# taz.de -- Große schwarze Hoffnung | |
> Woodstock in Afrika: „When we were Kings“ dokumentiert den | |
> Jahrhundertkampf zwischen Muhammad Ali und George Foreman vor zwanzig | |
> Jahren in Kinshasa, als es noch ganz und gar dem Leoparden Mobutu gehörte | |
> ■ Von Matti Lieske | |
„Well you must tell me, baby, how your head feels under something like | |
that, under your brand-new leopard-skin pillbox hat“ | |
Bob Dylan | |
Seine letzte Chance hatte George Foreman, als er auf dem Flughafen von | |
Kinshasa die Gangway hinunterschritt. „Wir dachten vorher alle, er wäre ein | |
Weißer“, erinnert sich der zairische Schauspieler Malik Bowens, einer der | |
Zeitzeugen, die Regisseur Leon Gast für seinen Film „When we were Kings“ | |
befragt hat. So intensiv hatten Muhammad Ali, seine Gefolgsleute und | |
Promoter Don King den „Rumble in the Jungle“ um die | |
Schwergewichts-Weltmeisterschaft zwischen Ali und Foreman schon im Vorfeld | |
als Kampf des guten, vereinten Volkes der Schwarzen gegen die böse Welt der | |
weißen Imperialisten propagiert, daß niemand auf die Idee kam, der | |
designierte Unhold der ganzen Inszenierung könnte ebenfalls ein schwarzer | |
Boxer sein. | |
Jetzt, bei seiner Ankunft auf afrikanischem Boden, hatte Foreman die | |
einmalige Gelegenheit, die Dinge zurechtzurücken. Deutlich zu machen, daß | |
er „sogar viel schwärzer“ war als Ali, was er fürderhin, als es zu spät | |
war, nicht müde wurde zu betonen. Klarzustellen, daß er ein ebensolches | |
Recht wie sein Gegner hatte, als Abkömmling einst verschleppter Sklaven den | |
Boden seiner Vorfahren zu betreten und ebendort zu triumphieren. Aber der | |
damals, im Herbst 1974, 26jährige Schläger, aufgewachsen in den Ghettos von | |
Houston, besaß noch nichts von der abgeklärten Klugheit des heutigen George | |
Foreman und vermasselte die Sache gründlich. Als er das Flugzeug verließ, | |
führte er an der Leine ausgerechnet einen deutschen Schäferhund, ein Tier, | |
das die Bewohner dieses Teils von Afrika äußerst ungut von ihren belgischen | |
Kolonialherren in Erinnerung hatten. Damit verlor Foreman das Spiel | |
zumindest auf der Ebene der Propaganda, bevor es richtig begonnen hatte. So | |
schwarz er auch war, er blieb die Verkörperung dessen, was im Boxgeschäft | |
spätestens seit den Zeiten von Joe Louis als „Great White Hope“ bespöttelt | |
wurde: Lieblinge des weißen Amerika, dazu ausersehen, die frechen Schwarzen | |
auf dem Weltmeisterthron das Fürchten zu lehren, und, bis auf wenige | |
Ausnahmen, stets zum Scheitern verurteilt. | |
Noch zwanzig Jahre später, als George Foreman am Rande des Kampfes gegen | |
Axel Schulz auf den Ali-Fight zu sprechen kam, war zu spüren, wie sehr | |
diese Tage von Kinshasa an ihm nagen. Er war der große Verlierer der | |
spektakulären Veranstaltung am Zaire- Fluß. Uneingeschränkt gewonnen hatte | |
hingegen die unheilige Dreifaltigkeit Ali, King, Mobutu, die aus diesem | |
Kampf immense persönliche, geschäftliche und politische Vorteile zog. Von | |
Mobutu, dem Mann mit dem Leopardenfellhütchen, würde heute möglicherweise | |
längst niemand mehr reden, hätte er damals seiner Bevölkerung nicht die | |
nötigen zehn Millionen Dollar aus der Tasche gezogen, um den Fight des | |
Jahrhunderts – wenn es einen solchen gibt, dann war es dieser – zu | |
veranstalten. Auch wenn er sich aus Angst vor Attentaten nicht in die Arena | |
traute, als die beiden Boxer schließlich aufeinandertrafen, zog der | |
