# taz.de -- Fusion im Topf, Konfusion im Kopf | |
> KÜCHENINFERNO Wenn Mango-Wasabi-Gelee auf Eisbein trifft: Wie viel Fusion | |
> ertragen wir beim Essen? | |
VON TILL EHRLICH | |
Bekanntlich sind die meisten globalen Fusionen in der Wirtschaft zum | |
Scheitern verurteilt. Am Anfang feiert sich das Management zwischen | |
Euphorie und Größenwahn noch selbst, während intern die Angst vor der | |
Verschlankung bereits umgeht. Später, bei der weniger glamourösen Trennung, | |
ist dann kleinlaut von unvereinbaren Unternehmenskulturen die Rede. Auch | |
beim Kochen dreht sich viel um das Fusionieren kulinarischer Ideen und | |
Identitäten. Ungebrochen ist die Lust, alles Mögliche und Unmögliche | |
miteinander zu kombinieren. | |
## Stress auf dem Teller | |
Doch wer fusioniert eigentlich auf dem Teller mit wem? Das Mediterrane mit | |
der deutschen Deftigkeit, das Bodenseefelchen mit dem Pestospätzle? Geht es | |
um den Zusammenprall von europäischen und asiatischen Esskulturen oder um | |
eine Erosion tradierter Ernährungsgewohnheiten? Spätestens seit Ende der | |
Achtzigerjahre hat die Fusionswelle in der Gastronomie die übersichtliche | |
Steak- und Pasta-Einfalt gründlich aufgemischt. Seitdem wird vor allem die | |
asiatische Küche mit ihrer in Grenzbereiche vordringenden Schärfe und | |
exotischen Würze bei gleichzeitiger Leichtfüßigkeit und Aromenintensität | |
als starker Kontrast zur europäischen Wohlfühlküche eingesetzt. Während bei | |
uns das sogenannte Bodenständige gesucht wird, kommen die Asiaten beim | |
Kochen bei sich an, indem sie die Aromen und Konsistenzen zuspitzen. | |
Die vermeintlich schwerfällige deutsche Regionalkost asiatisch und | |
molekular aufzupeppen ist in vielen Restaurants der mittleren bis gehobenen | |
Art inzwischen eine Selbstverständlichkeit geworden. Man denke nur an | |
Makrele mit Pulpogelee und Apfelbalsamico, Bambusspitzen mit Grünkohlpesto, | |
Eisbein mit dem Klecks giftgrüner Wasabisauce, Wiener Schnitzel mit | |
Zitronen-Gelee-Würfelchen. Auch Spitzenköche wie Stefan Steinheuer oder Tim | |
Raue sind promotionträchtig ganz vorn dabei. Doch so selbstverständlich, | |
wie es scheint, ist das alles bei Weitem nicht. | |
Immerhin wird die Identität von Speisen verändert, die sich meist über | |
lange Zeiträume hinweg in einem engen lokalen Zusammenhang gebildet hat. | |
Ungeschriebene Gesetze werden gebrochen. Als Deutschland noch autoritärer | |
und enger war, war das undenkbar. Meine Großmutter hätte noch einen | |
Tobsuchtsanfall bekommen, wenn ich ihr Lieblingsessen, Karpfen blau mit | |
Salzkartoffeln und Sahnemeerrettich, kreativ mit Zitronengras und Chili | |
gewürzt und dann noch duftigen Ingwerschaum aus dem Fischsud gezaubert | |
hätte. So was durfte man nicht. Genau das aber war so reizvoll. | |
Generell darf man beim Kochen alles – wie bei allen Leidenschaften. Ob man | |
es immer tun muss, ist etwas anderes. Die Lust am Essen entspricht der | |
lustgesteuerten Freiheit beim Kochen, die Dinge sinnvoll zusammenzubringen, | |
egal ob das nun im akzeptierten Kanon liegt oder nicht. Die eigene | |
Tradition und Gewohnheit infrage zu stellen, bedeutet immer auch eine | |
Chance der Weiterentwicklung. | |
Dennoch führt das „Anything goes“ am Herd oft in die lustlose Sackgasse. | |
