mündeten, blieb der Welt nach 1945 das Äußerste erspart. Doch kann | |
die Rede vom "stabilen Frieden" auf der nördlichen Halbkugel trotz | |
landläufigen Repetierens nicht überzeugen. Sie erklärt weder die | |
Risikobereitschaft der Supermächte zur Zeit des Kalten Krieges noch | |
beantwortet sie die Frage, warum ausgerechnet in dieser Zeit Krisen | |
wiederholt in kriegsträchtiger Weise eskalierten. Jeremi Suri verweist | |
deshalb mit gutem Grund auf die Kehrseite des Problems: dass die Präsenz | |
von Massenvernichtungswaffen nicht allein als Einschränkung der Macht, | |
sondern in gleichem Maße als Gelegenheit zur Ausweitung und Projektion von | |
Macht begriffen wurde. | |
Er markiert damit den archimedischen Punkt im Zentrum der Krisen des Kalten | |
Krieges: Beide Seiten hatten es auf eine Schärfung der stumpfen Waffe | |
angelegt und trachteten danach, aus dem militärisch Wertlosen politischen | |
Mehrwert zu schlagen. So meldeten die USA und die UdSSR, wie Jeremi Suri | |
betont, geopolitische Ansprüche an und gingen Verpflichtungen ein, die sie | |
sich als konventionell gerüstete Mächte schwerlich hätten leisten können. | |
Zu beobachten ist der selbst verordnete Aufstieg in eine politisch "höhere | |
Gewichtsklasse", ablesbar an der propagandistischen Karriere des Adjektivs | |
"vital". Selten kam die Rede über vermeintlich "lebenswichtige Regionen" | |
jenseits der eigenen Grenzen derart häufig und penetrant zum Zuge wie im | |
Kalten Krieg. Auf diese Weise wurden nicht nur zusätzliche Reibungspunkte | |
geschaffen. Beide Seiten hatten sich überdies den Zwang zur | |
kontinuierlichen Beglaubigung ihres Status auferlegt und neigten zur | |
übermäßigen Investition symbolischen Kapitals. "Overload the enemy", wie es | |
in der Sprache der Administration Eisenhower hieß. | |
Das Ergebnis war, dass ein aus allen historischen Epochen bekanntes Problem | |
über die Maßen aufgebläht wurde: Glaubwürdigkeit. Als unzuverlässig, bei | |
der Verfolgung seiner Interessen unentschieden oder gar schwach | |
wahrgenommen zu werden, galt mehr denn je als inakzeptabel. Wort zu halten, | |
das Gesicht nicht zu verlieren, gegenüber Freunden stets verlässlich und | |
gegenüber Feinden gleichermaßen unmissverständlich aufzutreten - im Kalten | |
Krieg geriet der Kampf um die wichtigste psychologische Ressource der Macht | |
zu einem psychologischen Abnutzungskrieg. | |
Folglich weisen Krisen des Kalten Krieges stets über ihren konkreten Ort | |
und Anlass hinaus. Sie wurden nicht allein als lokal und zeitlich begrenzte | |
Konflikte wahrgenommen, sondern über den Tag hinaus im Koordinatensystem | |
einer globalisierten Auseinandersetzung verortet. Wer es einmal an | |
Durchsetzungsfähigkeit und Führungsstärke vermissen ließ, so die in Ost wie | |
West dominante Haltung, verschaffte der Gegenseite einen in die Zukunft | |
weisenden Positionsvorteil und lud zu Provokationen andernorts ein. | |
Beispiel Korea: Im Grunde hätte der Krieg nach der Wiederherstellung des | |
territorialen Status quo ante im Frühjahr 1951 beendet werden können. Warum | |
dennoch zwei Jahre weiter gekämpft wurde, ist mit dem aberwitzigen Konflikt | |
über die Repatriierung von Kriegsgefangenen nicht hinreichend zu erklären. | |
Plausibler scheint, dass der VR China und Stalin an einem Exempel für | |
künftige Konflikte in der Dritten Welt gelegen war. Und dass die Regierung | |
