# taz.de -- Fußball: Doping? Wir? - Niemals! | |
> Am Freitag wird die Bundesligasaison eröffnet. Nach dem Skandal im | |
> Radsport stellt sich die Frage, welche Rolle Doping im Fußball spielt. | |
Bild: Springen ohne Doping? Meister Da Silva und Meisterjäger Ribery | |
Sönke Wortmanns WM-Dokumentation "Deutschland - ein Sommermärchen" wäre | |
wohl etwas anders ausgefallen, wenn die gegenwärtige Dopingdiskussion ein | |
Jahr früher begonnen hätte. In dem Film gibt es nämlich eine Szene, in der | |
zu sehen ist, wie die Kontrollen bei der Weltmeisterschaft 2006 | |
durchgeführt wurden. Heute wären diese Bilder vermutlich der strengen | |
Zensur des Deutschen Fußball-Bunds und des Weltfußballverbands zum Opfer | |
gefallen, der der Film unterlag. | |
Der deutsche Nationalspieler Oliver Neuville muss nach dem 3:0 gegen | |
Ecuador eine Urinprobe abgeben. Ein Herr in Anzug und Krawatte begleitet | |
ihn auf die Toilette, doch Neuville sagt leicht beschämt: "Wenn da jemand | |
ist, kann ich nicht." Daraufhin darf er alleine in den Raum, während der | |
Kontrolleur mit sichtbar schlechtem Gewissen vor einem knapp geöffneten | |
Türspalt umherschleicht. Mehr als Neuvilles Rücken sieht er nicht. Als der | |
Fußballer mit gefülltem Becher herauskommt, lächeln alle erleichtert. | |
Massen von Captagon | |
Auf solche Test kann man getrost verzichten. Denn ein sandkorngroßes Stück | |
bestimmter Chemikalien reicht, um eine Probe unbrauchbar zu machen. Auch | |
andere Manipulationsmöglichkeiten sind bekannt. Wäre Neuville gedopt | |
gewesen, hätte er diese Kontrolle nicht fürchten müssen. | |
Die Szene widerlegt die unermüdlich wiederholte Behauptung von der | |
wirkungsvollen Dopingbekämpfung im Fußball. "In unserem Kontrollsystem | |
kommt Doping früher oder später ans Licht, das würde ich einfach so | |
behaupten", sagte Michael Pfeifer, der ehemalige Mannschaftsarzt von Bayer | |
Leverkusen und früheres Mitglied der Antidopingkommission des DFB, kurz vor | |
der WM. Nach den Enthüllungen im Radsport ist die Branche vorsichtiger | |
geworden. "Der Fußball ist keine dopingfreie Zone", verkündete der | |
renommierte Fußballarzt Wilfried Kindermann Ende Juli auf einem Symposium | |
des DFB, um schnell hinzuzufügen: "Aber flächendeckendes und | |
systemimmanentes Doping wie im Radsport schließe ich mit Sicherheit aus." | |
Dabei sind Fälle systematischen Dopings im Fußball bekannt. Bei Juventus | |
Turin wurde die Versorgung der Spieler mit verbotenen Medikamenten in den | |
Neunzigerjahren von höherer Stelle angeordnet, und Experten beobachteten | |
skeptisch, wie sich Alessandro Del Pieros schmaler Körper innerhalb weniger | |
Jahre zu einem Muskelturm verwandelte. Auch in Deutschland gab es eine | |
Zeit, als Clubärzte mit Stimulanzien wie Captagon experimentierten. Peter | |
Geyer, der zwischen 1974 und 1984 für TeBe Berlin, Borussia Dortmund und | |
Eintracht Braunschweig in der Bundesliga spielte, sagte 1994: "Captagon lag | |
herum wie Salztabletten." Er selbst habe "vor jedem Spiel zwei genommen", | |
manche seiner Kollegen sieben oder acht. | |
Kürzlich rief der Trainer Peter Neururer den Captagonkonsum in den | |
Achtzigerjahren in Erinnerung. Zwar hat Toni Schumacher dieselben Vorgänge | |
bereits vor zwanzig Jahren in seinem Buch "Anpfiff" beschrieben, doch vor | |
dem Hintergrund der Debatte um den Radsport setzten die alten Kamellen eine | |
Diskussion über Fußball und Doping in Gang. Das Thema wird im Alltag | |
offenbar derart konsequent verdrängt, dass selbst die Erwähnung bekannter | |
Tatsachen eine große Aufregung auslösen kann. | |
Immerhin hatte die Aufregung diesmal Konsequenzen. Der DFB will die | |
Kontrollen vermehren und deren Qualität verbessern. Vor allem in der | |
Rehabilitation und der Saisonvorbereitung, wo bislang fast gar nicht | |
geprüft wurde, will man überraschende und gut geplante Kontrollen | |
durchführen. Die 87 Trainingskontrollen, die es voriges Jahr im deutschen | |
Fußball gab, seien zu wenig. Außerdem wird es im deutschen Fußball künftig | |
wie im Radsport eine Meldepflicht über den Aufenthaltsort der Spieler | |
geben, und bei der Europameisterschaft im nächsten Jahr soll erstmals neben | |
Urin auch Blut untersucht werden. | |
Diese Neuerungen beheben einige der größten Mängel des Kontrollsystems, | |
aber bestimmte Mittel bleiben weiterhin nicht nachweisbar. Zumindest | |
