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# taz.de -- Generation Mondlandung
> In der Nacht zum 21. Juli 1969 gab es wirklich einen Mann im Mond. Die
> Schritte des amerikanischen Astronauten Neil Armstrong beeindruckten in
> der westlichen Welt vor allem eine Generation von Jungs, die zehn Jahre
> später, mit Anfang Zwanzig, in den Gründungsveranstaltungen der grünen
> Partei saß und sich in scharfer Technikkritik zu üben begann. Eine
> Zeitreise  ■ von Kai Rehländer
Grün ist die Wohnzimmersitzgruppe, fast dunkelgrün – mit einer Spur Blau
darin. Eckig, nüchtern, wie es in den sechziger Jahren nun einmal so ist.
Auf dem Sofa mit den holzverkleideten Armlehnen sitzt sie nun, die Familie
– nennen wir sie einmal: Schulze. Großvater, Papa, Mutter und Sohn Peter,
dreizehn Jahre. Schulze senior, der Opa, hat auf dem Sessel Platz genommen.
Den Blick starr nach vorne gerichtet – auf den Fernseher (schwarzweiß,
Marke Saba). „Wir melden uns aus dem Kontrollzentrum in Houston“, plärrt es
aus dem Monolautsprecher des Holzfurnierkastens.
Auf dem rauf- und runterkurbelbaren Wohnzimmertisch steht vor dem Sohn des
Hauses ein Glas wasserverdünnter Roter-Johannisbeer-Sirup, Mutter gönnt
sich eine Tasse Kaffee, während Vater und Opa schon am Bier nuckeln. Es ist
Mittwoch, der 16. Juli 1969, so gegen drei Uhr nachmittags. Schulferien in
Hamburg. Im Fernsehen läuft der Prolog zum „größten Abenteuer der
Menschheitsgeschichte“. Der Start der Saturnrakete, die das Raumschiff
Columbia zur Mission Apollo 11 in den Weltraum trägt. Zum ersten Ausflug
von Menschen auf den Mond. Zeitgleich – natürlich mit der Zeitverschiebung
– geht es in Florida weit weniger beschaulich zu. Anderthalb Millionen
Mondsüchtige folgen mit ihren Augen dem Schweif der Trägerrakete in Cape
Kennedy. Seit Tagen belagern sie schon das Areal, von dem aus die
amerikanischen Weltraumreisen beginnen. Die Hotels, Motels und Bed &
Breakfasts sind seit dem 18. Mai komplett ausgebucht, als die Apollo 10 vom
erfolgreichen Weltraumtest mit der Mondfähre ins Wasser plumpste.
Auch auf den Campingplätzen ist kein Platz mehr frei – „No Vacancy“. Vie…
Schaulustige müssen an den Straßen rund um Cape Kennedy haltmachen.
Weltraumstarts – das waren damals noch Volksfeste. Spezielle Space-Menüs
wurden gereicht und mit „Liftoff Martinis“ (mit russischem Wodka)
heruntergespült.
Die Nation wollte unbedingt dabeisein, wenn sich die Rakete zur Reise auf
den Mond auf den Weg macht. Doch dabei ist man auch in dem Reihenhaus der
Familie Schulze in Duisburg, genauso wie auf den Terrassen von
österreichischen Campingplätzen, in japanischen Wohnzimmern, bolivianischen
Cafés oder Hotelanlagen in Kenia. Denn die Übertragung von der
Apollo-Mission ist das erste globale Fernsehereignis und natürlich, wie man
heute kühl sagen würde, der Quotenbringer des Jahres 1969 in Deutschland
(2. Platz: „Der Goldene Schuß“ mit dem Italoschweizer Vico Torriani).
Vierzigtausend Menschen mühen sich weltweit in Fernseh- und
Übertragungsstationen um eine reibungslose Übertragung der Bilder, die von
sechshundert Millionen Menschen gesehen wird. Erstmals sollen dabei drei
„Intelsat –3“-TV-Satelliten eingesetzt werden. Der über dem Atlantik mac…
aber schlapp, die Übertragung in die westliche Welt klappt trotzdem. Und
der Kommentator erläutert zu den Bildern der aufsteigenden Rakete, was in
den nächsten Stunden passieren wird, wenn die Apollo die Umlaufbahn
erreicht hat.
Ein Zweistundencheck der Bordsysteme und dann eine Beschleunigungsphase für
die Dauer von 347,3 Sekunden, in denen das Raumschiff die Geschwindigkeit
von 10,8 Kilometern pro Sekunde erreichen wird. Umgerechnet ein
Stundenmittel von unglaublichen 38.880 km/h. So schnell hat sich noch kein
Mensch zuvor fortbewegt. Die Helden der Acht- bis Zwölfjährigen des Jahres
1969 sind Perry Rhodan, Franz Beckenbauer, Uwe Seeler, Ben Cartwright
(“Bonanza“), Asterix und die Leute der Raumpatrouille Orion. An diesem Tag
gesellen sich noch unglamouröse Techniker und Militärs dazu: Neil
Armstrong, Edwin „Buzz“ Aldrin und Michael Collins, allesamt 39 Jahre alt
und mit stecknadelkurzen Haaren.
