# taz.de -- Harlem wählt Obama: Glaube, Sorge, Hoffnung | |
> Harlem setzte zunächst auf Hillary Clinton. Und so richtig kann es die | |
> schwarze Bevölkerung immer noch nicht glauben, dass der nächste Präsident | |
> einer der ihren sein könnte. | |
Bild: Obama steht für Fortschritt. | |
Es gibt nur ein einziges Thema an diesem kühlen und verregneten Oktobertag. | |
"88 Schwarze wollten sie umbringen, Mama, kannst du dir das vorstellen?" | |
Ein dürrer, langer Mann in schwarzer Lederhose mit Nietengürtel redet auf | |
eine ältere Frau ein, die an der 125. Straße auf ihre U-Bahn wartet. Die | |
beiden sehen nicht so aus, als hätten sie normalerweise viel miteinander zu | |
bereden. Aber die Nachricht bringt heute alle hier zusammen. "Und dann | |
wollten sie Obama erschießen." Die alte Dame schüttelt fassungslos den | |
Kopf, der unter einem Wollhut steckt. | |
Eigentlich war das Neonazi-Komplott in Arkansas, das offenbar dilettantisch | |
geplant war, keine große Geschichte in den US-Medien. In der New York Times | |
stand sie auf Seite 14, rechts unten in einem kleinen Kasten. Hier, in | |
Harlem, schlug die Meldung jedoch ein wie eine Bombe. Die tiefen Ängste, | |
die im schwarzen Amerika seit Monaten schwelen, schienen sich schockartig | |
zu bewahrheiten: dass es wieder so wird wie damals, als man schon einmal | |
Hoffnung hegte; damals, in den Sechzigerjahren; damals, als die Kennedys | |
ermordet wurden; damals, als Martin Luther King in einem Motel in Memphis | |
eine Kugel fing und seinen Traum eines besseren Amerika, ja einer besseren | |
Welt mit in sein Grab nahm. | |
"Ich habe nie meine Mutter weinen sehen", redet der Schlacks mit einer | |
Dringlichkeit weiter, als könne das die Angst und das Entsetzen vertreiben. | |
"Aber an dem Tag, an dem sie Dr. King ermordet haben, da hat sie bitterlich | |
geschluchzt." Sie werden Obama aber nicht kriegen, spricht er sich dann Mut | |
zu. Obama steht ja dafür, dass diesmal alles anders wird, und deshalb | |
werden er und die alte Dame und alle Umstehenden und überhaupt ganz Harlem | |
am kommenden Dienstag die Fifth Avenue hinuntertanzen. | |
Aber so richtig überzeugt scheint er nicht zu sein, und so haben seine | |
Sätze auch etwas Beschwörendes. Noch ist es nämlich nicht so weit, noch | |
kann alles Mögliche passieren. Und bevor in der Nacht zum 5. November nicht | |
alle Stimmen ausgezählt sind und das Ergebnis amtlich ist, will man hier in | |
Harlem nicht daran glauben, dass es tatsächlich einen schwarzen Präsidenten | |
geben wird. Das Nazi-Komplott hat es ja wieder bestätigt. Irgendetwas wird | |
ganz bestimmt noch dazwischen kommen. | |
Das befürchtet auch Kashif. Der junge, jamaikanischstämmige New Yorker ist | |
Mitinhaber der Hiphop-Boutique "Harlem Underground" an der 125. Straße. Ein | |
komplettes Schaufenster hat er mit einem Obama-T-Shirt in Super-Size | |
ausdrapiert. Obama ist darauf zusammen mit Martin Luther King zu sehen, | |
darunter prangt das berühmte King-Zitat "I have a dream". Im Verkaufsraum | |
ist eine ganze Regalwand voll von Obama-Shirts in den verschiedensten | |
Variationen. Bis zu 50 davon verkauft er pro Tag. Kashif und sein Kompagnon | |
tragen allerdings Shirts mit dem derzeit hier angesagten "Cholo" Design. | |