theoretisch wird man auch künftig mit einem relativ geringen Risiko dopen | |
können; erst recht, solange Blutuntersuchungen die Ausnahme bleiben. | |
Da niemand behaupten kann, dass die Kontrollen im Fußball besonders gut | |
seien, gibt es ein weiteres Argument: Im Fußball bringe Doping nichts. So | |
sagte Otto Rehhagel einst: "Wer mit links nicht schießen kann, trifft den | |
Ball auch nicht, wenn er 100 Tabletten schluckt." Und jüngst meinte der | |
frühere Schiedsrichter Bernd Heynemann im Fachblatt Kicker: "Den genauen | |
Pass, die überraschende Idee bekommt man nicht durch Chemie." Heynemann | |
sitzt für die CDU im Bundestag und ist Mitglied des Sportausschusses. | |
Dabei ist Fußball eine Sportart, in der mit Sprungkraft, Sprintstärke und | |
Ausdauer gleich drei durch Doping beeinflussbare Größen von elementarer | |
Bedeutung sind. Wer behauptet, dass Doping im Fußball grundsätzlich sinnlos | |
sei, macht sich verdächtig, kein Interesse an einer ehrlichen | |
Auseinandersetzung mit dem Thema zu haben. Zutreffend ist lediglich ein | |
Aspekt dieser Argumentation: Die Medikamente sind im Fußball schwerer in | |
Siege zu überführen als etwa im Radsport oder in der Leichtathletik. Wenn | |
die Spieler schneller und länger laufen, heißt das längst nicht, dass ihr | |
Team deshalb auch gewinnt. Die Motivation, eine Karriere zu riskieren, | |
dürfte demnach tatsächlich geringer sein, weil der Erfolg von vielen | |
anderen Faktoren abhängig ist, nicht zuletzt auch von anderen Menschen. | |
Aber Fußball ist eben auch die kommerziellste aller Sportarten der Welt, | |
und jeder aufgedeckte Betrugsfall schadet den geschäftlichen Interessen der | |
Vereine und Verbände. | |
Del Piero, Davids & Co | |
Ohnehin widerlegen die vielen bekannten Fälle die Rede von der | |
Nutzlosigkeit. So wurde der Arzt Riccardo Agricola im Jahr 2004 wegen | |
Sportbetrugs zu einer Haftstrafe von 22 Monaten verurteil, weil er Mitte | |
der Neunzigerjahre bei Juventus Turin systematisch Doping betrieb. Etwa zur | |
selben Zeit sollen auch bei Olympique Marseille regelmäßig Spritzen | |
verabreicht worden sein. Medikamente, die "schärfer, energischer und | |
hungriger nach dem Ball" machten, wie der frühere Spieler Tony Cascarino | |
2003 in der Londoner Times schrieb, was mehrere seiner früheren Mitspieler | |
bestätigten. Edgar Davids, Jaap Stam, Frank de Boer und Fernando Couto, | |
sämtlich Weltklassespieler bei europäischen Topclubs, wurden im vergangenen | |
Jahrzehnt des Dopings mit Nandrolon überführt. Und dass sich eine | |
erhebliche Anzahl von Fußballern mit legalen Schmerzmitteln wie Voltaren | |
"fit spritzen" ist bekannt und wird akzeptiert. | |
Nur Epo, das Wundermittel der Radsportler, wurde noch nie bei einem | |
Fußballer nachgewiesen. Dabei hat Arsené Wenger, der Trainer des FC Arsenal | |
London, noch vor zwei Jahren die Vermutung geäußert, dass in Europa | |
systematisch mit dem Blutbeschleuniger gedopt, werde, nachdem einige | |
Neuverpflichtungen mit auffälligen Blutwerten angekommen waren. Bislang | |
werden nur wenige der genommenen Proben auf Epo untersucht, in Deutschland | |
waren es im vorigen Jahr 103 von insgesamt 973. Der Aufforderung, seine | |
Vorwürfe zu präzisieren, kam Wenger aber nie nach. Was im Radsport als | |
"Mauer des Schweigens" bezeichnet wird, ist im Fußball ein Gebirge. | |
Auch der spanische Dopingarzt Eufemiano Fuentes hat angedeutet, Fußballer | |
unter seinen Kunden gehabt zu haben. Doch bis heute halten sich Gerüchte, | |
dass einflussreiche Kräfte die Madrider Staatsanwaltschaft davon abhalten, | |
an dieser Stelle intensiver zu recherchieren. Jesús Manzano, ein früherer | |
Kunde von Fuentes und einer der ersten geständigen Radsportler, hat | |
ebenfalls erzählt, dass er prominente Fußballer bei dem Arzt getroffen | |
habe. Aber im Stern sagte er auch, warum er nie deren Namen verraten werde: | |
"Fußball taste ich nicht an. Die Fußballwelt ist mächtig. Sie ist viel | |
mächtiger als der Radsport, sehr viel mächtiger." | |
10 Aug 2007 | |
## AUTOREN | |
Daniel Theweleit | |
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Kommentar: Sehnsucht nach Jubel-Sport | |
Auch Fußballer dopen - sie werden nur nicht so gründlich kontrolliert wie | |
Radfahrer. Nach der Tour de France gilt es, bei allen Sportlern genauer | |
hinzusehen. Und konsequenter zu reagieren. |