Die Haare von Peter Schulze sind kaum länger, auch wenn er es haßt, zum
Friseur zu gehen. „Lange Haare, kurzer Verstand“, sagen fast alle Väter
jener Zeit. Momentan wichtiger allerdings, als sich bei solcherlei
Äußerlichkeiten durchzusetzen, ist Peter Schulze die Frage, ob er Sonntag
nacht aufbleiben darf, die Nacht zum 21. Juli durchmachen, wenn der erste
Mensch den Mond betreten wird.
Er darf, und er schläft auf der Couch ein. Um kurz vor vier Uhr nachts
mitteleuropäischer Zeit weckt ihn seine Mutter auf. Bereits um 21.17 Uhr
landete die Landefähre „Eagle“ im Meer der Ruhe, etwa 6,4 Kilometer vom
vorausberechneten Ort entfernt. Aber jetzt erst und drei Stunden früher als
geplant öffnet sich die Ausstiegsluke. Genau 109 Stunden, 20 Minuten und 35
Sekunden nach dem Start von Florida aus setzt Neil Armstrong seinen linken
Fuß auf die Mondoberfläche und hinterläßt mit einem Fußabdruck einen
bleibenden Eindruck (auf dem Mond gibt es mangels Wind und Wasser keine
Erosion): „That's one small step for a man, one giant leap for mankind“,
tönt es in grießeliger Qualität durch den Fernsehlautsprecher, ehe der
Kommentator übersetzt. „Das ist ein kleiner Schritt für einen Menschen,
aber ein großer Sprung für die Menschheit.“ Vollbracht!
Der erste Mensch spaziert auf dem Mond. Der Beginn einer neuen
Zeitrechnung? Peter Schulze glaubt wie die meisten seiner Generation fest
daran, daß es in den nächsten Jahren möglich sein wird, ebenso kommod in
das Weltall zu reisen, wie seine Familie im vergangenen Sommer nach
Cattolica an der italienischen Adria gefahren ist. Der Dreiklang Nasa,
Houston, Apollo hatte sich in seinen und in die Köpfe einer ganzen
Generation gemeißelt: Nichts ist unmöglich, technisch wenigstens.
Fast 22 Stunden verweilen Armstrong und Aldrin auf dem Mond, davon
zweieinhalb Stunden außerhalb der Mondfähre. 22 Stunden, die zur
kollektiven Identitätsbildung einer ganzen Knabengeneration beitragen. Dann
kehrten sie zur auf der Mondlaufbahn befindlichen Kommandoeinheit Columbia
zurück, in der sich Michael Collins, eine Art Zaungast des Abenteuers, die
ganze Zeit aufgehalten hat. Sie haben am Ende 21 Kilo Mondgestein
gesammelt. Am Donnerstag, den 24. Juli 1969 setzt die Raumfähre um 17.50
MEZ im Pazifik auf.
Die „Generation Mondlandung“ ist geboren. Unbeeindruckt vom Kampf ihrer
älteren Geschwister, der Achtundsechziger (die übrigens 1969 noch nicht so
hießen), gegen das Establishment, herrscht der Glaube, dank der Technik
werde von nun an alles besser – also schneller, abenteuerlicher und
aufregender. Für einen Dreizehnjährigen des Jahres 1969 ist die Mondlandung
das, was für die heutigen Kids der neue „Star Wars“-Film ist.
Inspirationsquelle, Devotionsobjekt – und als Hobby verdammt kostspielig
bei dem wenigen Taschengeld. Als erstes muß die Mondfähre her – von der
Firma Airfix, dem Spezialisten für Miniatursoldaten und Modellkampfjets.
Das Statussymbol schlechthin in den Klassenzimmern wird nach der ersten
Mondlandung der Fisher Space Pen, ein Stift, mit dem man auch über Kopf
schreiben können und der im Auftrag der Nasa entwikkelt worden sein soll.
Perry Rhodan, von den Eltern nur mäßig geduldete Schundliteratur, versucht
durch umfangreiche Weltraumdokumentationen jugendliche Leser und deren
Taschengeld zu lokken. Auch in der Werbung spiegelt sich die
Aufbruchstimmung der „Generation Mondlandung“ wider. „Lohnen sich 385.000
km Anfahrt zum Arbeitsplatz?“ fragt der Fotoapparatehersteller Hasselblad,
offizieller Ausrüster der Nasa. „Wenn Ihnen eines Tages diese Marsmädchen
begegnen, denken Sie an Bayer“, preist der Chemiekonzern die Acrylmode des
nahen Herbstes an. Nutella auf einer Illustriertendoppelseite: „Wir suchen
den Nutellastar“. 100.000 Mark werden ausgelobt. Die Annonce zeigt einen
Knaben in Nasa-Uniform, der in ein dick mit Schokopaste bestrichenes Brot
beißt.
