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# taz.de -- Gedenken an Sophie Jansen: Eine ausgelöschte Frau
> Sophie Jansen war Hamburgs erste Armenpflegerin, Aussteigerin und
> Bestsellerautorin – bis sie sich das Leben nahm, um den Nazis zu
> entgehen.
Bild: Glückliche Tage: Sophie Jansen mit ihrer Familie am Strand
Hamburg taz | Friedemann Hellwig bräuchte zehn Minuten zu Fuß, um zur
Blankeneser Hauptstraße zu kommen, wo Sophie Jansen gelebt hat. Aber sie
sind sich nie begegnet. Er war vier Jahre alt und lebte in Lübeck, als sie
sich am 17. Juli 1942 das Leben nahm, um der Deportation durch die Nazis zu
entgehen.
Während Sophie Jansen das Gas in der Küche aufdreht, ist ihre Tochter Eva
auf dem Weg zur Polizei, um Auskunft über eine
Transportunfähigkeitsbescheinigung für ihre 80-jährige Mutter einzuholen.
Zwei Tage vorher war sie bei der Gestapo gewesen und hatte gebeten, ihr
„eine Ortsveränderung zu ersparen“ und auf ihr Alter, aber auch auf ihre
fast lebenslange Hilfe für Bedürftige verwiesen. Sophie Jansen glaubte –
zurecht – nicht daran, dass die Nazis sie verschonen würden.
In ihrem Abschiedsbrief schreibt sie: „Meine geliebte Eva, sei nicht böse,
wenn ich Dich nun doch plötzlich verlassen habe.“ Und weiter: „Ich kann
aber das Hin- und Herzerren nicht mehr ertragen. Hoffentlich geben sich
nun meine Verfolger zufrieden, wenn ich nun das bescheidene Plätzchen, das
ich mir noch auf der Welt vorbehalten habe, endgültig räume.“ Ihre Tochter
wird den Brief nie erhalten. Die Polizei beschlagnahmt ihn. Schließlich
gelangt er ins Hamburger Staatsarchiv, wo er bis 1997 ungelesen liegen
wird.
Friedemann Hellwig ist Vorsitzender des Vereins zur Erforschung der
Geschichte der Juden in Blankenese und wird am 16. Juli in einer
Gedenkfeier mit den Teilnehmern, so wie es jedes Jahr geschieht, die Namen
der 70 deportierten Jüdinnen und Juden vor dem Haus verlesen, aus dem sie
verschleppt wurden. Er hat alles gelesen, was über und von Sophie Jansen zu
finden ist. Die Bücher, die sie selbst schrieb, die Biographie, die ihre
Urenkelin Sabine Boehlich verfasst hat. Boehlich hat 2003 den [1][Verein
zur Erforschung der Geschichte der Juden in Blankenese] mit Gleichgesinnten
gegründet. Sie war selbst Blankeneserin.
## Zorn auf den Pastor
Hellwig war mit ihr befreundet und erinnert sich an ihren Zorn auf den
Blankeneser Pastor, der Sophie Jansen, die zum Christentum konvertiert war,
nicht begraben wollte. Das tat stattdessen der für nicht-arische Christen
zuständige, selbst konvertierte Pastor Walter Auerbach. Dessen Hilfe, so
beschreibt es der Historiker Bernd Liesching, bestand oft nur noch darin,
„dass er jenen, [2][die sich in ihrer Verzweiflung das Leben genommen
hatten], ein würdiges Begräbnis gab“.
Hellwig ist Professor für die Restaurierung und Konservierung von Kunst-
und Kulturgut aus Holz, so heißt es offiziell, und darüber ist er auch zum
Konservator des NS-Terrors geworden. Auf einer Tagung hat er einen
polnischen Kollegen kennengelernt, der ihn später fragte, ob er helfen
könne bei der Konservierung von Gegenständen, die im ehemaligen KZ
Auschwitz aufbewahrt werden. „Es lässt mich nicht mehr los“, sagt Hellwig
und dass er stolz sei auf die Studierenden, die ihn begleiten, auch und
gerade auf den, den der Aufenthalt so mitnahm, dass er ins Krankenhaus
musste.
Nach Sophie Jansen ist in Hamburg eine Straße benannt, merkwürdigerweise
weit entfernt von allen Orten, an denen sie gelebt hat. Ansonsten sind ihre
Spuren so weitgehend gelöscht, wie es die Nazis wünschten. Dabei war sie
Autorin, Hamburgs erste weibliche Armenpflegerin und eine frühe
Aussteigerin. [3][Über diesen Versuch schrieb sie ein Buch namens
„Sophiensruh.] Wie ich mir das Landleben dachte und wie ich es fand“, das
mit lakonischem Humor zum Bestseller wurde.
Jansen stammte aus einer jüdischen Spediteursfamilie, wuchs in Hamburg,
Breslau und Dresden auf und heiratete den Anwalt Caesar Max Josephson,
dessen Familie zum Reformjudentum gehörte. Sie ließen sich in Hamburg
nieder, konvertierten zum Christentum, 1907 ließen sie ihren Nachnamen in
Jansen ändern. Das Paar bekam sieben Kinder, von denen sechs überlebten.
