# taz.de -- Fünf Jahre Sündenfall | |
> ■ Jubiläum für das „Magdeburger Modell“. Seit Juli 1994 läßt sich | |
> Ministerpräsident Höppner (SPD) von der PDS tolerieren. Die | |
> SED-Nachfolger sind so gut wie gezähmt | |
Magdeburg (taz) – Natürlich geht das nicht ohne Reibereien. Erst vor einem | |
Monat drohte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reinhard Höppner dem Partner | |
PDS mit dem Ende des „Magdeburger Modells“. Das geht, auf den Tag genau, | |
jetzt aber schon fünf Jahre: Am 21. Juli 1994 wählte der Anhaltinische | |
Landtag den Sozialdemokraten Höppner zum Chef eines Minderheitskabinetts. | |
Damals der Sündenfall im vereinigten Deutschland: Die SPD-Grünen-Koalition | |
war auf die Tolerierung durch die SED-Nachfolger angewiesen. Erstmals wurde | |
die PDS als politischer Partner akzeptiert. | |
Das Gebrüll war entsprechend groß. Der damalige Kanzler Kohl etwa warf | |
Höppner vor, mit der Zusammenarbeit „mit den Linksextremen den Konsens | |
aller Demokraten aufgekündigt“ zu haben. Andere, wie der CSU-General Erwin | |
Huber, warfen mit Schlamm: Höppner sei nichts zu schmutzig, um an die Macht | |
zu kommen. Auch bei den Sozialdemokraten und dem bürgerbewegten Grünenteil | |
gab es Bauchschmerzen und Widerstand. | |
Reinhard Höppner trotzte allen. Selbstbewußt und stolz erklärte er, daß im | |
Osten Dinge auch anders sein können als in der etablierten | |
West-Politlandschaft. Die Spitze der Sozialdemokraten erklärte eiligst in | |
Dresden, das Modell in Magdeburg sei nur eine Ausnahme und keinesfalls – im | |
Herbst standen die Bundestagswahlen an – auf Bonn oder irgendein anderes | |
Bundesland übertragbar. | |
Der 1948 in Haldensleben bei Magdeburg geborene Pfarrersohn engagierte sich | |
– wie viele heutige Politiker aus dem Osten – während der DDR-Zeit in der | |
Kirche. Seit 1980 war der passionierte Pfeifenraucher Präses der Synode der | |
Kirchenprovinz Sachsen. Bis zu seinem Einstieg in die Politik arbeitete der | |
promovierte Mathematiker über 18 Jahre als Lektor im Berliner | |
Akademie-Verlag. Im Dezember 1989 trat er der SDP, der Sozialdemokratischen | |
Partei der DDR, die sich später in SPD umbenannte, bei. In der ersten frei | |
gewählten Volkskammer wurde Reinhard Höppner zum Vizepräsidenten bestimmt. | |
Höppners jetziger Politikstil ist stark durch diese Zeit geprägt: Noch | |
heute gilt Sachsen-Anhalts Regierungschef als ein Mann der Runden Tische. | |
„Ein guter Regierungschef ist auch immer ein guter Moderator, der aber | |
nicht alles laufen läßt“, so Höppner. | |
Höppner, der früher sehr medienscheu war, ist ein Mann der leisen Töne. | |
Allerdings kann Höppner seine Haltung auch sehr laut und stur vortragen: | |
Etwa wenn es um das heute gezeichnete Bild der DDR geht. „Ich war | |
wahrscheinlich 40 Jahre auf Dienstreise im Ausland“, erklärt der | |
Protagonist des Herbstes 1989 gegenüber der taz. „So, wie DDR heute | |
beschrieben wird, war sie einfach nicht.“ | |
Höppners erste Legislatur war nur begrenzter Erfolg beschieden. | |
Sachsen-Anhalt rutschte auf den letzten Platz der Arbeitslosenstatistik, | |
die Pro-Kopf-Verschuldung des Landes stieg auf einen Spitzenplatz. Trotzdem | |
wählten die Anhaltiner Höppner im vergangenen Jahr für weitere vier Jahre | |
an die Spitze des Landes. | |
Jetzt allerdings ist die Zusammenarbeit mit der PDS komplizierter: Nach dem | |
Wahldesaster der Grünen, die an der Fünfprozenthürde scheiterten, gab es | |
keinen Koalitionsvertrag mehr, den die PDS als festgeschriebene | |
Tolerierungsgrundlage akzeptieren konnte. Und die dringend notwendige | |
Haushaltskonsolidierung, die der neue Finanzminister Wolfgang Gerhards | |
eingeleitet hat, verlangt von den Sozialisten harte Zugeständnisse. Nach | |
Höppners Drohung im letzten Monat, Neuwahlen auszuschreiben, lenkte die PDS | |
beim sogenannten Kinderbetreuungsgesetz – die Sozialisten rühmten sich, | |
einen Standard „fast auf DDR-Niveau“ durchgesetzt zu haben – schließlich | |
ein. | |
Gelang Höppner damit die endgültige Zähmung der PDS? Die | |
Haushaltsberatungen im Herbst werden es zeigen. | |
Nick Reimer | |
21 Jul 1999 | |
## AUTOREN | |
Nick Reimer | |
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