# taz.de -- Geprüfter Punk | |
> Seit 20 Jahren erschrecken sie Mütter und Jugendämter. Auf dem Index | |
> landete die Punk-Band „Die Kassierer“ aber nie. Ein Porträt zum | |
> Geburtstag | |
VON BORIS R. ROSENKRANZ | |
Es gibt viel zu erzählen über den Kanzlerkandidaten. Etwa, dass er in | |
seinem Wahlwerbespot barbäuchig vors Volk getreten ist. Oder dass er einer | |
Punk-Band vorsteht und sich bei Konzerten gerne auszieht, mit Bier | |
übergießt und dann in Sägemehl wälzt. All das macht Wolfgang Wendland, | |
Ex-Kanzlerkandidat der Anarchistischen Pogo-Partei Deutschlands (APPD), | |
ziemlich gerne. In den Bundestag hat ihn das zwar (noch) nicht | |
katapultiert. In die Hirne aufgeschreckter Bürger hingegen brennt er sich | |
damit seit 20 Jahren. | |
Wendland, auch Wölfi genannt, ist Sänger der Wattenscheider Punk-Band „Die | |
Kassierer“, zu der noch Volker Kampfgarten, Mitch Maestro und Nicolaj | |
Sonnenscheiße zählen. Seit 20 Jahren versetzen die vier Wattenscheider das | |
bürgerliche Milieu in Angst und Schrecken. Kaum ein Jahr, in dem nicht mal | |
wieder eine Mutter oder ein Jugendamt die Welt untergehen sieht, weil im | |
Kinderzimmer von „Blumenkohl am Pillermann“ oder „Sex mit dem | |
Sozialarbeiter“ die musikalische Rede ist. Ob das hirnloser Schmus oder die | |
ganz große Satire ist, darüber wird immer wieder gerne räsonniert. Aber wer | |
macht denn nun dümmer? Wölfi und Kumpanen, die in Bier baden und prosaisch | |
die Übergröße ihres Geschlechts beklagen. Oder die dreizehnjährigen | |
Zwillingsschwestern der gerade gegründeten amerikanischen Nazi-Girl Band | |
Prussian Blue, die Hitler-Smileys auf der Brust tragen und Rudolf Hess als | |
guten Mann rühmen. Na? Eben. | |
Doch versuchte Zensur wird bei den Kassierern bloß mit einem Lächeln | |
quittiert. Mehrmals schon sollten die Platten der Band auf den Index | |
verdammt werden, mehrmals blieb bloß ein netter Versuch übrig. Die | |
Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften attestierte der Band | |
quasi, satirische Kunst zu machen, woran auch ein Gutachten des Bochumer | |
Germanisten Thomas Hecken maßgeblich beteiligt war. Da ist es nur allzu | |
treffend, dass der eben von den Kassierern vorgelegte Tribute-Sampler zum | |
20-jährigen Bestehen der Band den Titel „Kunst!“ trägt. Und zwar mit | |
Ausrufezeichen! Darauf singen beispielsweise die Mode-Punker Donots Lied an | |
Lied mit Gunter Gabriel, der eine Version von „Du hast geguckt“ ins Mikro | |
raunt. Da singt Orgelspieler und Tennissockenträger Mambo Kurt den Song | |
„Großes Glied“ oder die „2 fickenden Hunde“ (Bela B. und Rod Rodriguez… | |
den Ärzten) die Hymne „Meister aller Frauenärzte“. | |
Dabei ist manche Cover-Version derartig gut gemacht, dass sie den Urhebern | |
fast gefährlich werden könnte. Da wären zum Beispiel zu nennen: „U.F.O.“ | |
von der formidablen Bochumer Ska-Band Alpha Boy School oder, ganz große | |
Überraschung: „Älterer Herr“ von Susanne Keye, die ansonsten mit Volker | |
Kampfgarten, übrigens Wölfis Bruder, das Jazz-Duo „Jazz for two“ bildet. … | |
müssen die Herren Kassierer sogar selbst eingestehen, der Song bekomme | |
durch Keyes (wirklich hauchzarte) Stimme eine „vollkommen andere Message“. | |
Dennoch: Echte Kassierer-Fans werden den Cover-Songs das Original | |
vorziehen, am besten live. | |
Am Montag spielen die Kassierer im Bahnhof Langendreer in Bochum, der | |
Stadt, in der es die Band traditionell schwer hat. In der Innenstadt dürfen | |
sie nicht mehr spielen, weil es 1996 beim Festival „Bochum Total“ zu | |
Ausschreitungen kam. Die Polizei war angerückt, weil ein Punk gegen den | |
Bandbus der Muskelrocker Secret Discovery getreten hatte. Und in der | |
Stadtverwaltung hat man sie sowieso auf dem Kieker. Vor einiger Zeit kam | |
Wölfi mit klimpernder Plastiktüte in eine Bürgerversammlung im | |
Wattenscheider Rathaus geschlurft und fumpte sich eine Flasche Bier auf. | |
Den Herrschaften über 60 gefror sofort das Lächeln. Sie wussten wohl nicht, | |
wer da gekommen war und sich später äußerst gewählt ausdrückte: der | |
Kanzlerkandidat. | |
29 Oct 2005 | |
## AUTOREN | |
BORIS R. ROSENKRANZ | |
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