Truman im Vertrauen auf die einschüchternde Kraft ihres | |
Atomwaffenpotentials glaubte, den Preis der Abschreckung vor weiteren | |
Aggressionen in die Höhe treiben zu müssen. | |
Knapp 20 Jahre später hallte das Echo dieser Politik noch deutlich nach. | |
Zwar verzichtete Richard Nixon im April 1969 darauf, Nordkorea den Abschuss | |
eines US-Aufklärungsflugzeuges mit gleicher Münze heimzuzahlen. Aber das | |
von Henry Kissinger so genannte "verknüpfte Denken" galt, wie Mitchell B. | |
Lerner belegt, gleichwohl als Richtschnur. Der Präsident: "Kissinger und | |
ich waren weiterhin der Auffassung, dass Vergeltungsschläge wichtig seien. | |
Sie wären ein Signal dafür, dass die Vereinigten Staaten zum ersten Mal | |
seit Jahren wieder Selbstvertrauen haben. Sie würden unsere Verbündeten | |
moralisch stärken und unseren Feinden zu denken geben." | |
Unabhängig davon, wo Krisen inszeniert wurden, und egal, welche Mittel zum | |
Einsatz kamen, das Dilemma des Nuklearzeitalters blieb stets das gleiche. | |
Atomwaffen konnten allenfalls politischen Gewinn abwerfen, wenn die Angst | |
vor der Bombe nicht als Verängstigung in Erscheinung trat, wenn man den | |
Gegner herausforderte und über die eigenen Absichten im Unklaren ließ. So | |
wollte John Foster Dulles sein viel zitiertes Diktum über Staatskunst im | |
Nuklearzeitalter verstanden wissen: Wenn nötig, sich dem Abgrund nähern, | |
ohne zum Äußersten entschlossen zu sein, aber die andere Seite rätseln | |
lassen, wo die Grenze zwischen Bluff und Vabanquespiel verlief. "Eines | |
Tages, sagte er, könnte der Zeitpunkt kommen, wo er das größtmögliche | |
Risiko würde eingehen müssen, um ,davon zu überzeugen, dass Entgegenkommen | |
nichts mit Demütigung zu tun habe. Er muss uns in Aktion sehen.'" Dieses | |
von John F. Kennedy überlieferte Zitat könnte man ausweislich seines | |
Auftretens in den Jahren 1956 bis 1962 auch Nikita Chruschtschow | |
zuschreiben. Oder dem Duo Breschnew/Mao, wenn wir den Ausführungen Sergej | |
Radchenkos folgen. Selbst zu Zeiten der Entspannung hatte das Kalkül mit | |
dem Unkalkulierbaren, die Rationalisierung des Irrationalen, einen festen | |
Platz im Inventar der Außenpolitik - Oliver Werner und Mitchell B. Lerner | |
weisen darauf hin. Ein Staat, so Richard Nixon und Henry Kissinger, der aus | |
Angst vor atomarer Selbstvernichtung darauf verzichtet, bei der Verfolgung | |
seiner Interessen militärischen Druck geltend zu machen, verdammt sich | |
langfristig zur politischen Ohnmacht. Handlungsfähig bleibt er nur, wenn | |
Dritte sich seiner Zurückhaltung nicht sicher sein können. Wer indes bereit | |
ist, den "Madman" zu spielen, Verrücktes zu tun und den Anschein zu | |
erwecken, dass die Dinge außer Kontrolle geraten könnten, findet zum Kern | |
des Politischen zurück: nicht sich selbst, sondern andere abzuschrecken. | |
Ohnehin zeigt sich bei genauerer Betrachtung, dass die Krisen an der | |
mitteleuropäischen Zentralfront des Kalten Krieges mit größerer Umsicht | |
gehandhabt wurden, als es die aufgeladenen Redeschlachten der Zeit vermuten | |
lassen. Stalin hatte es 1948 nicht auf eine bedingungslose Konfrontation in | |
Berlin angelegt. Andernfalls hätte er nicht nur die Zufahrtswege, sondern | |
auch die Luftkorridore blockiert. In anderen Worten: Die Luftbrücke | |
