# taz.de -- „Ich nicht“ – „Ich schon“ | |
> TOCHTERGESELLSCHAFT Endlich: Die Berliner Krachrockband Mutter | |
> veröffentlicht ihr neues Album „Trinken, Singen, Schießen“. Ein Gesprä… | |
> über ein Vierteljahrhundert Warten auf den Durchbruch, Schuldscheine für | |
> Fans und tierisches Schrauben am Sound | |
INTERVIEW DORIS AKRAP | |
taz: Die Schlagzeile eines RBB-Fernsehberichts vor Ihrem Konzert letzte | |
Woche in Kreuzberg lautete: „Berliner Indie-Band Mutter hofft auf | |
Durchbruch“. Können Sie nach 24 Jahren Mutter noch über solche Schlagzeilen | |
lachen? | |
Max Müller: Ja. Das haben die vor zehn Jahren bei unserem Album „Hauptsache | |
Musik“ auch schon geschrieben. Dabei sind die Inhalte und die Musik immer | |
die gleichen geblieben. Dass unser neues Album „Trinken, Singen, Schießen“ | |
ein bisschen sauberer produziert wurde, ist marginal. Mutter hat nicht so | |
verwurstelte Aussagen. Mutter ist direkt, geradlinig in den Texten und der | |
Musik. | |
So geradlinig wie „ Idioten zu erklären, dass sie welche sind, kann man | |
nicht und tut es doch, weil sie welche sind“? | |
MM: Ja, ich wollte eine Platte machen, die man durchgängig hören kann. Ich | |
wollte kein Lied dabei haben, das mir selbst beim Hören wehtut. | |
Aber es ist doch erstaunlich, eine der dienstältesten deutschsprachigen | |
Bands zu sein und immer wieder von jungen Leuten entdeckt zu werden. | |
MM: Das liegt an dem ewig gleichen Sound, der im Radio läuft. Der kann zwar | |
auch ganz schön sein, aber er langweilt. Wenn ich das Gefühl hätte, Mutter | |
ist überflüssig, hätte ich sie schon längst beendet. Aber ich sehe keine | |
Bands, die auf zwei Akkorden Musik gestalten, das ist ein Ding von uns. | |
Gehen die Texte von Max Müller noch durch eine Qualitätskontrolle der Band? | |
Florian Körner: Nein. Erst wenn die CD rauskommt, verstehen wir die Texte | |
zum ersten Mal wirklich, weil der Gesang von Max im Übungsraum viel zu | |
leise ist. | |
Wie verstehen Sie beispielsweise das Lied „Wohltäter“ mit der Zeile: „Sie | |
sind Wohltäter/ Wir die Opfer/ wenn man so glauben will/ sie werden schon | |
etwas dafür tun, dass es allen nützt/ denn wir sind kein Stück besser als | |
sie/ und das wissen sie genau“? | |
FK: So, wie Max das gemeint hat. Das Lied handelt davon, wie diejenigen | |
aussehen, die von den Wohlätern versorgt werden, und das sind dann wohl die | |
Opfer. Das sind dann wir. Ist ja auch ein aktuelles Thema: Bill Gates, | |
Warren Buffett, was macht man eigentlich mit 50 Milliarden Euro? Stiften | |
gehen. | |
Sie haben jetzt auch Wohltäter engagiert. 99 Kaltnadelradierungen von Max | |
Müller, gedruckt auf Büttenpapier, wurden im vergangenen Jahr binnen einer | |
Woche zum Preis von jeweils 100 Euro verkauft, um die Produktion und | |
Herstellung Ihres zehnten Albums zu finanzieren. | |
MM: Das ist ja was ganz anderes. Die Dinger kann man ja wieder zurückgeben. | |
Machen Sie sich damit nicht unnötig das Leben schwer? | |
FK: Wir wollten nicht betteln, sondern einen Kredit, und wir wussten, dass | |
wir die 10.000 Euro locker wieder reinspielen. | |
Gibt es denn schon erste Rückzahlungsforderungen? | |
MM: Im Gegenteil. Das sind superfeine Radierungen, die werden ihren Wert | |
steigern, wie unsere Platten das auch getan haben. Außerdem stehen die | |
Namen derer, die eine Zeichnung gekauft haben, auf der Platte. Da gibt man | |
so ein Ding doch nicht einfach zurück. | |
Waren Sie überrascht über Ihren Erfolg? | |
MM: Ich nicht. | |
FK: Ich schon, weil es so viele Beispiele von anderen Bands gibt, die auf | |
solchen Geschäftsideen sitzen geblieben sind. | |
Haben Sie einen Überblick, wer die Dinger gekauft hat? | |
FK: Unser ehemaliger Manager, der Bruder meiner Freundin, meine Exfreundin, | |
der Vater vom Bassisten, die Freundin vom Keyboarder, der Bruder von Max | |
MM: Mein Opa, meine Oma, es reicht. | |
Es wird kolportiert, der Titel Ihres neuen Albums „Trinken Singen Schießen“ | |
soll an das Massaker von Rechnitz erinnern, bei dem 1945 180 ungarische | |
Juden von betrunkenen Gästen eines Schlossfestes im Burgenland erschossen | |
wurden. | |
MM: Totaler Quatsch. Der Wiener Tex Rubinowitz hatte von uns den Auftrag, | |
einen Waschzetteltext für die CD zu schreiben, und da steht lediglich drin, | |
