Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Im Tal des Schweigens
> „Wenn die Fünfte Brigade kam, erstarb jede Bewegung“, erinnert sich ein
> Häuptling. Die Massaker in Matabeleland wurden bis heute nicht geahndet
aus MatabelelandDOMINIC JOHNSON
Sitezi ist ein idyllischer Ort, versteckt am Rande eines Tals tief in der
Savanne des südlichen Simbabwe. Vor dem Hauptgebäude des Gehöfts gibt es
eine gemütliche Veranda und aus dem Garten einen hinreißenden Blick über
eine Schlucht in die Berge. Es herrscht absolute Stille.
Das kleine grüne Zimmer neben der Veranda am Block 0009 ist voll mit
getrocknetem Kuhmist. „Ihr Kannibalen“, steht in ungelenker Schrift in der
einheimischen Ndebele-Sprache an eine Wand geschrieben. „Ihr habt die Leute
getötet und gegessen.“ Das Nebenzimmer sieht nicht besser aus. „Ihr Hunde,
die ihr menschliche Scheiße esst“, hat sich da jemand verewigt.
Sitezi, ehemaliges Erholungsheim für Staatsdiener und Entwicklungshelfer,
war ein Todeslager der simbabwischen Armee, als sie zwischen 1983 und 1985
die Bevölkerung des südsimbabwischen Matabelelandes niederkämpfte. Seitdem
ist es leer. Die weiß verputzten Mauern stehen noch, die Dachziegel und
metallenen Fensterrahmen hat niemand mitgenommen. Aus einem Aschehäufchen
im Innenhof wachsen Bäume. An einer Wasserstelle liegen Knochensplitter.
„So viele Leute sind hier gestorben“, erinnert sich Albert Tshaka, ein
Bauer aus der Gegend. „Sie haben die Leute geholt und in dieses Lager
gesteckt. Sie haben sie getötet und sie in den Brunnen geworfen.“ Der
Brunnen liegt am Ende des Gartens, wo die Aussicht am schönsten ist.
Zu den Toten gehörte Albert Tshakas Vater Hulumende Tshaka. Er starb im
Februar 1984, als die Fünfte Brigade der simbabwischen Armee hier
Dissidenten jagte. „Man sagte mir, man habe meinen Vater und andere nach
Sitezi gebracht“, erinnert sich Sohn Albert. „Der Grund, glaube ich, war,
dass er damals ein Dorfführer war. Man nahm ihn mit und alle wurden
hierhergebracht. Man warf ihnen vor, Dissidenten zu beherbergen. Ich
glaube, das war nur ein Vorwand. Jedenfalls wurde der alte Mann umgebracht,
die anderen auch.“
Hulumende Tshaka gehört zu den wenigen Opfern, um die die Hinterbliebenen
heute richtig trauern können. Er hat einen Grabstein, keine 200 Meter vom
Lager Sitezi entfernt, entrückt in einer sonnendurchfluteten Lichtung.
„Gestorben 1984“ steht auf dem grauen Granitblock, gefolgt von sechs Namen
und dem Zusatz „Ruhet in Frieden“. Aus der Ferne klingen Kuhglocken durch
die niedrigen Bäume. Der Grabstein wurde am 2. September 2000 enthüllt, ein
Jahr nachdem die sechs Toten exhumiert und in einer zornigen Zeremonie neu
begraben worden waren.
„Die ganze Gegend um das Lager ist übersät mit Massengräbern“, sagt Shary
Eppel, Leiterin der Nichtregierungsorganisation Amani Trust, die in diesem
Teil Simbabwes die Überlebenden betreut und die Exhumierungen in Sitezi
vornahm. Gukurahundi – der Sturm, der vor der Ernte den Dreck wegbläst –
hieß die Terrorkampagne der in Nordkorea ausgebildeten Fünften Brigade der
simbabwischen Armee, mit der die siegreiche Befreiungsbewegung des bis
heute regierenden Präsidenten Robert Mugabe ihre Rivalen aus dem
südwestlichen Ndebele-Volk zum Schweigen bringen wollte. Auf bis zu 20.000
Tote, vielleicht auch mehr, werden mittlerweile die Opfer dieses Feldzuges
geschätzt. Ganze Landstriche wurden monatelang abgeriegelt und
ausgehungert. Menschen wurden verschleppt, zu Tode gequält, aufgehängt,
erschossen.