Wasabi schmeckt toll zu Sashimi oder Makiröllchen. Aber zu Eisbein passt | |
eben ein scharfer Düsseldorfer Senf besser, weil er neben der | |
schweißtreibenden Schärfe die nötige Essigsäure und Salzigkeit mitbringt, | |
die Wasabi abgeht. Das glibberige, fette Eisbein braucht den gemeinen Senf | |
als Gegenpart. Auch die norddeutsche Makrele mit Pulpogelee ist doppelt | |
gemoppelt; eine Redundanz fischiger Geschmäcker, deren Konsistenzen und | |
Aromen nicht wirklich zusammenpassen. Und was das Zitronengelee zum Wiener | |
Schnitzel betrifft: Purer Zitronensaft ist schmackhafter als ein geliertes | |
Zitronensaftwürfelchen; Saft wirkt intensiver und unmittelbarer in | |
Verbindung mit dem Schnitzel und seiner krossen Panade. | |
Schnitzel hat eine eigene Fülle, auch wenn es nichts Neues ist. Ebenso | |
schwäbische Spätzle, auf deren schwarze, mit Oktopusblut gefärbte Variante | |
man gut verzichten kann. Auch auf Maultäschle mit Ricotta-Erdnuss-Füllung | |
hat die Welt nicht unbedingt gewartet. Das Resultat schmeckt zwar | |
irgendwie, ist aber verzichtbar. Die Fusionswelle hat rein geschmacklich | |
gesehen nicht viel gebracht, weil das meiste in der Beliebigkeit stecken | |
bleibt. | |
Ein in sich stimmiges Gericht ergibt sich nicht aus fantasievoller | |
Kombination allein, sondern aus einer überraschenden Vereinigung von | |
Substanz und Fülle. Daher hat die Begegnung mit exotischen Zutaten in der | |
regionalen Küche meist eine Illusionen fördernde Funktion: zum Beispiel | |
die, man habe etwas Neues geschaffen. Trotzdem liegt auch eine Möglichkeit | |
darin, die Kräfte fremder Produkte für die Weiterentwicklung einer lokalen | |
Küche zu nutzen, wie das etwa mit Kartoffeln, Spargel, Tomaten, Paprika | |
oder Reis geschehen ist. | |
Sinnvoll kann eine Fusion sein, wenn zwei schwache Komponenten | |
zusammentreffen. Gerade Mangold, der ja solo nicht unbedingt ein | |
geschmackliche Offenbarung ist, schmeckt gut in einem Putenragout, das so | |
einen raffinierten Ton und einen schön anzusehenden Farbkontrast bekommt. | |
Die karge Polenta gewinnt, wenn man sie mit Mangold verbindet. Zwei | |
Schwache können sich verstärken und sich gegenseitig ergänzen. | |
## Entspannte Koexistenz | |
Neben dem Fusionswahn gibt es die zunehmende Tendenz, alles parallel und | |
autonom koexistieren zu lassen – etwa thailändische neben österreichischer | |
Küche –, ohne dass man es zusammenrührt. Hier bedeutet die Trennung mehr | |
Genuss. | |
Warum ist die österreichische Küche derzeit so beliebt? Sie steigert das, | |
was die Italiener perfekt können: aromatische Produkte in einer | |
Geschmacksfülle zusammenzubringen. Mehlspeisen wie Marillenknödel oder | |
Kaiserschmarrn können bei liebevoller und gekonnter Zubereitung im Mund | |
eine derartige Intensität auslösen, dass hier asiatische Zutaten die Sache | |
nur verderben, nicht aber verbessern. Einen Knödel kann man natürlich mit | |
Litschi oder Mango füllen. Doch das kommt nicht an den traditionellen | |
Marillenknödel heran. Und eine Makirolle wird durch Mayonnaise einfach nur | |
versaut. | |
Dies sich ehrlich einzugestehen gehört ebenfalls zur kulinarischen | |
Freiheit. | |
13 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
TILL EHRLICH | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |