# taz.de -- Heinz Bude über Pegida und Co.: Ein Ausdruck sozialer Verbitterung | |
> In Deutschland hat eine stille Revolution stattgefunden. Ein Ergebnis | |
> dieser Veränderungen ist, so Heinz Bude im taz.lab-Gespräch, die | |
> Pegida-Bewegung. | |
Bild: Ein Anhänger der MVgida-Bewegung, des mecklenburgischen Pegida-Ablegers,… | |
taz: Herr Bude, in Ihrem Buch treffen Sie die Diagnose, wir lebten in einer | |
Gesellschaft der Angst. Pegida war gestern - aber war diese Bewegung nicht | |
eine ähnliche, nur mit politisch anderem Sound, wie die der linken in den | |
siebziger Jahren? | |
Heinz Bude: Nein, das glaube ich nicht. Pegida ist oder war in der Tat | |
Ausdruck eines Murrens. Noch stärker gesagt: Ausdruck einer sozialen | |
Verbitterung. Pegida ist eine grundsätzliche andere Geschichte als die der | |
Linken der Siebziger. | |
Letztlich hatten sie die Vorstellung, dass sie für die Welt verantwortlich | |
sind. Die Leute von Pegida aber sagen, dass ihnen die Welt nicht mehr | |
gehört. Deshalb ist es sehr viel depressiver und sehr viel verlorener, was | |
die Pegida-Leute zum Ausdruck bringen. | |
Müsste man nicht eine sprechendere, nicht blank abweisende Antwort auf das | |
Phänomen namens Pegida finden - so wie SPD-Chef Sigmar Gabriel mit seinem | |
Besuch in Dresden getan hat? | |
Ich finde es richtig, was Sigmar Gabriel gemacht hat. Mir ist aber | |
wichtiger zu verstehen, was bei dem, was Pegida war, zum Ausdruck kommt. | |
Nun ja: Was denn? | |
Über zwei Tatsachen muss man sich Klarheit verschaffen. Die erste ist, dass | |
die deutsche Gesellschaft, wenn man sie etwa mit der von 1998 vergleicht, | |
nicht mehr wiederzuerkennen ist. | |
Viel zu wenig ist der deutschen Öffentlichkeit und auch der intellektuellen | |
Klasse deutlich geworden, dass unsere Gesellschaft ökonomisch und politisch | |
Europa dominiert. Vor zwei Jahrzehnten galt Deutschland als der kranke Mann | |
Europas. In der Zwischenzeit hat Dramatisches stattgefunden, ich würde gar | |
von einer stillen Revolution reden. | |
In welchen Bereichen? | |
In den industriellen Arbeitsplätzen, in der Form der Steuerung von | |
Unternehmen und auch in der Art der politischen Gestaltung unserer | |
Lebensweisen. Diese Entwicklung hat eine Gruppe von Leuten hervorgerufen, | |
die als Verlierer gar nicht so gut bezeichnet sind. | |
Was schlagen Sie vor? | |
Die Menschen, denen das Nachdenken gelten kann, sind diejenigen, die durch | |
alle möglichen Entwicklungen das Gefühl hatten, nie die Gelegenheit | |
bekommen zu haben, das zu zeigen, was in ihnen steckt. | |
Die das Gefühl hatten, sie müssen sich wegducken, weil die Kompetenzen, die | |
Talente, die sie in die Waagschale zu werfen haben, nicht mehr abgefragt | |
werden. Und diese Erfahrung der sozialen Verbitterung, die ist besonders in | |
Ostdeutschland situiert. | |
Sagen Sie uns ein konkretes Beispiel? | |
Wenn Sie zum Beispiel ein klassischer Ingenieur und jetzt 50 Jahre alt | |
sind, aber merken, Ihre Abteilung in einem großen Unternehmen wird | |
umorganisiert, dann landen Sie plötzlich auf einer Position, wo Sie das | |
Gefühl haben, dass das, was Sie selbst als Kompetenz empfinden, entwertet | |
wird. Sie werden zum alten Eisen gezählt, und das erfahren Sie als | |
subjektive Degradierung. | |
Die klassische Kränkung von Arbeitnehmern, die noch lange bis zur Pension | |
haben. | |
Kränkung ist hierfür ein gutes Wort, ja. | |
Aber Entwertungsgefühle - gab es die nicht bei Arbeitnehmern, die nicht | |
mehr jung sind, schon immer - verbunden mit starker Zukunftsfurcht? | |
Richtig, aber wenn Sie sich als entwertet empfinden und gleichzeitig von | |
aller Welt signalisiert bekommen, dass es Deutschland nicht besser gehen | |
könnte, dann bekommt diese Kränkung eine besondere Dimension. Der | |
Betroffene denkt nämlich: Für mich gibt es keinen Spielraum mehr zum | |
Besseren. Er - oder sie - fühlt sich allein. | |
Das Gespräch führte JAN FEDDERSEN | |
2 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
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