# taz.de -- Hofer Filmtage: Kampf dem Blockbuster | |
> Auf den 45. Internationalen Hofer Filmtagen verlässt das deutsche Kino | |
> ausgetretene Pfade. Man wendet sich selbstbewusst Genrefilmen und der | |
> Globalisierung zu. | |
Bild: Fluchthilfe für einen Mörder: "Töte mich" von Emily Atef. | |
HOF taz | Auf dem Weg vom Bahnhof zum Festivalbüro lassen die ersten | |
Plakate der deutschen Festivalfilme zumindest eine Tendenz in der Motivwahl | |
erkennen: Nacktheit. Barbusige Frauen und vor allem Männer zieren die | |
zahlreichen Poster und buhlen unverhohlen um Aufmerksamkeit. | |
Dabei wäre die plumpe "Sex sells"-Strategie gar nicht notwendig gewesen, | |
steht doch auch bei den 45. Internationalen Hofer Filmtagen der deutsche | |
Film im Mittelpunkt des Festivaltreibens. Andererseits gilt es bei 74 | |
Langfilmen und 38 Kurzfilmen schon mal im Vorfeld die Blicke auf den | |
eigenen Film zu lenken. Und so präsentierte sich das deutsche Kino sechs | |
Tage lang, von internationalem Programm flankiert, zeigefreudig und | |
unverklemmt - zumindest metaphorisch gesprochen. | |
Der Eröffnungsfilm, der Psychothriller "Bastard" von Carsten Unger, | |
unterstreicht eine wesentliche Tendenz der letzten Zeit, nämlich die | |
unbekümmerte Hinwendung zum Genre. Auch auf den Hofer Leinwänden schreitet | |
die Genrefizierung fort, unter anderem mit dem Zombie-Mutantenfilm | |
"Extinction - The G.M.O. Chronicles" von Niki Drozdowski, eine Art kölsche | |
"28 Days Later" in apokalyptischer Metallic-Optik. | |
Gerade Drozdowskis Film, entstanden ohne jegliche Förderung, lässt trotz | |
einiger Ecken und Mängel die Leidenschaft und den trotzigen Übermut | |
erkennen, mit denen hier mit minimalen Mitteln den amerikanischen | |
Blockbustern der Kampf angesagt wird. | |
Ein mittlerweile routinierter Vertreter der Spannung ist Dominik Graf. Mit | |
seinem neuen Fernsehfilm "Das unsichtbare Mädchen", gedreht in Hof und | |
Umgebung, beweist Graf erneut, dass er momentan als Maßstab deutscher | |
Krimikunst gelten muss. In dem Film führt der Mord an einer Verkäuferin | |
Kommissar Tanner zu dem elf Jahre alten Fall eines verschwundenen | |
achtjährigen Mädchens, deren Leiche nie gefunden wurde. Je mehr Tanner | |
ermittelt, desto tiefer wird der Sumpf der Lügen, der bis in die hohe | |
Politik reicht. | |
## Stil und Tempo | |
"Das unsichtbare Mädchen", für den Krimiautor Friedrich Ani zusammen mit | |
Ina Jung das Drehbuch geschrieben hat, ist ein ebenso harter wie komplexer | |
Krimi, in dem Graf alle inszenatorischen Register zieht und zeigt, was | |
jenseits der TV-Schablonen möglich ist. Neben Stil und Tempo lebt der Film | |
von seiner Darstellerriege, allen voran Ulrich Noethen als Polizeichef, der | |
seine Rolle mit solch infernalischer Tiefe spielt, dass es einen schaudern | |
lässt. | |
In "Töte mich" von Emily Atef hilft ein junges Mädchen einem entflohenen | |
Mörder zur Flucht, als Gegenleistung soll er sie töten. Atef, die mit "Das | |
Fremde in mir" das Thema der postpartalen Depression anpackte, blickt auch | |
in ihrem neuen Film in die komplexen Abgründe der menschlichen Psyche. Ein | |
dichtes und kluges Drama, in dem Schauspielerin Maria Dragus ("Das weiße | |
Band") ihre Stellung als aufstrebendes Nachwuchstalent erneut unter Beweis | |
stellt. | |
Auch die Hinwendung des deutschen Kinos zu internationalen Themen hält an. | |
So beschäftigen sich allein zwei deutsche Produktionen mit den Schicksalen | |
afrikanischer Flüchtlinge. Regisseurin Maggie Peren wählt als Form für "Die | |
Farbe des Ozeans" das klassische Drama. An einem spanischen Strand wird die | |
deutsche Touristin Nathalie Zeuge, wie ein Boot mit afrikanischen | |
Flüchtlingen angespült wird. Während sie für Zola, einen der Flüchtlinge, | |
und seinen Sohn Wasser holt, bringt die spanische Polizei die Flüchtlinge | |
in ein Internierungscamp. | |
Zola und sein Sohn können flüchten und Nathalie muss sich entscheiden, ob | |
sie den beiden helfen will. Peren erzählt ihren Film mit klarem Blick auf | |
die Problematik und verwebt geschickt die einzelnen Erzählstränge, ohne | |
dabei in einen Betroffenheitsduktus zu verfallen. | |
## Für 517,32 Euro großes Kino | |
Ebenso gelungen, aber gänzlich anders erzählt, ist "Implosion" von Sören | |
Voigt, der bereits mit "Identity Kills" auf der Berlinale 2003 auf sich | |
aufmerksam machte. Auch hier strandet ein Boot mit afrikanischen | |
Flüchtlingen mitten in einem Touristengebiet. Der 17-jährige Thomas | |
entdeckt zufällig die junge Kongolesin Djamile und versteckt sie in seinem | |
Hotelzimmer. Als sein Vater davon erfährt, versucht er, seinen Sohn "zur | |
Vernunft zu bringen". Im Gegensatz zu Peren verlagert Voigt das Thema in | |
den Rahmen einer Familie und zeichnet anhand des Vater-Sohn-Konflikts die | |
sozialen Auswirkungen der Globalisierung nach. | |
Um Familie geht es auch in dem Debütfilm von Axel Ranisch. "Dicke Mädchen" | |
wurde mit einem sensationellen Budget von 517,32 Euro gedreht - und ist | |
dennoch ganz großes Kino. Die Geschichte eines Sohnes, der mit seiner | |
demenzkranken Mutter zusammenlebt und sich dann auch noch in deren Pfleger | |
verliebt, gehörte zu den absoluten Highlights des Festivals. Ein wundervoll | |
wilder und zugleich zärtlicher Film, voll von abwegigem Humor und magischen | |
Momenten. Und lange wurde eine schwule Liebesgeschichte nicht mehr so | |
unsexy und beiläufig erzählt wie diese. | |
Das Premierenpublikum belohnte den fast komplett improvisierten Film mit | |
tosendem und nicht enden wollendem Beifall. So einen Applaus hätte sie noch | |
nie in Hof erlebt, kommentierte die Moderatorin die Situation. So einen | |
Film wohl aber auch nicht. | |
31 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Cornelis Hähnel | |
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