„Wenn die Fünfte Brigade kam“, erinnert sich Nyati, der alte Häuptling des
Dorfes Mapani, „erstarb jede Bewegung. Sie gingen in die Häuser, sammelten
die Leute und begannen zu schießen. Man könnte denken, sie hätten eine
bestimmte Anzahl Menschen pro Tag töten müssen. Leute wurden kopfunter an
Bäumen aufgehängt und totgeschlagen. Man hat sie wie dreckige Esel zum
nächsten Loch geschleppt und sie da mit vier oder fünf anderen begraben.“
## Offiziell versöhnt
Die Welt schwieg dazu, die Menschen im Matabeleland lernten zu schweigen.
1987 erklärte Simbabwes Regierung offiziell die Versöhnung. Damit war die
blutige Vergangenheit ausgelöscht. Erst in den 90er-Jahren begannen
Rechtshilfegruppen sie aufzuarbeiten. Ein 1997 veröffentlichter Bericht der
katholischen Justice and Peace Commission erzählte erstmals die düstere
Geschichte und erregte erhebliches Aufsehen. Vor Ort aber blieb er
folgenlos oder führte zu erneuter Repression. So vereitelte der
Geheimdienst 1997 einen Versuch, Tote ordentlich zu begraben, die bisher
direkt unter dem Gras des Schulhofs lagen. Stattdessen organisierte der
Staat eine finstere Begräbnisfeier, Trauerreden waren nicht erlaubt.
1998 unternahm die kirchliche Gesundheitsorganisation Amani Trust eine
Untersuchung der medizinischen Verhältnisse in der Region. Dabei begann die
Vergangenheitsbewältigung – aus Versehen. Denn die Mitarbeiter von Amani
Trust stießen auf eine hohe Zahl psychischer Störungen. „Etwa 50 Prozent
aller Klinikpatienten litten an Angstzuständen und Depression“, erklärt
Eppel. „90 Prozent davon waren Überlebende von Folter und organisierter
Gewalt, und davon wiederum hatten vier Fünftel nach der Unabhängigkeit
gelitten.“ Aber wie fast überall in Afrika wurden psychische Probleme vom
Gesundheitswesen nicht wahrgenommen. Die vier Millionen Bewohner des
Matabelelandes teilen sich einen Psychiater und zwei Psychologen.
Durch seine Arbeit hat der Amani Trust alte Konflikte aufbrechen lassen.
„In den ersten Versammlungen gab es viel Wut und Aggression“, erinnert sich
Amani-Projektleiter Jeje Moyo. „Einer wusste, dass unter seiner Viehweide
ein Massengrab lag. Er sagte den Leuten, sie sollten endlich ihren Müll
abholen. Es dauert über ein Jahr, bis es zu einer richtigen Diskussion
kommt.“
Man sieht Land und Leuten im Matabeleland nicht an, was hier geschah. Die
Landschaft strahlt eine unheimliche Ruhe aus. Wenn die Menschen von Folter,
Mord und Flucht zu sprechen beginnen, verändern sich ihre Gesichter, die
Blicke schweifen ab.
Im Dorf Mapani weiß jeder, wo die Toten liegen. Hinter dem großen sonnigen
Felsen vor dem Schulgelände, auf dem die Dorfversammlungen stattfinden,
steht der krumme Baum, an dem im Februar 1984 Edwell Ndlovu an den Füßen
aufgehängt und totgeprügelt wurde. Der Ast, wo er starb, ist bis heute
kahl. Ein paar Schritte durch die Büsche liegt eine schattige Mulde am
Rande des Sportplatzes. Hier ruhte Edwell Ndlovu fünfzehn Jahre lang in der
Höhle eines Ameisenbärs. Dort vergrub ihn die Armee und zwang dann die
Dorfbewohner, auf der Grabstelle zu tanzen.
Mapani war das erste Dorf im Matabeleland, das den Amani Trust um Hilfe
bat. Edwell Ndlovu war das erste Opfer, das exhumiert wurde. Am 28. Juli
1999 kamen seine Überreste ans Tageslicht. Dann wurden sie vom katholischen
Erzbischof der Region feierlich beigesetzt.
An immer mehr Orten im südlichen Matabeleland beginnen jetzt unter
Anleitung des Amani Trusts Exhumierungen und forensische Untersuchungen.
Experten aus Argentinien wurden eingeflogen. Einheimische Kapazitäten gibt
es nicht.
## Experten von auswärts
Dabei ist Afrika ein Kontinent der Massengräber. Wie viele Millionen
Menschen sind als Opfer der kolonialen Gewalt, der Unabhängigkeitskriege,
der postkolonialen Diktaturen und Bürgerkriege irgendwo verscharrt? Kein
afrikanischer Staat hat sich jemals bemüht, es herauszufinden. Der Amani
Trust sieht seine Arbeit als Pionierarbeit. Shary Eppel sagt: „Wir wollen
Teams nach Argentinien, El Salvador und Bosnien schicken, damit sie
ausgebildet werden und hier selbständig arbeiten können. Wir wollen das
erste professionelle Exhumierungsteam Afrikas haben.“
Simbabwe ist nicht gerade der sicherste Ort dafür. Das Regime, das in den
80er-Jahren die Massaker organisierte, regiert immer noch. Gewalt gegen
Gegner von Präsident Robert Mugabe gehört heute in Simbabwe zum Alltag,
seit das Land mit der Bewegung für Demokratischen Wandel (MDC) eine starke
Oppositionspartei hat. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2000 stimmte das
Matabeleland fast geschlossen für die MDC. Kommt nun im Vorfeld der
Präsidentschaftswahlen, die spätestens im Frühjahr 2002 erwartet werden,
die Rache des Regimes?
„Die Leute warten auf neue Gewalt“, meint Jeje Moyo vom Amani Trust. Sein
Mitarbeiter Nicholas Ndlovu sieht aber keine Neuauflage des Krieges der
80er-Jahre: „Nein. Es wird ein Krieg zwischen Jung und Alt. Die
Kriegsveteranen unterstützen die Regierungspartei, die Jugend unterstützt
die Opposition.“ Das ist aber auch keine zuversichtliche Prognose. Das
Matabeleland, traditionell von der Zentralmacht geschunden, steht heute am
Rand des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, die Verteilungskämpfe werden
härter.
Die von der Regierung organisierten Besetzungen weißer Farmen im ganzen
Land haben die Viehwirtschaft ruiniert, da niemand mehr Zuchtvieh kaufen
will. In einem Dorf nach dem anderen sind die Wirkungen der anhaltenden
Dürre sichtbar: Die Maisstauden sind kaum mannshoch, manche Felder sehen
jetzt, zur grünsten und feuchtesten Zeit des Jahres, schon so aus wie nach
Monaten Trockenzeit. In einem halben Jahr wird es hier nur noch Steppe
geben. Die Lebensmittelvorräte des Staates werden aber schon im Juni
ausgehen und bis dahin bevorzugt an regimetreue Bevölkerungsgruppen
verteilt werden.
„Ich habe fünfzehn Kühe“, erklärt Albert Tshaka, der Bauer, dessen Vater
jetzt endlich würdig begraben werden konnte. „Ich muss für sie Futter
kaufen. Sonst sterben sie alle. Und es gibt kein Wasser. Ich kann Futter
kaufen, aber wie soll ich Wasser besorgen?“ Sorgenvoll blickt Albert Tshaka
in die windstillen Bäume unter dem strahlend blauen Himmel von Sitezi.
Seine Vergangenheit ist bewältigt. Seine Zukunft könnte ihn zerbrechen.
19 Feb 2001
## AUTOREN
DOMINIC JOHNSON
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.