| # taz.de -- Fußball auf Australisch | |
| > Down under ist es ein Massensport. In Deutschland spielen insgesamt drei | |
| > Vereine „Footy“ – eine eigentümliche Mischung aus Fußball und Rugby. | |
| > Einer davon sitzt in Berlin. Die Berlin Crocodiles sind inoffizielle | |
| > Deutsche Meister im Australian Football | |
| von HENNING KRAUDZUN | |
| Wer einen exotischen Sport betreibt, muss verzichten können. Für die Berlin | |
| Crocodiles ist das Grundregel Nummer eins. Denn ein Trainingsgelände wäre | |
| für das einzige Australian-Football- Team an der Spree ein Traum, ebenso | |
| Umkleidekabinen, Massage, Zuschauer. So müssen die Spieler vor jedem | |
| Training im Treptower Park wie eine ABM- Brigade mit Spaten und Eimer die | |
| Wiese abschreiten und die Löcher mit Erde auffüllen. Als Umkleidekabine | |
| dient eine wacklige Parkbank am Wegesrand, geduscht wird zu Hause. | |
| Zuschauer finden sich nur dann ein, wenn ein paar Spaziergänger stehen | |
| bleiben und den merkwürdigen Übungen der Männerriege kurze Beachtung | |
| schenken. | |
| Footy heißt ihr Sport in Australien und ist dort gleichermaßen populär wie | |
| Rugby oder Soccer. Hunderttausende jagen in Down-under dem ledernen Ei | |
| hinterher, die Besten schaffen es in die Profiliga. Für den Volkssport | |
| wurden extra Stadien errichtet, mit amerikanischen Dimensionen. Die | |
| Weltmeisterschaften im Australian Football finden natürlich auch dort | |
| statt, nur das Aussie-Team darf niemals selber antreten. Es würde andere | |
| Nationalteams in Grund und Boden rennen – wie bei einem Match des | |
| amerikanischen Basketball-Dreamteams gegen die Osterinseln. Der fünfte | |
| Kontinent ist uns zumindest bei dieser eigentümlichen Mischung aus Rugby | |
| und Fußball um Lichtjahre voraus. | |
| In Deutschland fristet Footy noch nicht einmal ein Mauerblümchendasein. Nur | |
| drei Mannschaften existieren, in Frankfurt, München und eben in Berlin. | |
| Ohne den vom Main an die Spree gezogenen Johannes Junius gäbe es auch in | |
| der Hauptstadt kein Team. Weil er das Studium hier fortsetzen musste, | |
| seinen Sport aber nicht aufgeben wollte, gründete er die Berlin Crocodiles. | |
| Mit viel Aufwand spürte Junius die in der Stadt versprengten Footy-Spieler | |
| auf – zumeist Australier, die in Berlin arbeiten – und integrierte sie in | |
| seinen Verein. Weitaus schwieriger ist immer noch die Suche nach deutschen | |
| Mitstreitern. „Viele kommen, versuchen mitzuspielen und bleiben dann weg“, | |
| sagt Johannes. | |
| Freilich kann man nur mit einem festen Spielerpool anderen Mannschaften in | |
| Europa Paroli bieten. In Dänemark existiert mittlerweile ein fester | |
| Spielbetrieb, außerdem Ligen in England und Irland. „Auf der Grünen Insel | |
| gibt es ja einen ähnlichen Sport, den Gallic Football“, weiß Johannes. Mit | |
| dieser Tradition im Hintergrund habe der Australian Football dort die beste | |
| Ausgangsposition. Auch von der Öffentlichkeit wird der Sport in den drei | |
| Ländern ernst genommen, die Medien widmen den wichtigsten Entscheidungen | |
| zumindest ein paar Sendeminuten. Hierzulande ist man froh, wenn ein | |
| neugieriger Fotograf ein paar Schnappschüsse macht. | |
| Doch meistens gibt es ohnehin nichts zu senden, denn reguläre Spiele im | |
| Australian Football sind in Deutschland selten. „Man ist richtig heiß auf | |
| ein Match, und dann sagt der Gegner ab, weil er keine Mannschaft | |
| zusammenbekommt“, erzählt Christopher Jones, einer der Aussies bei den | |
| Crocodiles. Jones trainiert seit seiner Kindheit das Fangen und Kicken des | |
| eiförmigen Leders, kam zudem in eine „Footy Clinic“, der Talentschmiede | |
| dieses Sports. Mittlerweile freut sich der Webdesigner, wenn er mit den | |
| Berlinern überhaupt ein paar Spiele machen kann. Mehr als sechs pro Saison | |
| waren es noch nie. | |
| Oftmals rückt das gegnerische Team sogar nur mit drei oder vier Footballern | |
| an, dann müssen die Crocodiles ein paar Spieler abgeben, um die Begegnung | |
| nicht abblasen zu müssen. 18 gegen 18 sollten nach offiziellem Reglement | |