"Ich ziehe erst nächsten Mittwoch so ein Hemd an", sagt Kashif. Lieber | |
nicht das Unglück provozieren. | |
Die Hoffnung, von der Barack Obama so gerne spricht, ist fragil in Harlem. | |
Das schwarze Amerika ist es nicht gewohnt, an sich zu glauben. Nicht | |
zuletzt auch deshalb hat es wohl so lange gedauert, bis Harlem sich | |
geschlossen hinter Barack Obama gestellt hat. Noch bei der Vorwahl im | |
Februar verlor Obama hier gegen Hillary Clinton: 53 Prozent der Stimmen | |
bekam Hillary damals im Wahlbezirk Harlem. Hillary und Bill, das waren im | |
Gegensatz zu Obama sichere Größen. Die beiden hatten sich schließlich schon | |
immer für die Schwarzen stark gemacht und ganz besonders für Harlem. Als | |
Bill Clinton nach Ende seiner Präsidentschaft die Büros seiner Stiftung an | |
die 125. Straße verlegte, war das ein deutliches Zeichen. Und es verfehlte | |
seine Wirkung nicht. Ein Boom folgte entlang Harlems Hauptstraße - eine | |
Ladenkette nach der anderen verlegte Filialen hierher, Hotels wurden | |
hochgezogen, prachtvolle alte Wohnhäuser restauriert. Harlem blühte auf. | |
Deshalb stellte sich auch das Harlemer Establishment hinter die Clintons. | |
Prediger wie Calvin Butts von der mächtigen Abyssinian Baptist Church und | |
Politiker wie der Harlemer Kongressabgeordnete Charlie Rangel unterstützen | |
während der Vorwahlen Hillary. Gegen Obama. | |
Der deutschstämmige Werner Sollors, Professor für Afro-Amerika-Studien an | |
der Harvard-Universität, erklärt das so: "Es regierte von Anfang an die | |
Angst in Amerika, dass ein schwarzer Kandidat es sowieso nicht schaffen | |
kann. Da war es einfacher, sich von vornherein gegen ihn zu stellen." Für | |
die Bewohner von Harlem jedenfalls schien Hillary einfach aussichtsreicher | |
als dieser schwarze Mann. Einige behaupteten sogar, sie sei "schwärzer". | |
Schließlich wird Bill in Harlem noch immer als der erste "schwarze | |
Präsident" aller Zeiten bezeichnet. "Er hat allen von uns, die Teil der | |
amerikanischen Familie sein wollten, die Arme geöffnet", sagte Charlie | |
Rangel noch nach Hillarys Niederlage. | |
Vanessa Ayers etwa war eine flammende Hillary-Anhängerin. Die stämmige | |
schwarze Frau steht vor dem Adam-Clayton-Powell-Hochaus und wartet auf den | |
Beginn eines Weiterbildungskurses, den sie hier besucht. Auf dem Platz vor | |
dem hässlichen Verwaltungsbau steht eine Statue von Powell, der in den | |
Fünfzigerjahren als erster schwarzer Abgeordneter New York im US-Kongress | |
vertreten hat. "Ein Grund dafür, dass ich lange Hillary unterstützt habe, | |
war, dass ich dachte, die ermordet wenigstens keiner", sagt Vanessa. Ein | |
schwarzer Kandidat, da war sie sich sicher, kann gar nicht überleben. | |
Jetzt ist Vanessa natürlich wie fast alle hier in Harlem überzeugte | |
Obama-Anhängerin. Das alte Harlemer Establishment hat sich nach der | |
Niederlage von Hillary zähneknirschend hinter Obama gestellt und die | |
loyalen Anhänger der Clintons in der Nachbarschaft wie Vanessa mitgezogen. | |
Die Gefühle für Hillary und Bill sind seitdem sogar ins Gegenteil | |
umgeschlagen. Man nimmt es den Clintons im Nachhinein übel, dass sie | |
während der Vorwahl mitunter mit harten Bandagen gegen Obama gekämpft | |
haben. Bills Bemerkung, dass Obamas Geschichte "eine Mär" sei, wird dem | |