Diktator, der im selben Stadion nicht lange zuvor seine politischen Gegner | |
umbringen ließ, einen riesigen Imagegewinn aus dem Fight. | |
Der kleine Ex-Gangster Don King, der in Zaire nicht müde wurde, breit | |
grinsend von Black- Power-Parolen zu Shakespeare- Zitaten und zurück zu | |
wechseln, begründete seine Laufbahn als erfolgreichster Boxpromoter aller | |
Zeiten, und Ali schließlich rettete nicht nur seine Boxkarriere, sondern | |
sorgte endgültig dafür, daß er, trotz Pelé und Michael Jordan, zum | |
berühmtesten und schließlich auch verehrtesten Sportler der Welt wurde. Zu | |
guter Letzt auch beim weißen Amerika, das ihn so lange fanatisch bekämpft | |
hatte. | |
Die Protagonisten des Kampfes und des begleitenden Musikfestivals waren | |
Schwarze, jene, welche die Kunde von den Ereignissen in die Welt trugen, | |
jedoch zumeist weiß: die Schriftsteller Norman Mailer und George Plimpton, | |
die über den Rumble in the Jungle schrieben, und auch der Filmemacher Leon | |
Gast, der seine Arbeit am „Grateful Dead Movie“, einer exzellenten | |
Dokumentation über eine Konzertserie der kalifornischen Band, unterbrochen | |
hatte, um das „schwarze Woodstock“ in Zaire mit Stars wie James Brown, B.B. | |
King, Miriam Makeba oder den Spinners filmisch zu verarbeiten. Kaum in | |
Afrika angekommen, mußte er sich erst mal einer Revolte seiner schwarzen | |
Crew erwehren, die bezweifelte, daß ein weißer Filmemacher dem Ereignis | |
gerecht werden könnte. | |
Als der Kampf wegen einer Augenbrauenverletzung Foremans kurzfristig um | |
sechs Wochen verschoben wurde und die Musikstars nach getaner Arbeit | |
abreisten, entschied sich Gast, in Kinshasa zu bleiben, und er hielt auf | |
100.000 Metern Film fest, wie Ali und seine Leute die Menschen in Zaire in | |
ihren Bann und auf ihre Seite zogen. Viele hatten, wie Malik Bowens | |
erzählt, ohnehin großen Respekt für Ali, vor allem wegen seiner Weigerung, | |
in den Vietnamkrieg zu ziehen („Kein Vietcong hat mich je Nigger genannt“). | |
Während ein frustrierter Foreman nach der Kampfverschiebung in seinem Camp | |
vor sich hin brütete, schwamm Ali Maos Leitsatz getreu im zairischen Volk | |
wie ein Fisch im Wasser, predigte die Thesen seines Black-Muslim-Gurus | |
Elijah Muhammad von der Größe des schwarzen Mannes, riß Witze über seinen | |
Gegner („The world was stunned, when Nixon resigned, but wait, till I kick | |
George Foremans behind“) und brachte den Leuten seinen Schlachtruf bei: | |
„Ali, bomaye! Ali, bomaye!“ | |
Ein Motto, das sich bei einem ausgewiesenen Pazifisten nicht unbedingt | |
aufdrängt, heißt es doch nichts anderes als „Ali, töte ihn“. Wer Leon Ga… | |
Film gesehen hat, dem dröhnt der Slogan lange in den Ohren, und mit großer | |
Sicherheit wacht George Foreman noch heute manchmal des Nachts auf, weil | |
sich eine entfesselte und brüllende Menschenmenge in seine Träume | |
geschlichen hat: „Ali, bomaye! Ali, bomaye!“ Ungeniert bediente sich | |
Muhammad Ali afrikanischer Beschwörungsriten – im Film, der ansonsten eher | |
konventionell daherkommt, so hübsch wie expressiv durch Miriam Makebas | |
grelle Gesichtsbemalung und ihr rhythmisches Hecheln symbolisiert. Als der | |
Tag des Kampfes gekommen war, hatte sich der magische Ruf im ganzen Land | |
verbreitet, und im Stadion dröhnte das „Ali, bomaye! Ali, bomaye!“ aus | |
100.000 Kehlen. „Sie reagierten, als hätten wir unser ganzes Leben zusammen | |
geprobt“, schrieb Ali später in seiner Autobiographie. | |
Norman Mailer ist sicher, daß Alis extrovertierte Zurschaustellung von | |
