| # taz.de -- „Ich habe das im Blut“ | |
| > Edler schenken Der Hamburger Thomas Keil ist einer der Wenigen, die noch | |
| > traditionelle, rahmengenähte Maßschuhe herstellen – gefertigt mit | |
| > Handwerkszeug, das es sonst nur noch im Museum gibt | |
| Bild: Nimmt Maß: Schuhmacher Thomas Keil | |
| Von Hannes Vater | |
| „Super Frise. Super Outfit. Super Schuhe. Superkeil!“ Thomas Keils | |
| Schuhmacher-Version der Edeka-Werbespots wurde seit 2014 über 12.000 Mal | |
| auf Youtube angeklickt. Überhaupt ist der Maßschuhmacher aus der Hamburger | |
| Keplerstraße 20 online sehr gut aufgestellt. Wenn man seine 40 Quadratmeter | |
| Ladenfläche in Ottensen betritt, fühlt man sich dagegen an den Anfang des | |
| letzten Jahrhunderts zurückversetzt. Das ist in etwa die Zeit, der viele | |
| seiner Werkzeuge entstammen. Manche waren Geschenke eines Museums. Keil ist | |
| einer der wenigen Meister in Deutschland, der noch traditionelles, | |
| rahmengenähtes Schuhhandwerk anbietet. | |
| „Thomas Keil – Shoes Handmade in Germany“ steht über seiner Tür. Im | |
| Schaufenster sieht man neben Regalen voller Schuhe auch Taschen aus Leder | |
| und weihnachtlich geschmückte Pflanzen, Blumen und eine gemütliche | |
| Beleuchtung. Im Laden duftet es nach altem Holz und frischem Leder. Neben | |
| der Werkbank von 1900 sitzen Keil und seine 24-jährige Auszubildende Moira | |
| auf Holzhockern und arbeiten an neuem Schuhwerk und Lederstücken, die mal | |
| welches werden sollen. | |
| Beide sind traditionell gekleidet. Keil trägt ein weißes Hemd unter einer | |
| braunen Cordweste, eine dunkle Stoffhose, Schnurrbart und einen akkuraten | |
| Seitenscheitel. An den Füßen hat er selbstgemachte Oxford Captoes. „Es gibt | |
| noch zwei Hände voll Betriebe, die in Deutschland Schuhe per Hand | |
| anfertigen“, sagt Keil. Von einem ungarischen Meister ausgebildet, ist der | |
| 41-Jährige nach dreijähriger Werkstatt-Odyssee 2010 in Hamburg-Ottensen | |
| gelandet. Und er liebt seinen Laden. | |
| An der Ecke Keplerstraße und große Brunnenstraße ist immer was los. Durch | |
| Schaufenster und Eingangstür kann man alle vier Abzweigungen der Kreuzung | |
| beobachten. Schon nach kurzem Aufenthalt fühlt man sich mit dem Herzen | |
| Ottensens und seinen Bewohnern vertraut. Viele Leute rollen mit Fahrrad | |
| oder Kinderwagen vorbei, manchmal bleiben sie kurz stehen und lassen ihre | |
| Blicke durchs Schaufenster wandern. „Hier ist immer was los“, sagt Keil. | |
| Wenn er morgens mit dem Fahrrad von seiner Wohnung auf St. Pauli zum Laden | |
| fährt, legt er sich einen Plan für den Tag zurecht. Da viele | |
| Arbeitsschritte fast einen ganzen Tag in Anspruch nehmen, bleibt das meist | |
| überschaubar. Rund 40 Stunden, 300 Arbeitsschritte und drei Monate braucht | |
| er für eine Maßanfertigung. Die Kundenfüße werden vermessen, dann Leisten | |
| produziert – hölzerne Nachbildungen des Fußes. Dabei werden auch | |
| orthopädische Gesichtspunkte wie die Fußbewegung im Gang beachtet. | |
| Dass bei Keil Hunderte nachgebaute Füße im Laden stehen, hat viele | |
| Vorteile. Seine Kunden müssen kein zweites Mal in den Laden kommen, wenn | |
| sie nochmals neue Schuhe haben möchten. „Der Fuß ist hier vor Ort“, sagt | |
| Keil. Dann reicht es, Modell, Farbe und Material zu benennen. Man könne | |
| übers Internet ein Foto des Schuhs schicken, der einem gefalle, und schon | |
| beginne die Arbeit. | |
| Kundenkontakt ist ihm dennoch wichtig. „Man verfällt hier nicht in Routine, | |
| sondern lernt jedes Mal unterschiedliche Menschen kennen“, sagt Keil. „Das | |
| ist jedes Mal eine neue Herausforderung.“ Individuelle Damen und Herren, | |
| die sich nicht stereotypisieren lassen und keine Lust auf | |
| massenproduziertes Schuhwerk haben, kommen zu ihm. „Die wollen Einfluss | |
| haben auf das, was sie bekommen.“ Die Maßschuhanfertigung ist für seine | |
| Kunden etwas Besonderes. Ein Happening. | |
| Keil ist jemand, der gern erklärt. „Ich versuche immer herauszufinden, was | |
| zu dem Kunden passt“, sagt er. An klassischen Modellen gibt es drei | |
| Grundtypen: Derby, Oxford und Wholecut. Das jeweilige Design könne durch | |
| Vorderklappen, Lochmuster und Applikationen bis ins Detail individualisiert | |
| werden. Bei den Farbkombinationen gebe es keine Grenzen. | |
| Die Kosten für eine Maßanfertigung liegen, je nach Ausführung, zwischen | |
| 1.800 und 2.500 Euro. Günstiger wird es bei den Maßkonfektionen. Ab 480 | |
| Euro können Kunden aus bestehenden Leisten wählen, und sich anhand eines | |
| Baukastensystems Leder, Farbe, und Sohle zusammenstellen. In 90 Prozent der | |
| Fälle wird dabei Kalbsleder verarbeitet. Manche Kunden haben auch | |
| speziellere Wünsche wie Pferdeleder. Dabei macht sich Keil mehr Gedanken | |
| über nachhaltige Produktion als größere Schuhfabrikanten. Er achtet | |
| akribisch auf die Herstellungsbedingungen des aus Deutschland, Frankreich | |
| und Großbritannien, manchmal aus den USA oder Argentinien stammenden | |
| Leders. Seine Leder werden unter menschenwürdigen Umständen hergestellt, | |
| sind hautfreundlich und mit Zertifikaten versehen, die Aufschluss über | |
| Herkunft und Produktionsbedingungen geben. | |
| Das Hantieren mit Schuhen und Leder liegt in Keils Familie. Sein | |
| Urgroßvater war Schuhmacher, seine Oma absolvierte eine Lehre in einer | |
| Lederwerkstatt. Davon wusste er aber lange nichts. Das Handwerk habe er | |
| später selbst entdeckt. „Ich habe das eher im Blut, als dass ich | |
| beeinflusst worden wäre“, sagt er. Könnte er sich die kleinteilige | |
| Handarbeit heutzutage nicht etwas leichter machen? „Könnte ich schon“, sagt | |
| er. „Will ich aber nicht. Die traditionelle Umsetzung der Arbeitsschritte | |
| macht schließlich den Beruf aus.“ | |
| Keil führt den Besucher die Treppe hinunter, um die übrigen Räume zu | |
| zeigen. Unten stehen Kisten voller Leisten, eine Leistenpresse, eine | |
| Ledermangel von 1889 und ein Tiefziehgerät, mit dem ein durchsichtiger | |
| Probeschuh für die Voranprobe erstellt wird. | |
| Wenn Keil über Herkunft und Funktion seiner Arbeitsgeräte spricht, wird | |
| klar, was Maßschuhmacher früher geleistet haben – und hier noch heute | |
| leisten. Dabei geht es mehr um das exakte Einhalten von Qualitätsstandards | |
| als um die Jagd auf wechselnde Trends. | |
| Bezüglich der Zukunft seines Ladens hat er klare Vorstellungen. Das | |
| Geschäft soll weiterhin langsam und gesund wachsen. Moira, seine erste | |
| Auszubildende, ist im dritten Lehrjahr. Keil selbst will möglichst lange | |
| eigenhändig am Schuh arbeiten. Und den seltenen Berufszweig fördern, seine | |
| Kenntnisse über das Handwerk weitergeben. „Wähle einen Beruf, den du | |
| liebst, und du brauchst keinen Tag in deinem Leben mehr zu arbeiten“, | |
| zitiert Keil den chinesischen Philosophen Konfuzius. Im Schaufenster hängen | |
| kleine nummerierte Tüten und Päckchen. Ein Weihnachtskalender für alle | |
| Besucher, die rechtzeitig reinschauen. Natürlich selbstgemacht. | |
| 10 Dec 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Hannes Vater | |
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