# taz.de -- "Goya in Zeiten des Krieges" im Prado: Von der Vergeblichkeit der R… | |
> Vor 200 Jahren standen die Spanier gegen die napoleonischen | |
> Besatzungstruppen auf. Im Prado ist jetzt eine Ausstellung mit Gemälden | |
> Goyas über die Kämpfe zu sehen. | |
Bild: Eine Journalistin vor vor Goyas Gemälde "Zweiter Mai", das die Schlacht … | |
Es ist kein Zufall, dass der Prado gerade jetzt die glanzvolle Ausstellung | |
"Goya in Zeiten des Krieges" zeigt. Denn im Mai jährt sich zum 200. Mal der | |
Madrider Aufstand gegen die französischen Besatzungstruppen, die große | |
Teile des Landes verwüsteten und den Buen-Retiro-Palast hinter der | |
Pinakothek niederrissen. | |
Und so bilden zwei berühmte, großformatige Ölgemälde - sie wurden eigens | |
für die Schau restauriert - das Zentrum der 200 Werke umfassenden | |
Bildergalerie: Das erste Gemälde mit dem schlichten Titel "2. Mai 1808" | |
zeigt den verzweifelten Angriff der Bevölkerung auf die Mamelucken, die | |
arabischen Söldner im Dienste des napoleonischen Heeres. Direkt daneben das | |
Bild "3. Mai 1808": eine Allegorie auf die Vergeblichkeit der Revolte, | |
verdeutlicht an der Hinrichtung ihrer Anführer. | |
Goya malte die französischen Besatzer als Tötungsmaschinen. Ihre Körper | |
verwachsen mit den Füsiliergewehren, die sie auf den Anführer richten, und | |
ihre Gesichter verschwinden hinter den wuchtigen schwarzen Pelzkappen. Das | |
weiße Hemd des verurteilten Rebellen leuchtet im Laternenschein, dabei | |
reckt er todesverachtend die Arme empor, als wolle er den in der Dunkelheit | |
verharrenden Franzosen ihr eigenes "liberté, égalité, fraternité" | |
entgegenschleudern. Diese quasi religiöse Lichtgestalt taucht in mehreren | |
Bildern des aragonesischen Hofmalers auf. Besonders eindrucksvoll in einem | |
Ölgemälde nebst Vorstudie, die die Gefangennahme Christi zeigen. | |
Bereits der in Öl ausgeführte Entwurf verdeutlicht die erstaunliche | |
Modernität des Spaniers, der von 1746 bis 1828, also Generationen vor den | |
kanonisierten Gründungsvätern der Moderne lebte. Von Christus nimmt man in | |
Goyas Studie lediglich das weiße, strahlende Gewand und die Leidensmiene | |
wahr, während sich der Hintergrund in tiefes Schwarz hüllt. Daneben | |
offenbart das ausgeführte Gemälde auch die weit aufgerissenen, | |
schmerzverzerrten Münder seiner Gefolgschaft. Der Maler legte den Ausdruck | |
ganz in die Mimik und die expressive Gestik. Die gewohnten | |
Passions-Attribute Dornenkrone und Kreuz schienen ihn nur davon abzulenken. | |
Die Madrider Schau, die viele, bislang nie öffentlich gezeigte Bilder | |
zusammenträgt, umfasst 25 äußerst produktive Jahre des Künstlers. Manuela | |
Mena, Kuratorin der Ausstellung und Chefkonservatorin des Prado, lässt den | |
Rundgang mit der postrevolutionären Zeit des Jahres 1793 beginnen, als | |
Francisco de Goya das südliche Cádiz verlässt, wo er Kontakt zu einigen | |
Aufklärern des spanischen Adels unterhielt. Der Cádiz-Aufenthalt, so Mena | |
in ihrem aufschlussreichen Katalogbeitrag, muss für Goyas künstlerische | |
Selbstfindung einschneidend gewesen sein. | |
Dabei waren allerdings weniger die Aufklärungsideale ausschlaggebend als | |
vielmehr eine schwere Krankheit, deren Ursache bis heute ungeklärt ist. Sie | |
führte zum vollständigen Verlust seines Gehörs und zu einer tiefen | |
Lebenskrise. Es ist unbestritten, dass der Hofmaler Goya aus diesem | |
physischen Defekt seine ganze psychische und imaginative Kraft zog. Fortan | |
lebte er aus seiner reichen Innenwelt. Wie das berühmte, wenig später | |
entstandene Capricho 43 ("Der Schlaf der Vernunft") zeigt, war sie ständig | |
von Monstern bedroht. | |
Manuela Mena ist davon überzeugt, dass Goya nach seiner Genesung so frei | |
wie nie zuvor malte. Der Versuch, sich von seinen königlichen und adligen | |
Auftraggebern unabhängig zu machen, misslang zwar, doch seit 1793 gelangen | |