funktionierte, weil Stalin sie funktionieren ließ; Harry Truman konnte sein | |
Wort verpfänden und bedingungslose Sicherheitsgarantien abgeben, weil der | |
Diktator im Kreml auf den letztendlichen Test US-amerikanischer | |
Glaubwürdigkeit verzichtete und sich stattdessen von Anfang bis Ende "exit | |
options", Ausstiegsoptionen, offenhielt. Indem die USA ebenfalls darauf | |
verzichteten, ihr Gegenüber in eine ausweglose Enge zu treiben, leisteten | |
sie einen nicht minder wichtigen Beitrag zur Eindämmung des Risikos. Dieser | |
Linie folgte auch Chruschtschow. Wiewohl alles andere als konfliktscheu, | |
blieb er doch berechenbar und betrieb seit 1958 eine auf die Auslotung | |
seiner Möglichkeiten gerichtete Politik der Nadelstiche. Und hielt die | |
Führung der DDR, die aus einer Zuspitzung der Situation glaubte | |
innenpolitischen Gewinn ziehen zu können, erfolgreich im Zaum. | |
Obgleich die Hintergründe und Anlässe ganz anderer Art waren, lassen sich | |
ähnliche Politikmuster in den Jahren 1953, 1956, 1968 und 1980/81 | |
ausmachen. Allen Befürchtungen zum Trotz, dass die Unruhen in der DDR auf | |
das eigene Land übergreifen und dem nach Stalins Tod aufflackernden | |
Widerstand in Zwangsarbeiterlagern über Sibirien hinaus neue Nahrung geben | |
könnten, blieb Moskau im Juni 1953 lange Zeit im Hintergrund und griff erst | |
ein, als die ostdeutschen Organe vollends die Kontrolle verloren hatten. | |
Offensichtlich gründete das wochenlange Zuwarten nicht zuletzt in der | |
Absicht, die deutsche Frage offenzuhalten und keinen kontraproduktiven | |
Konflikt mit den Westmächten zu riskieren (Mark Kramer). Gut drei Jahre | |
später, am 30. Oktober 1956, verwarf das Politbüro einstimmig eine | |
militärische Intervention in Ungarn. Um die verbesserten Beziehungen zum | |
Westen nicht aufs Spiel zu setzen, erwog man gar einen "semiautonomen | |
Status" für Ungarn samt einem "begrenzten Pluralismus". Dass der Beschluss | |
binnen 24 Stunden revidiert wurde, führt Charles Gati hauptsächlich auf die | |
Gewaltexzesse auf dem Platz der Republik und den Umstand zurück, dass die | |
in jeder Hinsicht überforderte Regierung Nagy ihre Möglichkeiten zu inneren | |
Reformen nicht zu nutzen verstand. | |
Auch hinsichtlich der CSSR und Polens kann von einer ausschließlich auf die | |
Repression des Widerstandes fixierten und bedenkenlos das internationale | |
Umfeld ignorierenden Politik keine Rede sein. In Polen war das Gegenteil | |
der Fall. Wie bei allen osteuropäischen Unruhen in den Jahrzehnten zuvor | |
wollte Moskau den einheimischen Eliten die Gelegenheit zur Reform geben und | |
stimmte der Gründung freier, von der KP unabhängiger Gewerkschaften samt | |
der Anerkennung des Streikrechts ausdrücklich zu. Um die wegen der Invasion | |
in Afghanistan ohnehin angespannte Lage nicht noch weiter anzuheizen, | |
verwarf das Politbüro Anfang Dezember 1981 die Überlegungen für eine | |
militärische Intervention. Insofern entbehrt General Jaruzelskis | |
Behauptung, mit der Verhängung des Kriegsrechts einer unmittelbar | |
bevorstehenden Eskalation zuvorgekommen zu sein, jeder Grundlage. Inwiefern | |
im Kreml auch die Überlegung eine Rolle spielte, dem Westen keine | |
zusätzlichen Argumente für die geplante Stationierung neuer | |
Mittelstreckenraketen in Westeuropa und eine neue Runde des Wettrüstens an | |
