| # taz.de -- Hommage an Evelyn Richter: Augenblicke der Konzentration | |
| > Die Grande Dame der sozialdokumentarischen Fotografie der DDR, ist 80 | |
| > Jahre alt geworden. Ihr Leben lang war Evelyn Richter wenig anerkannt und | |
| > arbeitete oft für die "Kiste". | |
| Bild: Als Beobachterin fotografiert sie ohne Blitz und mit einer Kleinbildkamer… | |
| Von Evelyn Richter wird erzählt, sie sei vor einigen Jahren zu Gast auf dem | |
| Fotofestival in Arles gewesen. Die Fotografin hatte, 75-jährig, gerade ihre | |
| erste große Museumsschau im Leipziger Museum der bildenden Künste hinter | |
| sich, mit nennenswerter Resonanz erstmals auch in westdeutschen Medien. In | |
| Arles wurde sie von einer prominenten Kollegin aus dem Westen angesprochen: | |
| "Ach, man kennt Sie jetzt. Jetzt muss ich Sie ja grüßen." | |
| Die schmallippig vorgetragene Anerkennung wirft ein Schlaglicht darauf, wie | |
| Richter Zeit ihres Lebens Aufmerksamkeit immer nur dosiert zuteil wurde. | |
| Die Frau, die als Gesicht der sozialdokumentarischen Fotografie der DDR | |
| gelten darf und die mit ihren Bildern mindestens zwei Generationen | |
| ostdeutscher Fotografen prägte, arbeitete ihr Leben lang so gut wie | |
| ausschließlich im Eigenauftrag und "für die Kiste". | |
| Die Kulturbürokratie der DDR mochte ihre schwarz-weißen Zeitenbilder nicht, | |
| weil sie dem Menschenbild der Aufbaupropaganda widersprachen. Und dem | |
| Westen waren die Fotografien, als sie sich nach 1989 in die Bilderflut der | |
| freien Welt einreihen konnten, zu melancholisch. Melancholie, ja was denn | |
| sonst?, würde Richter vielleicht sagen angesichts ihres lebenslangen | |
| Projekts, mit der Kamera die Versuche von Menschen zu bannen, sich gegen | |
| Arbeitswelt, Gesellschaft und den Lauf der Welt zu behaupten. | |
| Am 31. Januar ist Evelyn Richter 80 Jahre alt geworden. In Bautzen geboren, | |
| erlernt sie als 18-Jährige das Porträthandwerk bei Pan Walther, einem | |
| bekannten Dresdner "Lichtbildner" in der Tradition Hugo Erfurths. Das | |
| Statuarische jener Porträtfotografie streift sie später ab, stattdessen | |
| wird der "entscheidende Moment" zum Thema ihres künstlerischen Lebens. | |
| 1953 beginnt sie ein Fotografiestudium an der Leipziger Hochschule für | |
| Grafik und Buchkunst. Knapp zwei Jahre später fliegt sie von der Akademie. | |
| Ihr unbotmäßiges Auftreten gegenüber den Schulautoritäten, ihre bürgerliche | |
| Herkunft und die Porträts, die sie von ihren Kommilitonen macht, bringen | |
| ihr den Rauswurf ein. Die traurig-ernsten oder wahlweise aufmüpfigen Posen | |
| der jungen Individualisten gelten als defätistisch. | |
| Ihren Anspruch, gegen die Bildpropaganda der DDR anzufotografieren, schärft | |
| sie daran. In der Behauptung, die Wirklichkeit abzubilden, "wie sie | |
| wirklich ist", beruft sich Richter auf die amerikanische Life-Fotografie | |
| und die Arbeiten der Fotoagentur Magnum. Den Authentizitätsbeweis erbringt | |
| sie mit dem schwarzen Negativrand auf ihren Vergrößerungen: Seht her, ich | |
| habe nichts manipuliert, keinen Bildausschnitt ausgesucht, alles ist echt. | |
