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# taz.de -- „Ich bin eine Kosmopolitikerin“
> Nina Hagen wird heute 50. Vor kurzem ist sie wieder nach Amerika gezogen.
> Berlin hat sie trotzdem nicht verlassen, sie sei nur eine, die keine
> Grenzen akzeptiert. – „Das wär ja noch schöner!“ – Ein transatlanti…
> Teletalk
taz: Nina Hagen, guten Morgen wie geht’s?
Nina Hagen: Gut
Schon lange auf?
Ja, weil ich meinen Sohn Otis in die Schule bringen muss.
Wie alt ist er mittlerweile?
Moment mal, oh Gott, 14, ja, er wird 15.
Sie werden 50. Herzlichen Glückwunsch vorab schon mal.
Darf man eigentlich nicht, noch bin ich 49!
Okay, ich schicke die Glückwünsche noch ein paar Stunden ins All. 50 Jahre
alt zu werden, was bedeutet das?
Well, wenn man sich unsere Vorfahren, Ancestors, anguckt – die sind ja gar
nicht so alt geworden. Früher haben die Menschen schon Mitte 20, 30, 40
abgedankt. Und wenn man 50 wird, das ist schon großartig, dass man so lange
leben kann in einem Körper. Wenn der gefürchtete Herr des Todes dereinst
sein Schwert über mein Kronen-Chakra kreisen lässt, dann werde ich meine
Seele und mein Bewusstsein mitnehmen in die Unsterblichkeit …
Bis dahin ist hoffentlich noch Zeit. Haben Sie neue Pläne für die zweite
Hälfte ihres Jahrhunderts?
Ich hab jeden Tag neue Pläne. Gleich muss ich ins Synchronstudio, weil wir
was ganz Großartiges machen, wir synchronisieren einen deutschen Film ins
Amerikanische.
Das hört sich nicht so spektakulär an.
Das ist sehr spektakulär. Das war noch nie da, meine liebe Freundin. Dass
amerikanische Filme ins Deutsche synchronisiert werden, ist ganz normal,
aber dass deutsche Film ins Amerikanische synchronisiert werden, das war
noch nie da.
Was ist es für ein Film?
„7 Zwerge – Männer allein im Wald“. Einer der erfolgreichsten Filme in d…
letzten Monaten. Mit Cosma Shiva als Schneewittchen und ich als böser
Stiefmutter. Von Otto ist der Film.
Und Sie glauben, der deutsche Humor wird im Amerika verstanden?
Du hör mal, das ist nicht an Grenzen und Mauern und Stichflammen gebunden.
Humor ist universell und Kunst ist universell. Grenzen zu ziehen, ist nicht
so meine Sache. Nicht in der Kunst, nicht in der Musik.
Stimmt, da habe ich einen Fehler gemacht – Sie sind eine, die Grenzen
einreißt.
Ja klar, was nützt es den Deutschen, wenn sie sich hinter ihren Grenzlinien
verbarrikadieren. Das nützt Deutschland nichts und der deutschen Kultur
auch nicht. Es war ja in der DDR so schrecklich, dass wir nicht raus
durften. Klar, ein paar durften raus, Gisela Mey und andere
Brecht-Interpreten.
Sie durften dann auch raus.
Exactly – und deshalb sind wir die deutschen Kosmopolitiker, die die
deutsche Kultur in der ganzen Welt bekannt machen. Und wenn sie das Goethe
Institute abbauen wollen, was ganz schrecklich ist, dann müssen wir dafür
kämpfen, dass das wieder rückgängig gemacht wird.
Sie sind eine deutsche Kosmopolitikerin?
Ja, das bin ich. Es gibt viele Berliner, die das sind.
Als solche feiern Sie Ihren Geburtstag in Seattle?
Wir machen dort ein Konzert am 10. März, und dann stoßen wir um Mitternacht
an. Und an meinem Geburtstag sind wir in Portland, Oregon, süße kleine
Stadt, und machen ein Konzert.