die Hand zu geben, ist eine nahe liegende, ausweislich der verfügbaren | |
Quellen aber nicht zu beantwortende Frage. Ein beiderseitiges Bemühen um | |
Risikokontrolle und berechenbares Krisenverhalten lässt sich auch und | |
gerade außerhalb Europas beobachten. Entgegen dem Rat gewichtiger | |
Mitglieder seines Krisenstabes entschloss sich John F. Kennedy im Oktober | |
1962 nicht zu einer Invasion Kubas und verwarf auch die mit Nachdruck | |
eingeforderte Bombardierung der sowjetischen Raketenstellungen. Mit der | |
Seeblockade wollte er für sich selbst Zeit gewinnen und überdies | |
Chruschtschow Zeit zum Rückzug geben. Wie lange Kennedy dem internen Druck | |
hätte widerstehen können oder ob er tatsächlich bereit gewesen wäre, für | |
eine diplomatische Lösung einen hohen politischen Preis zu zahlen, ist | |
ausweislich der Sitzungsprotokolle des "Executive Committee" eine zu Recht | |
noch immer umstrittene Frage. Entscheidend war indes, dass Chruschtschow | |
seinen Spielraum nutzte und auf Deeskalation bedachte Signale aussandte. | |
Statt es auf eine Konfrontation an der Blockadelinie ankommen zu lassen, | |
traten die sowjetischen Frachter umgehend die Heimreise an; statt es den | |
USA gleichzutun und große Teile der Streitkräfte in erhöhte | |
Alarmbereitschaft zu versetzen, beließ es Chruschtschow bei erkennbar | |
symbolischen Maßnahmen (Joshua C. Andy). Vor allem aber bewahrte er sich | |
den Freiraum zu eigenständigen, von amerikanischen Vorgaben unabhängigen | |
Entscheidungen und ging den entscheidenden Schritt zur Lösung der Krise. | |
Wie Aleksandr Fursenko und Timothy Naftali in ihrer jüngst vorgelegten | |
Biographie belegen, hatte Chruschtschow angeordnet, von der Forderung nach | |
einem Abzug US-amerikanischer Mittelstreckenraketen aus der Türkei Abstand | |
zu nehmen und Washington umgehend über dieses Nachgeben in Kenntnis zu | |
setzen, noch ehe ihm Kennedy auf geheimen Kanälen eine US-amerikanische | |
Kompromissbereitschaft in dieser Frage signalisierte. | |
Dass die Kubakrise dennoch zu Recht als die gefährlichste und | |
unberechenbarste Konfrontation des Kalten Krieges bezeichnet wird, ist der | |
Eigendynamik der damaligen Ereignisse geschuldet. Genauer gesagt dem | |
Umstand, dass beide Seiten ungeachtet des expliziten Bemühens um | |
Deeskalation phasenweise die Kontrolle über den Gang der Dinge verloren | |
hatten oder Entscheidungen trafen, ohne sich der Reichweite und möglichen | |
Konsequenzen ihrer Beschlüsse bewusst zu sein. Obwohl Moskau ausdrücklich | |
verfügt hatte, US-amerikanische Aufklärungsflugzeuge unbehelligt zu lassen, | |
wurde auf dem Siedepunkt der Krise eine U-2 abgeschossen - auf Befehl eines | |
dazu nicht befugten Generalmajors und mit Billigung eines ebenfalls nicht | |
autorisierten Offiziers (Joshua C. Andy). | |
Eigenmächtigkeiten oder Kommunikationsprobleme waren wahrscheinlich auch | |
für den folgenreichsten Zwischenfall auf hoher See verantwortlich. In jedem | |
Fall erhielt keines der vor Kuba tauchenden sowjetischen U-Boote den | |
Befehl, den Blockadering zu respektieren und rechtzeitig abzudrehen. Und | |
niemand hatte die Richtlinien für den Gefechtsfall widerrufen, denen | |
zufolge die Kommandanten befugt waren, zum Zwecke der Selbstverteidigung | |
sich aller mitgeführten Waffensysteme zu bedienen, darunter auch atomar | |
bestückte Torpedos. Just in dieser Situation änderte Verteidigungsminister | |
