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# taz.de -- Freie Fahrt ist eine Nullnummer
> Was die Kleinstadt Templin vormacht, ist kein Modell für Berlin: Der
> Nulltarif für Busse und Bahnen wird nicht mehr propagiert, weil er zu
> teuer ist. Billige Tickets bringen mehr  ■ Von Bernhard Pötter
„Wir sind absolut dagegen“, schimpft der Taxifahrer am Marktplatz von
Templin. Hinter seinem Auto brummt ein blauweißer Bus der Uckermärkischen
Verkehrs- Gesellschaft (UVG) vorbei. Die Passagiere haben keinen Fahrschein
gelöst, und das regt den Taxifahrer auf: „Ich büße jeden Tag 50 Mark Umsatz
ein. Wenn das so weitergeht, gehen hier bald ein paar Fuhrunternehmen
kaputt.“
„Das“ ist die Wunschvorstellung von KundInnen und Verkehrsplanern: der
Nulltarif in öffentlichen Verkehrsmitteln. Seit Mitte Dezember können die
Menschen in der 14.000-Einwohner- Stadt, 80 Kilometer nördlich von Berlin,
die Busse der vier Linien kostenlos nutzen. Die Zahl der Passagiere hat
nach Angaben der Templiner Umwelt- und Tourismusbeauftragten, Sabine
Hertrich, „um das Vier- bis um das Achtfache“ zugenommen. Finanziert wird
das bundesweit einmalige Projekt, das 50.000 Mark jährlich kostet, durch
erhöhte Kurtaxe, Parkraumbewirtschaftung, Werbung und Sponsoren. Die Stadt
hofft bei verringertem Autoverkehr auf eine Anerkennung als Kurort, auf
Zuwächse beim Fremdenverkehr und bessere Umsätze für den Handel. „Der
Imagegewinn für die Stadt“, so Hertrich, „ist jedenfalls enorm.“
Szenenwechsel: Krachend schließen sich die Türen der U-Bahn am Kottbusser
Tor. Eine alte Frau mit Brille und ein junger Mann in fadenscheinigen Jeans
und mit fettigen Haaren erheben sich von ihren Plätzen an der Tür: „Die
Fahrscheine bitte!“ Nervös kramen die Fahrgäste in ihren Taschen. An der
Decke des Waggons mahnt ein Schild: „Schwarzfahren kann ich mir nicht
leisten.“
Den Nulltarif offensichtlich auch nicht. Denn im Gegensatz zur Templiner
Stadtverwaltung erhöht die BVG regelmäßig die Preise, jetzt gerade wieder
um durchschnittlich sieben Prozent. In der Tat sind die Bedingungen in der
Uckermark und an der Spree kaum zu vergleichen: Während 1997 im ganzen Jahr
auf allen Linien in Templin 45.000 Kunden unterwegs waren, rechnet die BVG
mit ebensovielen Passagieren für die Tram durch die Leipziger Straße an
einem Tag. Auch die Kostenstrukturen sind sehr verschieden: So läßt die UVG
nur Busse fahren und ist eine junge Firma. Die BVG dagegen schleppt
Schulden, verkrustete Strukturen und Personal aus Jahrzehnten mit sich
herum und investiert in extrem teure U-Bahnlinien. Vor allem hat sich das
Umfeld geändert: Offensiv will nur die Grüne Liga aus sozialen Gründen
„Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Alleinerziehende und Schüler“ umsonst
mit Bussen und Bahnen fahren lassen. Politischen Druck für den Nulltarif
gibt es dagegen heute kaum noch.
In den 60er und 70er Jahren war dies noch ganz anders. Da gab es massive
Forderungen nach der freien Fahrt für freie BürgerInnen. Mit der
„Rote-Punkt-Aktion“ signalisierten Autofahrer, daß sie BVG-Verweigerer
mitnehmen wollten. Die Alternative Liste (AL) forderte noch 1985 den
Nulltarif, „um ein Zeichen für die zukünftige Priorität des öffentlichen
Personennahverkehrs zu setzen und niemanden aus finanziellen Gründen von
der Benutzung von Bahn und Bus abzuhalten“. Davon wollen die Bündnisgrünen
von 1998 nichts mehr wissen. „Aus Einsicht in die Notwendigkeit“ lehne er
den Nulltarif ab, so Verkehrssprecher Michael Cramer. „Wer das fordert, muß
erklären, wo jährlich 850 Millionen Mark für die BVG herkommen sollen.“
Heute plädiert Cramer für bezahlte Tickets, die allerdings weit billiger
als derzeit sein sollten. „Billigere Tickets bringen die Leute zurück zum
Nahverkehr“, meint Cramer. In der Vergangenheit habe die BVG durch
regelmäßige Preiserhöhungen jährlich Millionen von KundInnen verloren
(siehe unten). Doch kosten soll das Ticket laut Cramer schon deshalb, weil
sonst der Eindruck entstehe, „was umsonst ist, ist für arme Leute und
nichts wert“. Doch die BVG müsse gerade an die reichere, Auto fahrende
Bevölkerung herantreten. Eine „Nahverkehrsabgabe“, bei der jeder Berliner
etwa 35 Mark monatlich zahlt und dann umsonst fährt, ist juristisch schwer
zu realisieren, weil sie einer Steuer gleichkommt. Cramer denkt allerdings
darüber nach, Geschäftsleuten eine solche Abgabe für die Bereitstellung der
Verkehrsinfrastruktur abzuknöpfen.
Auch die PDS-Verkehrsexpertin Katrin Lompscher fordert zwar „soziale
Tarife“, doch die Freifahrt steht nicht auf der Forderungsliste. Statt
dessen solle die BVG mit dem Geld besser haushalten, Großprojekte wie den
U-Bahnbau zugunsten der Straßenbahn zurückfahren und ein stärkeres
betriebswirtschaftliches Controlling einführen. „Der Verkehrsetat muß
zugunsten der BVG umgeschichtet werden“, so Lompscher. „Bisher werden noch
2,5 Milliarden Mark für Straßenbau und nur 1,5 Milliarden für die BVG
ausgegeben.“
Bei der Umschichtung der Mittel sind die BVG-Passagiere indes viel weiter
als der Senat: Jährlich entstehen der BVG geschätzte 20 Millionen Mark
Verluste durch schwarzfahren.
28 Feb 1998
## AUTOREN
Bernhard Pötter
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