Warum feiern Sie nicht in Berlin?
Weil ich hier in Amerika auch zu Hause bin. Das wollen mir die Deutschen
nicht gönnen. In ’ner Fernsehzeitung stand über mich: Ihre Karriere in
Amerika scheitert kläglich. So reden die Deutschen über mich. Dabei bin ich
hier seit 1980 zu Hause. Mein erstes Kind ist hier geboren. Ich hab ganz
großes Publikum hier. Ich hab sogar eine Fernsehproduktionsfirma, und wir
produzieren zurzeit einen Piloten für die Nina-Hagen-TV-Show. Ich bin hier
genauso zu Hause wie in Berlin, in Ibiza, in England.
Vielleicht gönnen wir Deutschen es den Amerikanern nicht, dass wir Nina
Hagen mit ihnen teilen müssen.
Das ist schon ’ne Unterstellung, wenn man sagt, Nina Hagen scheitert
kläglich. Ich bin hier genauso bekannt wie Rammstein und Marlene Dietrich.
Und ich habe ganz tolle Jobs. Zum Beispiel wird in den Disney-Studios
gerade ein Zeichentrickfilm gemacht, der heißt „Nina Hyena“, eine Hyäne,
der ich die Stimme geben werde.
Sie haben Marlene Dietrich erwähnt …
I’ve been in love before, it’s true.
Sind Sie die letzte Berliner Diva?
Ich bin keine Diva, ich bin Nina. Wie man mich nennt, ob Schwein, Punk,
Ziege ist mir scheißegal. Ich weiß ja, Gott sei dank, wer ich bin, und ich
bin einfach nur eine Künstlerin, die an keine Grenzen und kein Land
gebunden ist. Das wär ja noch schöner! Wir sind eine Erde, ein Planet. Die
Astronauten in Space beschreiben das auch immer, dass sie sich total mit
der Erde verbunden fühlen. Oben in Space fühlt sich niemand mehr als
Deutscher oder Franzose oder Amerikaner. An diesem Bewusstsein arbeite ich.
Wenn die Berliner Sie aus Egoismus dennoch als Berliner Marke reklamieren
möchten, protestieren Sie also?
Nein, ich bin ja ’ne Berlinerin, werde immer eine sein. Aber eine
Berlinerin zu sein bedeutet, auf der ganzen Welt zu Hause zu sein. Es
bedeutet nicht, hinter irgendeiner Mauer sein Dasein zu fristen. Berliner
zu sein, bedeutet Kosmopolitiker zu sein. Das kommt automatisch. Berlin ist
’ne Weltstadt, und ich bin die Botschafterin für Berlin.
Und was ist Heimat?
Das bin ich selbst. Das ist mein Bewusstsein, meine Wurzeln, mein ganzes
Wesen.
Haben Sie nicht mit Lena Lovich den Song gemacht: Home is where my heart
is, home is so remote?
Exactly – und wo es Menschen gibt, kann man annehmen, wir sind auf dem
Planet Erde, und der ist meine Heimat. Heimat, das ist nicht nur das
Krankenhaus, in dem meine Mutter mit den Wehen gekämpft hat, sondern das
ist alles, der Amazonas und der Spreewald, Flüsse, Tiere, Menschen und alle
Erfahrungen, die man macht.
Und wo ist Ihr Herz, wie in dem Song gesagt wird?
Mein Herz und ich, das ist eins.
Welche sozialen Projekte unterstützen Sie derzeit?
Ich bin Schirmherrin von einem Waisenhaus in Kabul und kümmere mich auch um
unserer Krankenhaus in Indien, wo ich hoffentlich im Herbst mal wieder hin
kann.
Und Umweltengagement, was machen Sie da?
Ich habe Songs, wo ich den Leuten erzähle, was sie tun können, um die
Umwelt zu schonen. Beim Wäschewaschen etwa. Und ich bin bei den
Tierschützern dabei. Ich habe eine Demo vor der indischen Botschaft
mitgemacht und ein Gespräch mit dem Botschafter gehabt über indisches Leder
und die illegalen Schlachthäuser. Ich fordere die Leute auf, beim Schuhkauf
zu fragen, wo das Leder herkommt. Genauso beim Essen zu schauen, dass man
biologisch angebaute Sachen isst und nichts Genmanipuliertes.