Robert McNamara auf eigene Faust ein in internationalen Gewässern übliches | |
Procedere: Die sowjetischen U-Boote sollten nicht mit Sonarsignalen zum | |
Auftauchen aufgefordert werden, sondern mittels kleinkalibriger | |
Wasserbomben. Als das "C-19"-U-Boot von US-amerikanischen Kreuzern auf | |
diese Weise gestellt wurde, glaubte die Besatzung zunächst an eine in | |
kriegerischer Absicht geführte Attacke. Alles Weitere hing einzig und | |
allein von der Entscheidung des Kommandanten ab. Dass Nikolai Schumkow sich | |
nicht zum Beschuss des vermeintlichen Angreifers hinreißen ließ, sondern | |
einen beschleunigten Tauchgang befahl, rettete die Situation - und mit ihr | |
auch die Krisenstäbe in Moskau und Washington, die von alledem nicht die | |
mindeste Vorstellung hatten. | |
Mag das Risiko der unbeabsichtigten Eskalation aufgrund dieses | |
Zwischenfalls und einer Vielzahl anderer Faktoren während der Kubakrise | |
besonders hoch gewesen sein, mit einer einmaligen Verknüpfung | |
unvorhergesehener Umstände hat man es keineswegs zu tun. Auch andernorts | |
wurden die Akteure wiederholt düpiert - sei es durch Geheimdienste, die auf | |
eigene Rechnung zu operieren gewohnt waren und sich keine Restriktionen | |
verordnen ließen, sei es durch Untergebene, die Anordnungen falsch | |
verstanden oder fehlerhaft umsetzten, sei es infolge technischen Versagens | |
bei der Nachrichtenübermittlung oder schlicht deshalb, weil die | |
Inflexibilität bürokratischer Routine dem Bemühen im Wege stand, auf | |
ungewöhnliche Umstände mit ungewohnten Mitteln zu reagieren. | |
Wohl auch deshalb schrieb Harry Truman 1948 in seinem Tagebuch von dem | |
"schrecklichen Gefühl, dass wir kurz vor einem Krieg stehen", glaubte der | |
Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs, Omar Bradley, während des | |
Koreakrieges, dass "der Weltkrieg stündlich ausbrechen könnte", fragte sich | |
Robert McNamara am Abend des 27. Oktober 1962, ob er jemals wieder einen | |
Samstag erleben würde. | |
Wie noch in den letzten Jahren des Kalten Krieges deutlich wurde, konnten | |
Überreaktionen auch durch zeittypische Fehlperzeptionen ausgelöst werden - | |
abzulesen an Juri Andropows Vorkehrungen gegen einen atomaren Erstschlag | |
der USA und der Nervosität, die auf sowjetischer Seite während der | |
NATO-Übung "Able Archer" im Herbst 1983 um sich griff. Die nach wie vor | |
geführte Kontroverse um das Eskalationspotential von "Able Archer" verweist | |
auf ein grundsätzliches Desiderat der Forschung zu Krisen im Kalten Krieg: | |
künftige Studien auch und gerade anhand der Fragestellung zu konzipieren, | |
wie es zu unerwarteten und unerwünschten Verwerfungen hinter dem Rücken der | |
Handelnden kommen konnte und welche Risiken damit verbunden waren. Zu | |
welchem Ergebnis derartige Arbeiten auch immer kommen mögen, ein Dementi | |
des von Jeremi Suri gezogenen Fazits steht nicht zu erwarten: "Wir hatten | |
Glück im Kalten Krieg." | |
Dies ist das gekürzte Vorwort des Buches "Krisen im Kalten Krieg. Bilanz | |
und Ausblick" (Hg. v. Bernd Greiner, Christian Th. Müller und Dierk | |
Walter), das Ende September in der Hamburger Edition erscheint. Vorabdruck | |
mit freundlicher Genehmigung des Verlags. | |
9 Sep 2008 | |
## AUTOREN | |
Bernd Greiner | |
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