Expräsidenten als rassistisch ausgelegt. Und die Fortschritte, die die | |
Clintons für Harlem erzielt haben, werden plötzlich als "Gentrification" | |
dargestellt - als Verdrängungsprozess der armen schwarzen Bevölkerung. | |
Leah Settepani sieht den krassen Umschwung von Zuneigung zu Zorn auf die | |
Clintons als nur ein weiteres Symptom einer tiefsitzenden Verängstigung und | |
Verunsicherung der Schwarzen von Harlem. Die gebürtige Äthiopierin betreibt | |
gemeinsam mit ihrem italienischen Ehemann seit zehn Jahren ein hübsches | |
Café an der Lenox Avenue und berichtet, dass ihr diese spezielle Mischung | |
aus Furcht, Misstrauen und der damit verbundenen Wut beinahe täglich | |
begegnet. An die regelmäßigen Vandalisierungen ihres Betriebs, an Grafitti | |
und eingeschlagene Fensterscheiben, hat sie sich schon beinahe gewöhnt. | |
"Gerade jetzt in der Wirtschaftskrise sind die Menschen aber noch mehr | |
verschüchtert als sonst." | |
Glaube und Hoffnung, die Dinge, die Obama predigt, fielen den Menschen hier | |
zunehmend noch schwerer als ohnehin schon. Daher auch die allgegenwärtige | |
Furcht, dass doch noch alles schiefgehen kann, ja beinahe die Überzeugung, | |
dass es so kommen wird. Was bei dieser angespannten Gefühlslage passiert, | |
wenn Obama noch verliert, mag sich Leah deshalb auch gar nicht erst | |
ausmalen. "Dann brennen hier die Straßen", sagt sie und blickt sorgenvoll | |
auf ihre Einrichtung. | |
Das Schaufenster des "Hue-Man"-Buchladens am Powell Boulevard, nur vier | |
Blocks vom "Settepani" entfernt, ist restlos mit den beiden Büchern von | |
Obama gefüllt - "Ein amerikanischer Traum" und "Hoffnung wagen". Nach einem | |
Tag in Harlem denkt man insbesondere über den zweiten Titel auf einmal ganz | |
anders nach. Hoffnung scheint hier tatsächlich ein Wagnis zu sein. Die | |
Erfahrung der Enttäuschung ist tief in die Erinnerung des schwarzen Amerika | |
eingebrannt, ein besseres Leben, bessere Zeiten erscheinen unglaublich | |
unwahrscheinlich. Und doch wagen sich viele zumindest zaghaft auf dieses | |
Terrain. 40 bis 50 Exemplare von Obamas Buch verkaufe sie jeden Tag, sagt | |
die Besitzerin von Hue Man, Marva Allen. | |
Sie selbst, erzählt Allen, eine überaus herzliche schwarze Frau um die 50, | |
halte es mit der Hoffnung so: "Es wäre idiotisch zu glauben, dass Obama | |
alle unsere Probleme löst." Hoffnung sei für sie weniger konkret - sie sei | |
eher ein unbestimmter Zielpunkt in einer unbestimmten Zukunft. Was Obama | |
anbiete, sei weniger das Versprechen, dass alle Wünsche erfüllt werden, als | |
die Möglichkeit, dass die Dinge besser werden können. "Und das ist mir | |
allemal lieber als das, was wir jetzt haben." | |
Die Furcht, dass doch noch irgendetwas dazwischenkommt, kann indes auch | |
Marva Allen nicht abschütteln. "Ich werde am Dienstag ganz früh wählen | |
gehen", sagt sie deshalb. "Dann nehme ich mir ein Buch und lege mich ins | |
Bett." Die Anspannung der Wahlnacht, das Zittern, dass vielleicht doch alle | |
Umfragen verkehrt waren, erspart sie sich lieber. Stattdessen will sie | |
einfach nur davon träumen, in einem neuen Amerika aufzuwachen. | |
31 Oct 2008 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Moll | |
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