ihm Bilder, die seinen Rang als überragender Groteskkünstler an der | |
Schwelle vom 18. ins 19. Jahrhundert begründeten. | |
Zu einer Zeit, als sich erst allmählich die Autonomie der Künste | |
durchzusetzen begann, ist Goyas Spagat zwischen der Auftragskunst für seine | |
reiche und mächtige Klientel und dem Selbstverständnis als "pintor crítico" | |
(Manuela Mena) si- cherlich ein gewaltiger Fortschritt. | |
Die Prado-Kuratorin spricht folgerichtig von einer tiefen Ambivalenz, der | |
er sich zeitlebens nicht entziehen konnte. | |
Als "Erster Hofmaler", zu dem er 1799 trotz seiner Krankheit und | |
bürgerlichen Herkunft berufen wurde, musste Goya auch die Königsfamilie von | |
Karl IV. porträtieren. Er malt sogar dessen tyrannischen Nachfolger | |
Ferdinand VII., der Goyas Freunde inhaftieren lässt und ihn selbst ins | |
französische Exil zwingt. Auch den französischen Generälen bietet er sich | |
als Porträtist an und malt den spanischen Erzfeind Wellington. Wählerisch | |
war Goya keineswegs. Dennoch darf man nicht außer Acht lassen, dass zu | |
seinen großartigsten Auftragsarbeiten die Porträts der befreundeten und | |
aufgeklärten Herzöge von Alba und Osasuna gehören, nicht zu vergessen das | |
Bildnis des liberalen Ministers Jovellanos. Zur Nachtseite der Ambivalenz, | |
von der die Kuratorin spricht, gesellen sich jedoch die wimmelnden | |
Kreaturen aus den Gefängnissen, Irrenanstalten und Krankenhäusern, ebenso | |
wie die Gesetzlosen in freier Natur. In diesen Werken schöpft Goya aus | |
seinem überbordenden Innenleben. | |
Seine gemalte Welt ist weit entfernt vom Glanz des höfischen Lebens, denn | |
hier herrschen einzig Gewalt, Niedertracht und Dummheit. Goya hielt viele | |
dieser kleinen Werke im Verborgenen, da er sich niemals vor Staat und | |
Kirche sicher fühlen konnte. Nach den beiden berühmten Bildnissen der | |
nackten und bekleideten Maja, die der mächtige Staatsminister Godoy | |
beschlagnahmen ließ, wurde er sogar von der Inquisition angeklagt. Und | |
trotzdem gedeihen insgeheim die "pinturas negras". Es mag überraschen, dass | |
Goya ausgerechnet in dieser Zeit Stillleben malte. Doch diese Gemälde sind | |
im wörtlichen Sinne "natures mortes": Keine üppigen Blumen werden | |
abgebildet, sondern tote Goldbrassen, Hasen, Hühner, Puten und | |
Waldschnepfen. Stille Klage über eine Welt, in der Gewalt und Tod | |
unauslöschbar dazugehören. | |
Goya ist mit traditionellen Maßstäben der schönen Künste nicht beizukommen, | |
da er den Schrecken grundsätzlich mit malerischen Mitteln einfängt. | |
Deswegen der geheimnisvolle, hell erleuchtete Rückenakt eines üppig | |
gewandeten Inquisitionsrichters, der im Nichts eines schwarzen Lochs | |
verschwindet. In der Zeit der Aufklärung hat wohl niemand abgrundtiefere, | |
schwärzere Bilder gemalt. Gewaltszenen, wie die des entblößten Rebellen, | |
der mit abgehackten Armen über einem Baumstumpf aufgespießt wurde und | |
dessen Mund das Elend der Welt herausschreit, finden sich seinerzeit | |
nirgends drastischer als bei Goya. | |
Selbst heute überrascht es noch, wie tief verstrickt der Madrider Hofmaler | |
Gewalt und Sexualität empfand. Die Grafik-Serie "Desastres de la guerra", | |
die die Gräueltaten während des napoleonischen Krieges darstellen, zeigt | |
immer wieder Spanierinnen, die von den Besatzungssoldaten vergewaltigt | |
werden. Für Goya gehören diese Szenen zu jedem Schlachtfeld, aber genauso | |
gut verlegte er sie in die scheinbare Naturidylle. | |
In der Madrider Ausstellung findet sich ein Gemälde von 1800: Ein Bandit | |
beugt sich über eine am Boden liegende, schon halb entblößte Frau und | |
ersticht sie mit erhobenem Messer. Die Stellung des Mannes lässt an eine | |
Vergewaltigung denken. Das versickernde Blut auf dem felsigen Boden und der | |
aufgerissene Mund der Frau sprechen eine unmissverständlich grausame | |
Sprache. | |
14 May 2008 | |
## AUTOREN | |
Klaus Englert | |
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