| auf dem ovalen Spielfeld gegeneinander antreten, doch so viel kommen in | |
| Mitteleuropa selten zusammen. Dabei hat der Sport all die Dinge, die im | |
| Reich des Rudi Völler gut ankommen: Körpereinsatz, Schnelligkeit und | |
| Teamarbeit. Die Spielerpositionen gleichen denen im Fußball: Verteidigung, | |
| Mittelfeld, Angriff. Tore werden auch genügend erzielt, am Ende sind die | |
| Ergebnisse mitunter dreistellig. | |
| Obwohl es sie kaum stolz macht, sind die Crocodiles inoffizieller Deutscher | |
| Meister. Den Titel vergibt die Australian Football League Germany (AFLG), | |
| ein Zweckverband, der gegründet wurde, um in den Landessportbund | |
| aufgenommen zu werden. „Nur so bekommt man eine Hallenzeit in Berlin und | |
| die wäre für Newcomer wichtig, damit sie im Winter nicht wieder alles | |
| verlernen“, sagt Junius. Weil Training im taktisch geprägten Australian | |
| Football so wichtig ist, reichte es bislang auch nicht für Erfolge auf | |
| internationaler Bühne: Bei einem Turnier im dänischen Aarhus wurden die | |
| Crocodiles Fünfter – von sieben Teams. | |
| „Deutsche müssen schon etwas verrückter sein, um sich für Footy zu | |
| begeistern“, sagt Stefan Wuth, der seit einem halben Jahr zu den Exoten | |
| gehört. Jahrzehntelang spielte er Fußball im Verein, bis irgendwann der | |
| Reiz fehlte, dem runden Leder hinterherzujagen. Im Australian Football fand | |
| er die sportliche Erfüllung. „Mit meinen Fähigkeiten am Ball sah ich | |
| dennoch beim Kicken des Footballs wie ein lausiger Anfänger aus“, sagt | |
| Wuth. Mittlerweile hat er die technischen Kniffe einigermaßen raus, | |
| kompliziert sind noch die Spielzüge. So darf jeder den Ball nur zwölf Meter | |
| tragen, dann muss er ihn abgeben. Wenn man nicht schon zuvor getackelt | |
| wurde. Außerdem gibt es beim Footy keine Foulunterbrechungen. Das heißt: | |
| Mitdenken und schnell reagieren. | |
| Australian Football ist zwar nichts für Weicheier, ernsthafte Verletzungen | |
| kommen indes selten vor. Ein Berliner Boulevardblatt wollte dennoch wissen, | |
| wie viele Tote die Crocodiles bereits zählen mussten. Obwohl dem Reporter | |
| alles erklärt wurde, titelte die Zeitung: „Die härtesten Jungs von Berlin.�… | |
| Dabei ist Footy ungefährlicher als Rugby. „Wenn wir die absolut toughen | |
| Jungs wären, dann kämen vielleicht auch ein paar Sponsoren“, sagt Junius. | |
| Bislang gab nur eine australische Brauerei Geld, das reichte für die | |
| Trikots. Ansonsten herrscht Ebbe in der Vereinskasse. Bei großen | |
| Unternehmen anzufragen, trauen sich die Crocodiles ohnehin nicht: „Wir | |
| machen zu wenig Spiele und die sind kaum öffentlichkeitswirksam“, sagt | |
| Junius. | |
| Fast sehnsüchtig schauen die Berliner deshalb nach Australien, wo | |
| Sponsoring fast selbstverständlich ist. Vor 150 Jahren wurde Australian | |
| Football dort vom Cricketspieler Thomas Wills erfunden und entwickelte sich | |
| hernach zur massenkompatiblen Leibesübung. Von Melbourne aus eroberte es | |
| zuerst den Bundesstaat Victoria und wird heute bis nach Brisbane und | |
| Victoria betrieben. Weite Entfernungen legen die Profis dort mit dem | |
| Flugzeug zurück, in Deutschland müssen die Spieler für die Fahrtkosten | |
| selber aufkommen. Was nicht einfach ist, denn die meisten von ihnen sind | |
| noch mitten im Studium. | |
| „Manchmal verlässt einen schon der Mut, im Sportbund ständig und erfolglos | |
| um Unterstützung zu betteln“, sagt Junius. Aufgeben wollen die Crocodiles | |
| trotzdem nicht. Im nächsten Jahr soll es hierzulande bereits sechs Teams | |
| geben, ein Hoffnungsschimmer für die eigene Liga. „Dann wird noch einmal | |
| die Werbetrommel gerührt, vielleicht machen wir unsere Heimspiele auf dem | |
| Rasen vor dem Reichstag“, sagt Junius. Immerhin ist dann die | |
| Wahrscheinlichkeit größer, dass ein paar Zuschauer kommen. | |
| [1][www.berlin-crocodiles.de] | |
| 2 Jan 2003 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.berlin-crocodiles.de | |
| ## AUTOREN | |
| HENNING KRAUDZUN | |
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