In fast jeder Provinzsparkasse wird nun Technikbegeisterung demonstriert,
werden Figuren aufgestellt, die Raumanzüge tragen. Die Hamburger bekommen
im Hauptbahnhof ein Modell der Mondfähre „Eagle“ im Maßstab eins zu eins …
sehen. Die Bild und mit ihr fast alle anderen Medien feiern nicht nur das
geglückte technische Abenteuer, sondern vor allem den Sieg der westlichen
Weltraumfahrt über das Ostblock-Kosmonautentum.
Das mußte die rebellierenden Teile des Westens nerven. Sie stießen sich an
den horrenden Kosten der Raumfahrt und fragten, ob das Geld nicht woanders
besser angelegt wäre. Die Forscher an über fünfzig Universitäten und
Laboratorien in aller Welt zeigten sich von dieser Kritik bald ebenso
genervt wie die Eltern der Protestierer. Kein Wunder, daß die politische
Bewegung die Ingenieure und Weltraumwissenschaftler nie erreichen konnte.
Zumal die Ausbeute des Mondabenteuers doch geringer als erhofft ausfiel.
Das schwarze Gestein bewies nur, daß es – anders, als es in Kinderliedern
heißt – auf dem Mond vermutlich niemals auch nur Vorstufen von Lebensformen
gegeben hat. Als Wunderdüngemittel eigneten sich die Klumpen ebensowenig,
wie einige Forscher im Vorfeld noch frohlockten.
Doch zu dieser Zeit imponieren der Generation der Dreizehnjährigen, die
knapp zehn Jahre später zur vollwertkostgestählten, männergruppenerfahrenen
Achtundsiebziger Generation mutierte, die nackten Zahlen. Hundert
Milliarden Mark kostete das gesamte Nasa-Weltraumprogramm. Mehr als
vierhunderttausend Ingenieure, Wissenschaftler, Techniker und Handwerker
aus über zwanzigtausend Betrieben waren daran beteiligt. Heute würde man so
etwas wohl antizyklisches Konjunkturprogramm mit beschränktem
gesellschaftlichem Nutzen nennen. Der kritischen Öffentlichkeit war klar,
die Mondlandung ist ein Propagandamanöver des Kalten Krieges. Die
Triebfeder des Ehrgeizes, als erste Nation auf dem Mond zu landen: purer
Chauvinismus. Vier Dutzend Frauen veranstalten kurz nach der Mondlandung
zusammen mit ihren Kindern vor dem Kontrollzentrum in Houston ein Sit-in.
Ihre Kritik ist so schlicht wie zeitgemäß: Wieso wird Geld für die
Erforschung des Weltalls verschwendet, wenn auf der Erde der Hunger immer
noch nicht besiegt ist?
Am Rande nur erwähnt: Fest verwurzelt – gleichermaßen bei
Wehrmachtsveteranen wie bei dumpfgekifften Hippies – war die
Konspirationstheorie, daß es die Mondlandung gar nie gegeben, sondern
Trickfilmer in der Wüste von Nevada die ganze Chose nur simuliert hätten.
Nach der Landung auf dem Mond geht es mit der bemannten Raumfahrt bergab.
Drei Jahre nach Armstrongs erstem Schritt auf dem Mond stoppt der
US-Kongreß das Geld für das Apollo-Programm. Zur selben Zeit werden auch
bei Peter Schulze und seiner „Generation Mondlandung“ die Haare länger,
wird die Musik lauter und das Verhältnis zu den Altvordern schlecher. So
begann im Grunde die Geschichte der Grünen: Als Wiedergutmachung für einen
ausgelebten Technikwahn, die sich später als Technikkritik äußerte.
Plötzlich galt Landleben als chic, hatte Acryl ausgedient und war Wolle das
begehrteste Modegütesiegel.
Das All ist heute mit kommerziellen und militärischen Satelliten und
anderem Weltraummüll vollgestopft. Die technischen Omnipotenzträume der
Menschheit im Weltraum sind spätestens seit dem „Challenger“-Unglück 1986
erschlafft. Damals verglühten sieben AmerikanerInnen zur besten Sendezeit
in ihrem Weltraumflugzeug; das Ansehen der Nasa war mit dieser Katastrophe
ruiniert.
Der eigentliche Sieger im Wettstreit der Supermächte ins All ist übrigens
die Sowjetunion, womit wir wieder im Jahr 1969 wären. Ihre Raumstation Mir,
seit dem 8. Februar 1987 im Weltall, ist das Nachfolgemodell der ersten
erfolgreichen Raumschiffkopplung im Weltall. Eine modulare Technik, die
tatsächlich Zukunft verspricht, obwohl die Mir heute kaum noch
funktionstüchtig im Orbit kreist. Die Sowjets schafften diesen Coup bereits
ein Vierteljahr vor der ersten amerikanischen Mondlandung.
Kai Rehländer, 33, Journalist aus Hamburg, schlief in der Nacht zum 21.
Juli 1969 einfach durch.
17 Jul 1999
## AUTOREN
Kai Rehländer
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