| # taz.de -- Gezielte Schüsse auf den Maidan | |
| > KIEW Opposition und Regierung werfen sich gegenseitig vor, für tödliche | |
| > Schüsse von den Dächern in die Menge verantwortlich zu sein. Mitten im | |
| > Chaos verhandeln die Außenminister von Frankreich, Polen und Deutschland | |
| > stundenlang mit Opposition und Regierung | |
| VON BARBARA OERTEL | |
| BERLIN taz | Der Unabhängigkeitsplatz in der ukrainischen Hauptstadt ist | |
| trotz einer am Vortag vereinbarten Waffenruhe wieder Schauplatz tödlicher | |
| Straßenkämpfe zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften geworden. Dabei | |
| wurden nach Angaben von der Opposition am Donnerstag mindestens 70 Menschen | |
| getötet. Hunderte maskierte Demonstranten attackierten Polizeiabsperrungen | |
| und bewarfen Sicherheitskräfte mit Molotowcocktails. Schwer bewaffnete | |
| Sondereinsatzkräfte der Polizei rückten gegen die Demonstranten vor. | |
| Ärzte, die der Opposition nahestehen, berichteten von Scharfschützen, die | |
| aus umliegenden Häusern auf Demonstranten geschossen hätten. Der | |
| ukrainische Dienst von Radio Swoboda verbreitete ein Video des Journalisten | |
| Igor Zachartschenko. Darauf ist zu sehen, wie Sniper gezielt auf | |
| Protestierende auf dem Maidan schießen. Demgegenüber behauptete das | |
| ukrainische Präsidialamt, dass die Demonstranten Scharfschützen eingesetzt | |
| hätten. Dabei seien „Dutzende“ Polizisten getötet oder verletzt worden. | |
| Nach Angaben des Innenministeriums sollen Demonstranten 67 Polizisten als | |
| Geiseln genommen haben. Zuvor hatte Innenminister Vitali Sachartschenko | |
| bekannt gegeben, dass Sicherheitskräfte Waffen für den „Antiterroreinsatz“ | |
| erhalten hätten. Diese Waffen dürften mit scharfer Munition eingesetzt | |
| werden, hieß es. | |
| Die Einwohner von Kiew wurden von den Behörden aufgefordert, zu Hause zu | |
| bleiben. Auf den Straßen stünden „bewaffnete und aggressive Menschen“, hi… | |
| es zur Begründung. Viele Kiewer ignorierten diese Anordnung. Vor | |
| Geldautomaten bildeten sich riesige Schlangen, Ladenbesitzer verließen | |
| fluchtartig ihre Geschäfte. „In den nächsten Stunden kann alles passieren�… | |
| sagte der Kiewer Journalist Andrej Nesterko. | |
| Aus Protest „gegen das Blutbad und den Brudermord“ gab Kiews Bürgermeister | |
| Wolodimir Makejenko seinen Austritt aus der regierenden „Partei der | |
| Regionen“ von Staatspräsident Wiktor Janukowitsch bekannt. Das menschliche | |
| Leben müsse an oberster Stelle stehen und nichts dürfe sich „diesem Prinzip | |
| widersetzen“, sagte Makejenko. | |
| Am Donnerstag trafen Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) und | |
| seine Amtskollegen aus Frankreich und Polen, Laurent Fabius und Radoslaw | |
| Sikorski, in Kiew ein, um zwischen der Regierung und der Opposition zu | |
| vermitteln. | |
| „Ansätze von Fortschritt sind vorstellbar“, hieß es nach einem | |
| vierstündigen Gespräch mit Präsident Wiktor Janukowitsch in Steinmeiers | |
| Umfeld. Janukowitsch und die Opposition müssten einem Fahrplan, der zu | |
| einer friedlichen Lösung der Krise beitragen könnte, aber noch zustimmen, | |
| hieß es aus Delegationskreisen. Anders als geplant blieben die drei | |
| Außenminister für weitere Gespräche in Kiew und reisten nicht nach Brüssel. | |
| Dort sollte über ein Waffenembargo gegen die Ukraine beraten werden. Bisher | |
| war in der EU nur von „gezielten“ Sanktionen gegen die Verantwortlichen für | |
| die Gewalt die Rede gewesen. Solche Strafmaßnahmen bedeuten in der Regel | |
| Einreiseverbote gegen Politiker und Vertreter von Polizei oder Justiz sowie | |
| die Sperrung ihrer Konten in der EU. Die US-Regierung beschloss bereits | |
| Einreisesperren für 20 Regierungsmitglieder und andere Funktionäre. | |
| Der grüne EU-Abgeordnete Werner Schulz begrüßte die Verhängung gezielter | |
| Sanktionen. „Aber das reicht nicht. Auch wenn die russische Regierung | |
| erklärt, dass der Westen mit seiner einseitigen Unterstützung der | |
| ‚Radikalen‘ der eigentlich Schuldige sei, Russland jedoch an seiner | |
| Nichteinmischung festhalte – am perfiden geopolitischen Machtspiel Moskaus | |
| in der Ukraine gibt es keinerlei Zweifel“, sagte Schulz der taz. Es sei | |
| allerhöchste Zeit, dass die EU ihr ganzes Gegengewicht dazu aufbiete. | |
| Eine russische Einflussnahme in der Ukraine vermögen Regierungsvertreter in | |
| Moskau nicht zu erkennen. Stattdessen wies das russische Außenministerium | |
| Sanktionsdrohungen der EU gegen die ukrainische Regierung als unangemessen | |
| zurück. Dadurch würden die Spannungen weiter verschärft. Außenminister | |
| Sergei Lawrow warf dem Westen laut der staatlichen Nachrichtenagentur RIA | |
| „Erpressung“ vor. Auch an die Adresse des ukrainischen Präsidenten sparte | |
| der Kreml nicht mit deutlichen Worten. Janukowitsch müsse die Ordnung | |
| wiederherstellen, sagte Regierungschef Dmitri Medwedjew. Janukowitsch dürfe | |
| nicht zulassen, dass die Opposition über ihn wie über einen Fußabtreter | |
| hinweggehe. | |
| 21 Feb 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| BARBARA OERTEL | |
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