# taz.de -- I have zeen zomezing | |
> Max Schmeling begeht heute seinen 85. Geburtstag: Symbolfigur als „guter | |
> Deutscher“ ebenso wie als Nicht-Nazi, eingebunden in die Künstlerszene | |
> der zwanziger Jahre ■ Von Stephan Reimertz | |
Für Verächter ist Boxen kein Sport, sondern unbeherrschte und primitive | |
Schläger- und Schlächterei. Für Anhänger und Aktive aber ist Boxen | |
emphatische Erfahrung, Trance, Erlösung, das in der Dunkelheit grell | |
erleuchtete leinenbespannte Quadrat der Ort, wo eine andere Schwerkraft | |
gilt als auf dem glatten Parkett einer undurchdringlichen Gesellschaft. | |
Elementare Kräfte; ein Mann hat die Chance, allein mit seinen Händen und | |
seiner Intelligenz alles zu erreichen: Geld, Frauen, Autos, Ruhm. Max | |
Schmeling, am 28. September 1905 in Klein-Luckow in der Uckermark | |
geborener, in Hamburg aufgewachsener Kapitänssohn, hat das alles geschafft; | |
und Entscheidendes mehr. | |
Da ist die glückliche Ehe mit dem charmanten UFA-Star Anny Ondra, die in | |
Hitchcocks erstem Tonfilm „Blackmail“ 1929 zu Weltruhm kam. Da ist vor | |
allem eine weit über das Boxen hinausgehende moralische Breitenwirkung, die | |
Dankbarkeit einer Generation, die sich in dem hart arbeitenden, | |
erfindungsreichen Nicht-Nazi wiedererkannte. | |
Bei einer Bambi-Preisverleihung kündigte ihn Boris Becker einmal unter dem | |
Namen „Heinz Schmeling“ an. Die Leimener Rotznase hätte vielleicht doch | |
etwas länger zur Schule gehen sollen. Gemessen am konsumistischen | |
Analphabetismus der jungen Nur-Sportler wirken die um die Jahrhundertwende | |
Geborenen wie eine Heroengeneration. | |
Im Berlin der 20er Jahre war das Boxen nicht gettoisiert wie heute, sondern | |
Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens. „Was Max Schmeling betrifft, von | |
dem Fiori eine schöne Statue gemacht hat“, vermerkt beifällig Thomas Mann | |
in der 'Neuen Rundschau‘, „so ist er mit vielen Schriftstellern und | |
Künstlern befreundet, zum Beispiel mit George Grosz [...] Die junge Welt, | |
so scheint mir, will eine Einheitswelt sein, in der das Geistige freier, | |
natürlicher und ungescheuter als in Zeiten bürgerlicher Bildung ins Leben | |
übergeht.“ | |
Christian Schad malt Schmeling. Fritz Kortner ist mit ihm befreundet und | |
nimmt Boxstunden, um sich auf der Bühne mit Hans Albers prügeln zu können. | |
Eine gute Schmeling- Biographie würde verblüffende Verbindungen von | |
Literatur- und Boxwelt zutage fördern. | |
Am 12.6.1930 wird der 24jährige nach Disqualifikation seines Gegners Jack | |
Sharkey in der 4. Runde erster — und bis heute einziger — deutscher | |
Weltmeister im professionellen Schwergewichtsboxen. Nicht dieser Kampf aber | |
gebiert die Legende Schmeling, sondern der k.o.-Sieg über den als | |
unbezwingbar geltenden Joe Louis im New Yorker Yankee- Stadium am 19.6.1936 | |
in der 12. Runde. Schmeling hatte den Stil des Gegners genau analysiert und | |
eine schwache Stelle in seiner Deckung ausgemacht. Amerikanischen | |
Reportern, die ihn vor dem Kampf fragten, wie er denn Joe Louis zu besiegen | |
gedenke, antwortete er: „I have zeen zomezing.“ | |
Zwei Jahre später holt sich Joe seinen Titel in der 1. Runde zurück. Die | |
Amerikaner hatten sich mit einem Weltmeister aus Nazi-Deutschland schwer | |
abgefunden. Schmeling hat sich nie von Hitler, der ihn umwarb, korrumpieren | |
lassen. Während des Kriegs sagt er in Athen einem britischen Journalisten: | |
„Die Engländer sind faire Gegner gewesen.“ Goebbels tobt: „Der Fall | |
Schmeling soll ein für allemal aus der deutschen Presse verschwinden!“ | |
Schmeling steht für ein anderes Deutschland als Hitler. Nach einem Kampf | |
gegen Adolf Heuser in der Stuttgarter Adolf-Hitler-Kampfbahn erscheint in | |
der Lokalzeitung eine Fehlleistung, die einen verbreiteten Wunsch | |
ausdrückt: „Max Schmeling schlägt Adolf Hitler in der | |
Adolf-Heuser-Kampfbahn k.o.!“ | |
1948 zieht er sich vom Boxen zurück, wird Farmer und dann Lizenziär für | |
Coca-Cola. Es beginnt eine zweite Karriere. Die junge Bundesrepublik | |
braucht ihn, den „guten Deutschen“ als Repräsentations- und | |
Identifikationsfigur. Mitwirkung in Spielfilmen, Auftritte im Fernsehen | |
vermitteln das Bild eines intelligenten, in sich ruhenden Mannes. | |
Schmeling, der höchst lebendig das boxerische Geschehen verfolgt und auf | |
Markus Bott und Henry Maske setzt, ist heute in Wirklichkeit vitaler | |
Repräsentant einer versunkenen Epoche. Die freiere und natürlichere | |
Durchdringung von Körper und Geist, wie sie die neue Sachlichkeit in den | |
Zwanzigern propagiert hat, ist erst unter der obszönen Prüderie der Nazis | |
und dann der 50er Jahre wieder verschüttet. Heute durch konsumorientierten | |
Individualismus und die Verwechslung von Sensibilität mit Empfindlichkeit. | |
Die verakademisierte und falsch ästhetifizierte Künstlerszene kennt keine | |
Boxkämpfe mehr. Drahtig an den jungen Herren sind nur ihre Brillen, sie | |
tragen weite Hosen ohne Veranlassung. | |
Auch die besseren Boxer fühlen, daß sie nicht mehr das verkörpern können, | |
wofür Max Schmeling stand. „Ich habe Max gratuliert“, erzählt mir ein | |
befreundeter Berufsboxer, „seine Hand lag in meiner wie ein Klumpen Gold. | |
Ich wußte, ich bin nicht der Mann, der Max war.“ | |
28 Sep 1990 | |
## AUTOREN | |
stephan reimertz | |
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