Siegesgewißheit vor allem dazu diente, die eigene Angst zu bekämpfen. Kaum | |
jemand gab dem inzwischen 32 und langsam gewordenen Ex-Champion eine Chance | |
gegen Foreman, der damals übermächtiger schien als jeder Tyson von heute. | |
Ein technisch exzellenter Boxer, dazu ein brutaler, urgewaltiger Schläger, | |
für den das „Bomaye“ eigentlich maßgeschneidert gewesen wäre. „Ich war… | |
jener Zeit so voller Haß, daß ich meine Gegner tatsächlich umbringen | |
wollte“, sagte Foreman später, und nicht wenige fürchteten, daß er genau | |
dies mit Ali tun könnte. Der war viel zu klug, um die Gefahr zu | |
unterschätzen, und so versuchte er auf allen Ebenen, dem Unheil | |
vorzubeugen. Vielleicht war es tatsächlich das „Ali, bomaye!“, welches ihm | |
den Mut zu jener Taktik gab, die ihm schließlich den Sieg brachte: sich | |
Foreman zu stellen, ihn sich müde schlagen zu lassen und daran zu hindern, | |
neben seiner Power auch noch seine boxerischen Fähigkeiten und sein Hirn | |
einzusetzen; die Kraft, die wüstesten Körpertreffer einzustecken und den | |
Kontrahenten dabei unablässig wegen vermeintlicher Schlappheit zu | |
verspotten; die Energie, in den Rundenpausen, wenn Foreman verwirrt und | |
erschöpft auf seinem Stuhl saß, stehend die Sprechchöre zu dirigieren: | |
„Ali, bomaye! Ali, bomaye!“ Als Foreman die Kräfte verließen, schlug Ali | |
zu, gewann in der 8. Runde durch K.o. und wurde zum zweitenmal Weltmeister. | |
Leon Gast aber saß auf 100.000 Metern Film und hatte kein Geld, diese zu | |
verarbeiten. Zwanzig Jahre lang lag der Schatz brach und gelangte höchstens | |
in rohen Auszügen an die Öffentlichkeit. Erst als sich Gast 1989 mit dem | |
Anwalt und Produzenten David Sonenberg zusammentat, kam Bewegung in die | |
Sache. Ein Angebot von Island-Besitzer Chris Blackwell, der das Material | |
für eine Million Dollar kaufen wollte, lehnte Gast auf Anraten Sonenbergs | |
ab, und schließlich gelang es, genug Geld zu besorgen, um den Film | |
fertigzustellen, der mit 23jähriger Verspätung jenen Oscar einheimste, den | |
er damals mit Sicherheit nicht bekommen hätte. | |
Paradoxerweise ist Ali heute zum Hätschelkind des weißen Establishments | |
geworden, darf die Olympische Flamme entzünden und wird von Präsident | |
Clinton hofiert, während die schwarzen Jugendlichen oft überhaupt nichts | |
von ihm wissen, wie Spike Lee in „When we were Kings“ zu berichten weiß. | |
Weil es so wenige „echte schwarze Helden“ gebe, so Lee, sei der Film | |
besonders wichtig. Und damit er auch von dieser Zielgruppe wahrgenommen | |
wird, wurde der Soundtrack mit Leuten wie den Fugees, Zelma Davis und A | |
Tribe Called Quest angereichert. Auf daß auch jüngere Leute nacherleben | |
dürfen, wie die Ideologie der Black-Power-Bewegung in einen afrikanischen | |
Boxzirkus mündete, wie Sport, Politik und Geschäft eine bis heute | |
einzigartige Symbiose eingingen, wie der „Größte“ seinem selbstverliehenen | |
Beinamen gerecht wurde, und wie ein armes, gequältes afrikanisches Land | |
eine Zeitlang zum Mittelpunkt der Welt geriet, ohne daß ein Putsch, ein | |
Massaker oder eine Hungersnot der Grund dafür waren. „Manche Länder zetteln | |
Kriege an, damit ihr Land auf der Landkarte erscheint“, hatte Muhammad Ali | |
die Motive des Mobutu Sese Seko scharfsichtig analysiert. „Und ein Krieg | |
kostet sehr viel mehr als 10 Millionen Dollar.“ | |
22 May 1997 | |
## AUTOREN | |
Matti Lieske | |
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