## Ironischer Blick auf den Ehemann
Sophie Jansen muss eine Frau mit sehr viel Energie gewesen sein, die
jenseits ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter noch freie Kapazitäten hatte.
1892 überzeugt sie ihren Mann, Hamburg zu verlassen um im
schleswig-holsteinischen Grande einen Gutshof zu übernehmen – obwohl beide
Autodidakten sind.
Jansen hat für die damalige Zeit einen ungewöhnlich
selbstbewusst-ironischen Blick auf ihren Ehemann, den sie in ihrem Buch
„die Hälfte“ nennt und vorstellt als gleichfalls „moderne Seele, die sich
häufig nach Veränderung sehnt und an dem Wahne krankt, dort, wo sie nicht
sei, da sei das Glück“. Ihre Tochter Eva wird sich später daran erinnern,
dass ihr Bruder beim Spielen fragte, ob er als Papa auch etwas bestimmen
dürfe.
Die Idee zum Landleben geht folglich von Sophie Jansen aus, die im 1905
erschienen „Sophiesruh“ schreibt: „Wie überdrüssig war ich des
gesellschaftlichen Treibens, der schönen Villa am Wasser mit all ihren
Bequemlichkeiten. Überdrüssig auch der schönen Salons mit den Parkettböden
und den eleganten Möbeln und Teppichen, die von den Dienstboten in einer
ausgeklügelten Runde von 14 Jahren geschrubbt, gebohnert und geklopft
werden mußten. Wie widerwärtig war mir dieser ganze Komfort“.
Doch das Landleben scheitert letztlich an einer fatalen Reihe von
Krankheiten, die die Milchkühe befallen. Daneben nehmen die Schilderungen
über die Auseinandersetzungen mit den Landarbeitern und Hausmädchen weiten
Raum ein. Das trägt Jansen Kritik von sozialdemokratischer Seite ein, die
sie nicht hinnimmt. Sie antwortet, der Kritiker habe anscheinend „nie und
nirgend einen jener arbeitsscheuen und verlotterten Knechte angetroffen,
mit denen wir so reich gesegnet waren“.
Dennoch bleibt Sophie Jansen ihr Leben lang mit der Hilfe für Arme
beschäftigt – über die sie durchaus selbstkritisch nachdenkt. Sie nimmt
während der Choleraepidemie ein Waisenkind aus der Arbeiterschaft auf, das
nie wirklich Fuß fasst in der Familie.
In ihrem Roman „Friede Wend“ schreibt Jansen über eine Mutter, die das
gleiche tut: „Wie bei allen großen Katastrophen streckten sich tausend
Hände den Unglücklichen helfend entgegen, weit, weit über Bedarf, während
nach wie vor unzählige arme vernachlässigte, elende Kindlein, die keine
große, sondern nur eine schmerzliche alltägliche Geschichte erlebt hatten,
hilflos im Schatten weiterschmachteten.“
Als autobiografisch wird auch ihr letztes Werk gelesen, „Bebi und Bubi“,
ein reich illustriertes Kinderbuch. Es erscheint 1909 – und schildert das
Aufwachsen in einer Großfamilie; im Fokus stehen Erfahrungen ihrer zwei
jüngsten Kinder.
## Drohungen des Untermieters
Danach stellt Jansen ihr literarisches Schaffen ein, laut Hannes Heers
biografischer Notiz weil sie entdeckt hat, [4][anderswo nötiger gebraucht
zu werden]: Sie engagiert sich im Allgemeinen Deutschen Frauenverein, und
wird 1908 als erste Frau amtlich zur Armenpflegerin bestallt: Über diese
Arbeit, die sie bis 1912 ausübt, ist nichts weiter überliefert.
Als Vorsitzende des Verbands Norddeutscher Frauenvereine betreibt sie ab
1915 eine Beratungsstelle für Säuglingspflege. Ein Jahr später stirbt ihr
Mann. Nach der Machtergreifung der Nazis muss sie ihr Haus an den
Untermieter verkaufen, der drohend schreibt: wenn es nicht an ihn ginge,
„sonst an SS-Mann oder Ähnliches“.
Von ihren sechs Kindern emigrieren drei, zwei werden nach Theresienstadt
deportiert, der Sohn Hans stirbt wenige Tage nach der Befreiung. Die
Tochter Eva bleibt verschont und lebt bis zu ihrem Tod 1990 in Haus Nummer
56, neben dem Haus, in dem ihre Mutter starb.
14 Jul 2023
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!764046&s=Sophie+Jansen&SuchRahmen=Print/
[2] /Archiv-Suche/!758825&s=Sophie+Jansen&SuchRahmen=Print/
[3] /Archiv-Suche/!1298835&s=Sophie+Jansen&SuchRahmen=Print/
[4] https://www.hamburg.de/clp/frauenbiografien-schlagwortregister/clp1/hamburg…
## AUTOREN
Friederike Gräff
## TAGS
Judenverfolgung
Hamburg
Frauen
Gedenken
NS-Opfer
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