| Als Beobachterin, die möglichst unbemerkt bleiben will, fotografiert sie | |
| vom Hintergrund aus: ohne Blitz und mit einer Kleinbildkamera der Marke | |
| Leica. Ihre berühmten "Arbeitsporträts" von David Oistrach macht sie aus | |
| dem Orchestergraben heraus, fast ohne Licht, auf grobkörnigem Film - und | |
| kommt dem Dirigenten fotografisch so nah wie sonst kaum jemand. | |
| Oistrach, später der Komponist Paul Dessau, weitere Künstler und immer | |
| wieder Menschen in Ausstellungen: Das sind neben Stadtbildern und Porträts | |
| von fahrenden Menschen und Menschen am Arbeitsplatz ihre Hauptthemen. | |
| Ihr fotografischer roter Faden: eine große Empathie den Abgebildeten | |
| gegenüber, Melancholie und die Verdichtung des Bildes zum Sinnbild. Auf | |
| einer Fotografie von 1972 schippert ein Kahn namens Traumland aus dem Dunst | |
| kommend an der Berliner Museumsinsel vorbei. Der Betrachter muss die Mauer | |
| ahnen, die nur wenige hundert Meter von der Szenerie entfernt das | |
| gescheiterte Traumland umgibt. | |
| 1980 erscheint Richters Buch "Entwicklungswunder Mensch", für das sie | |
| Kleinkinder fotografiert. Vor dem Hintergrund der sozialistischen | |
| Erziehungsdiktatur erfasst sie die überzeitlichen Momente der Kindheit und | |
| pflegt so jenen fotografisch-anthropologischen Universalismus, den sie | |
| vermutlich kennenlernte, als sie 1955 in Westberlin Edward Steichens | |
| Ausstellung "The Family of Man" sah. | |
| Leben allerdings muss sie in all dieser Zeit von Brotberufen bei der | |
| Leipziger Messe. Erst 1981 kehrt sie als Dozentin an die Leipziger | |
| Hochschule zurück. Trotz ihrer jahrelangen Abwesenheit, so beschreiben es | |
| ihre Kollegen und Schüler, ist sie an der Akademie stets anwesend: Ihre | |
| Bilder sind Gesprächsstoff, sie ist eine Instanz, ein Vorbild selbst für | |
| die Generation, die Anfang der Achtzigerjahre den Wahrhaftigkeitsanspruch | |
| der Fotografie gegen das formale Experiment eintauscht. Während der | |
| Montagsdemos im Oktober 1989 verteilt sie lichtempfindliche Filme an ihre | |
| Studenten. Manches Dokument aus diesen Tagen verdankt sich dieser | |
| praktischen Tat. | |
| Vor wenigen Monaten hat Richter rund 750 ihrer Arbeiten als Vorlass an das | |
| Leipziger Museum der bildenden Künste gegeben. Und das Dresdner | |
| Leonhardi-Museum zeigt seit letzter Woche Fotografien von Richter mit dem | |
| Schwerpunkt Dresden. An beiden Orten ist die Verdichtung von Bildern und | |
| Ideen zu erfahren, die Richters Bilder kennzeichnen. Dass einige ihrer | |
| Bilder dabei frappierende Wiedergängerqualitäten haben, gehört zur Ironie | |
| der Geschichte. Das Foto eines verlassenen Bahnhofs mit dem sprechenden | |
| Namen Warthe, aufgenommen 1968, rückt angesichts der schrumpfenden | |
| ostdeutschen Provinz problemlos in die Gegenwart auf. | |
| Bis 5. April, Leonhardi-Museum Dresden in Zusammenarbeit mit der | |
| Ostdeutschen Sparkassenstiftung sowie dem Evelyn-Richter-Archiv der | |
| Ostdeutschen Sparkassenstiftung im Museum der bildenden Künste Leipzig | |
| 4 Feb 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Robert Schimke | |
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