Der Gouverneur von Kalifornien, Arnold Schwarzenegger, scheint sich auch
für Umweltschutz zu interessieren. Kennen Sie ihn?
Ne, den kenn ich nicht. Ich kenn ja auch den Bundeskanzler von Deutschland
nicht.
Haben Sie das drüben schon gehört: Brigitte Mira ist tot.
Oh, das ist ja traurig. Wie alt ist sie geworden?
94.
Ein schönes Alter. Ich mag ja den Fassbinder-Film mit ihr: Mutter Küsters
Fahrt zum Himmel. Darüber habe ich ein Lied geschrieben. Ich bin hier in so
’ner Kammer, wo all die alten Texte liegen. Da war der auch dabei. Wo ist
der noch mal. Ich hab so viele Songs und Geschichten und Tagebucheinträge,
und wir wollen ein Buch machen. Der Song ging so: „Wie kommt es dass du
Rainer Werners Film / über Mutter Küsters Fahrt zum Himmel nicht kennst /
wie kommt es, dass du immer nur in Filme / von Alfons Spielberg rennst?“ –
Alfons hab ich absichtlich gesagt, das ist so ein Spiel – „ich hab mich in
Brigitte Mira verknallt / ich hab nur eine Bitte / ich hoffe / ich werd
auch mal so schön alt“ – So geht das, und dann kommt die zweite Strophe:
„Ich hab den Filmemacher Peter / Peter Sempel anjerempelt / ich sagte, mach
’n Film mit mir / die Welt wird umgekrempelt / wir werden von der Welt da
draußen / als ziemlich crazy abgestempelt“ – und so weiter. Ich hab das
jetzt auswendig gesungen.
Wenn Sie so alt werden wie Mira, haben Sie noch fast ein halbes
Jahrhundert.
Mir hat mal ein Wahrsager gesagt, ich werde so Mitte siebzig. Aber man weiß
ja nie! Wenn ich mich zusammenreiße und ganz gesund lebe …
Was wäre denn Ihr Wunsch für die Zukunft?
Dass die Welt sich lieb hat und aufhört so schrecklich verschlossen
gegeneinander zu sein. Und dass die Menschen aufhören, in
dinosauriermäßigen, veralteten Bewusstseinszuständen zu leben und alles
abgrenzen, auch den Nächsten. Wir versuchen die Menschen zu inspirieren mit
Kunst und Liebe. Dass sich die Herzen endlich mal öffnen und dass wir
kapieren, dass wir ’ne Familie sind und dass wir diesen Planeten nicht
ausbeuten und dass der Spaßfaktor im Leben hoch gehalten wird.
Der Spaßfaktor?
Ja, allerdings, die meisten Leute rennen mit verbitterten Gesichtern rum.
Verknittert und verbittert.
Ich dachte, das haben Sie immer gesagt, Liebe wäre die Essenz?
Alles, was glücklich macht.
Sind Sie glücklich?
Yes, Ma’m. Ich habe zwei wunderbare Kinder, und ich hab ’nen tollen Mann,
meinen Freund, River heißt der.
Er ist jünger als Sie?
Es gibt viele Paare, wo der eine ein bisschen früher und der andere ein
bisschen später auf die Welt kam. Mein Freund River ist 27 Jahre alt, aber
jetzt muss ich ab ins Synchronstudio.
Ich danke Ihnen und wünsche Ihnen alles Gute, und bleiben Sie Berlin treu.
Bleib ich. Hab Ihnen doch gesagt: Berliner sind Kosmopolitiker. Das kommt
ganz von alleine.
INTERVIEW: WALTRAUD SCHWAB
11 Mar 2005
## AUTOREN
WALTRAUD SCHWAB
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