dass ihn der Titel an das Massaker erinnert, und jetzt stürzen sich alle | |
drauf: geil – Massaker. Ich wusste vorher überhaupt nichts von diesem | |
Massaker. Aber es passt ja auch irgendwie ganz gut. | |
FK: Und wo kommt der Titel dann her? | |
MM: Vom Schützenfest. Ich komme aus Niedersachsen. Das letzte Lied | |
„Wohlopfer“ ist ja auch so Marschmusik. Aber ist ja auch völlig egal, es | |
ist einfach ein schöner Titel. | |
FK: Jeder, der Mutter kennt, weiß doch, dass wir so direkt ein politisches | |
Ereignis nicht ansprechen würden, das ist doch viel zu wenig subversiv. | |
Was soll eigentlich der AgitpropsSong „Mach doch einfach“ auf der neuen | |
Platte? Wird nicht sowieso irgendwie schon total viel gemacht? Hat nicht | |
jeder mindestens drei Projekte und Jobs am Hals? | |
MM: Ja, aber 90 Prozent davon sind Mist. Mich nervt es, wenn die Leute | |
immer sagen, eigentlich genial, aber nee, das wird nichts. Das ist doch | |
eine Weisheit aus dem letzten Jahrhundert, dass man auf sich selbst | |
vertrauen soll. | |
Do it Yourself ist doch total angesagt, von Häkeln bis Guerilla Gardening. | |
MM: Das sind alles so komische Dogmen. Alle machen, das soll immer | |
irgendwas darstellen, aber es gibt den Drang nicht, einfach zu machen, egal | |
wo das hinführt, einfach auszuprobieren. | |
F.K: Harald Fricke hat mal gesagt, das bei Bands oft von Projekten | |
gesprochen werde, bei uns würde er aber einfach nur von der neuen Mutter-CD | |
sprechen. Wir sind nicht Stefan Raab und machen heute Turmspringen und | |
morgen Eurovision. | |
Mutter ist ein Projekt, das aus dem Kreuzberg der 80er Jahre stammt. | |
Spielte das spezielle Ambiente dort eine große Rolle für Ihre Musik? | |
MM: Nö, das hätte auch woanders stattfinden können. Vorher hab ich doch in | |
Wolfsburg auch solche Musik gemacht. | |
Für die neue Platte sind Sie extra nach Hamburg gefahren und waren mit dem | |
Produzenten Tobias Levin (u. a. Kante, Tocotronic) im Studio. Warum wurde | |
der Versuch abgebrochen und Sie haben das Album selbst produziert? | |
MM: Levins Produktionsweise hat einfach nicht zu unserer gepasst. Ich hatte | |
das Gefühl, wir kommen überhaupt nicht voran, und wenn ich das jetzt nicht | |
selbst in die Hand nehme, verpufft die ganze Energie. | |
Ihre Konzerte sind dafür immer umwerfend laut und hart, Ihre Platten viel | |
filigraner. | |
MM: Wir haben an dem neuen Album tierisch geschraubt und gebaut. Live will | |
ich eher immer alles wegschmeißen und reinhauen. | |
FK: Stimmt, sonst hast du ja so eine Madonna-Nummer, wo 5.000 Samples aus | |
dem Hintergrund kommen, und das sieht dann aus wie Akrobaten in der Manege. | |
Da geht es doch darum, dass das Publikum das Gefühl haben kann, dass sie | |
die CD hören. | |
Das Coverfoto Ihres neuen Albums erinnert an das Foto auf dem | |
Rolling-Stones-Album „Number Two“, und dann gibt es auch noch den Song „D… | |
Alten hassen die Jungen, bis die Jungen die Alten sind“. Ist das Cover als | |
Warnung zu verstehen? Sind Sie alt geworden? | |
MM: Das wollte ich doch schon immer werden: alt und reich. Aber das ist | |
überhaupt kein Zitat, wir haben nur bisher keine Platte gehabt, wo wir | |
selber drauf zu sehen sind. Den Text hätte ich auch mit 17 machen können. | |
Das Lied „Alt und schwul“ hab ich ja auch schon 1989 gemacht (auf dem | |
Debütalbum „Ich schäme mich, Gedanken zu haben, die andere Menschen in | |
ihrer Würde verletzen“). Ich habe immer schon daran gedacht, wie das ist, | |
wenn ich das Lied in zehn Jahren singen muss. Ich habe nie solche Texte | |
gemacht über Jugend und Rebellion. | |
FK: Diese Dokumentation über die Stones von Martin Scorsese, „Shine a | |
Light“, ist doch deswegen so furchtbar, weil Mick Jagger sich Christina | |
Aguilera auf die Bühne holt, um sich zu verjüngen. | |
Wieso kann man eigentlich bei Amazon keine Mutter-Platten kaufen? | |
FK: Die Courtagen, die wir für einen Vertrieb bei Amazon hätten zahlen | |
müssen, sind so groß, dass sich das nicht rentiert. Außerdem verkaufen wir | |
bestimmt nicht mehr, wenn der Hinweis daneben steht: Kunden, die diesen | |
Artikel gekauft haben, haben auch Mutter gekauft. Wer Mutter will, kriegt | |
Mutter. Auf unserer Homepage. | |
13 Aug 2010 | |
## AUTOREN | |
DORIS AKRAP | |
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