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| > Das Interesse an dem Schriftsteller Stefan Heym wächst. Vor vier Jahren | |
| > starb er. Sein Grab ist in Weißensee | |
| Auf dem größten jüdischen Friedhof Europas in Weißensee ist er begraben. | |
| Auch seine Eltern und seine erste Frau ruhen hier. „Er ging immer über | |
| Grenzen“, sagt seine zweite Frau Inge Heym. Der deutsch-jüdische und | |
| amerikanische Schriftsteller Stefan Heym starb am 16. Dezember 2001 am | |
| Toten Meer in Israel. | |
| Er ging über Landesgrenzen, aber auch über ideologische. Zeitlebens mischte | |
| er sich in politische Debatten ein. Verglichen mit seinen eher vorsichtigen | |
| DDR-Schriftstellerkollegen sei er „Dissident auf Lebenszeit“ gewesen, | |
| findet Peter Hutchinson, Professor an der Universität Cambridge. So lautet | |
| auch der Titel seiner Heym-Biografie. | |
| „Für Juden […] gibt es nur zwei Möglichkeiten: entweder reich zu werden | |
| oder rebellisch“, schrieb Heym in seinem Roman „Lenz oder die Freiheit“. … | |
| wurde rebellisch. 1913 geboren und aufgewachsen in Chemnitz in einem | |
| bürgerlich-jüdischen Haus. Mit 18 Jahren schrieb er ein Gedicht gegen die | |
| Aufrüstungspolitik der deutschen Regierung. Er musste deshalb seine | |
| Chemnitzer Schule verlassen; die Stadt war eine Nazi-Hochburg. | |
| Er ging nach Berlin. Zwischen 1931 und 1933 studierte er an der heutigen | |
| Humboldt-Universität – wie sein Vorbild Heinrich Heine. Nach dem | |
| Reichstagsbrand floh Heym 1933 nach Prag, später nach Chicago in die USA. | |
| Dort schrieb er seine Magisterarbeit über Heine. Ironie der Geschichte, | |
| dass Heym nach einer Heine-Tagung in Israel starb. Weil linke Künstler wie | |
| er während der McCarthy-Zeit verfolgt wurden, ging Heym zurück nach Europa, | |
| 1952 nach Ostberlin. | |
| Auch in der DDR wurde er bespitzelt. Stasi-Minister Erich Mielke | |
| organisierte eine Haushälterin als Spionin in Heyms Haus in Berlin-Grünau. | |
| 80 Bände umfassen seine Stasi-Akten. | |
| Das Interesse an Heyms Leben wächst. In diesem Jahr erschien „Die Ritchie | |
| Boys“, ein Sachbuch über hauptsächlich deutsch-jüdische Emigranten, die zu | |
| Experten für psychologische Kriegführung ausgebildet wurden. Heym war ein | |
| Ritchie Boy. Als Soldat kehrt er 1944 nach Europa zurück und war an der | |
| Invasion in der Normandie beteiligt. | |
| Bertelsmann brachte eine Neuausgabe von Heym-Werken heraus. In Frankreich, | |
| Deutschland, England und den USA promovieren Germanistikstudenten über | |
| Heym. Vor kurzem verglich Linkspartei-Chef Lothar Bisky seine Behandlung im | |
| Parlament (die taz berichtete) mit Heyms Erfahrung: „Die größte Demütigung, | |
| die ich je im Bundestag erlitt, war der Umgang mit Stefan Heym. Dieser | |
| große Schriftsteller hielt als Alterspräsident 1994 die Eröffnungsrede zum | |
| 13. Bundestag, als zahlreiche Abgeordnete aus Protest den Saal verließen.“ | |
| Heym plädierte für Toleranz und gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und | |
| Antisemitismus. Seine Rede fand bis auf wenige Ausnahmen keinen Beifall bei | |
| der CDU-CSU Fraktion. | |
| Zwei Stunden vor seinem Tod sprach Heym mit Stefan Jerzy Zweig, dem „Kind | |
| von Buchenwald“, das durch den DDR-Film „Nackt unter Wölfen“ von Frank | |
| Beyer 1963 weltberühmt wurde. Noch im diesem Jahr erscheint Zweigs | |
| Biografie „Tränen allein genügen nicht“. Darin berichtet er von diesem | |
| letzten Treffen mit Heym. Sie hätten „über die Welt und Gott“ gesprochen. | |
| Frühe unveröffentlichte Gedichte und Erzählungen Heyms befassen sich mit | |
| dem Judentum; ein bislang übersehenes Gebiet der Heym-Forschung. Das lässt | |
| sich anhand seines Nachlasses gut belegen. Er besteht aus 300 Kisten und | |
| wird von der Universität von Cambridge in England verwahrt. | |
| Zu seiner Trauerfeier vor vier Jahren wünschte sich Heym folgende Sätze: | |
| „Der Tod ist nach einem langen Leben voll Liebe, Arbeit und Kämpfen nichts | |
| gar so Schreckliches. Trauert darum nicht, sondern freut euch, dass die | |
| Sonne für euch scheint, und gedenkt meiner, wenn ihr’s gelegentlich tut, in | |
| Freundlichkeit.“ | |
| Benjamin Weinthal | |
| 17 Dec 2005 | |
| ## AUTOREN | |
| Benjamin Weinthal | |
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