| # taz.de -- Foto-Retrospektive Timm Rauterts: Selbstverständlich und verstöre… | |
| > Warhol im Kopf, die Bundesrepublik im Blick: Der Fotograf Timm Rautert | |
| > ist der Archivar der sozialliberalen Jahre. In Regensburg gibt es jetzt | |
| > eine große Retrospektive. | |
| Bild: Keine Bilder für den raschen Verzehr: Timm Rautert. | |
| Was bei der großen Regensburger Timm-Rautert-Retrospektive im Kunstforum | |
| Ostdeutsche Galerie mit Arbeiten aus vier Jahrzehnten am meisten verblüfft: | |
| wie selbstverständlich einem die Bilder erscheinen. Und, muss man gleich | |
| hinzufügen, wie verstörend und beunruhigend. Die Perspektiven und | |
| Bildachsen sind häufig verrutscht. Das Blitzlicht ist so gesetzt, dass es | |
| auf ungemütliche Weise im Bild selbst erscheint. Die Posen der Modelle | |
| weichen vom Gewohnten ab. | |
| Jede Epoche hat die Fotografie, die sie verdient - und Fotografen, die das | |
| Bild, das man sich von ihr macht, prägen. Timm Rautert erscheint im | |
| Rückblick als der Archivar der sozialliberalen Jahre: des neuen | |
| sozialkritischen Bewusstseins, einer gesteigerten Sensibilität für die | |
| "Ränder", aber auch der frisch aufgebrochenen Wünsche und Ängste, der | |
| überschwänglichen Utopien und eines irritierenden Krisengefühls. Timm | |
| Rautert hat mit seinen großen Reportagen für Zeitschriften und Magazine, | |
| vor allem für das Zeit-Magazin, aber auch mit seinen Langzeit- und | |
| Tiefenrecherchen in den Arbeitsstätten einer im raschen Wandel begriffenen | |
| Industriegesellschaft und in den Asylen der "Problemfälle" die Bild-Agenda | |
| der 70er- und frühen 80er-Jahre bestimmt. | |
| Rauterts Impuls war aufklärerisch, bei ihm war die Voraussetzung des | |
| Verstehens stets handwerkliche Meisterschaft gepaart mit ästhetischer | |
| Reflexion. Deshalb sind die Aufnahmen, die (scheinbar) für den Tag | |
| entstanden, im Museum, als Dokumente für die Ewigkeit, nicht fehl am Platz. | |
| Rautert lieferte nicht Bilder für den raschen Verzehr; er verweigerte sich | |
| der bloßen Bebilderung der Parolen des Tages. Deshalb kommt das Haltbare, | |
| der "Wahrheitswert" seiner Fotos jetzt, wo die Suggestion der Atmosphären, | |
| des Ambientes und der Aufgeregtheiten seiner Sujets historisch geworden | |
| oder verloschen ist, erst ganz zum Vorschein: Die frühe Contergan-Serie | |
| zeigt die Leidtragenden eines Pharmazie-Skandals nie nur als Opfer, sondern | |
| in ihrer Lebensfreude, in ihrem Willen zu Autonomie und Selbstbehauptung. | |
| Die Reihe "Deutsche in Uniform" von 1974 verdankt ihre Tiefenschärfe dem | |
| Umstand, dass es Rautert den von ihm Porträtierten überlässt, wie sie sich | |
| zeigen, "präsentieren" wollen. Die Industriereportagen sind eine Studie | |
| über Jahrzehnte. Sie befassen sich mit der Fabrik als zentralem | |
| gesellschaftlichem Ort, mit der Beschädigung des Humanen in der rapiden | |
| Entwicklung der Automation. | |
| Timm Rautert wurde 1941 in Tuchel in Westpreußen geboren und erhielt seine | |
| Ausbildung an der Essener Folkwangschule bei Otto Steinert. Dessen | |
| "subjektive Fotografie" überbot er früh durch "bildanalytische Studien": | |
| Was zeigt sich, wenn ich fotografiere, und wie zeigt es sich? Wie | |
| funktioniert unsere Wahrnehmung im Zeitalter ihrer technischen | |
| Reproduzierbarkeit? | |
| Kein Wunder, dass Rautert von Anfang an ein Faible für die hatte, die sich | |
| mit der (Un-)Darstellbarkeit der Welt beschäftigen, für | |
| Fotografen-Kollegen, vor allem aber für bildende Künstler. Die Begegnung | |
| mit Andy Warhol in seiner "Factory" im New York der späten 60er-Jahre war | |
| für Rautert eine Initiation, ein unverlierbares Bildungserlebnis. In | |
| Regensburg sind zwei Dokumente dieser Begegnung zu sehen, die längst zu | |
| Ikonen geworden sind - und viel von dem verraten, was Rautert in der | |
| Konfrontation mit Warhol erfuhr. Zuerst einmal dass es der "Normalzustand" | |
| der Arbeit eines Fotografen ist, dass sich das Motiv dem Zugriff, dem | |
| verfügenden Blick entzieht. Auf dem Porträt Warhols, das erst nach langem | |
| Warten entstand, hält dieser die Augen geschlossen. Die zweite Aufnahme | |
| Warhols präsentiert ihn als Teil eines Triptychons: Im Zentrum des | |
| irritierenden Spiegel-Bilds steht wie in weiter Ferne der Künstler mit | |
| abweisendem Gesichtsausdruck. Am rechten Rand ist der Fotograf selbst zu | |
| sehen, dessen Gesicht aber hinter dem Fotoapparat verschwunden ist. | |
| Wenn Rautert Künstler fotografiert, dann hat es den Anschein, als wolle er | |
| dem Geheimnis des schöpferischen Akts auf die Spur kommen. Das Mittel ist | |
| die Dokumentation des Arbeitsprozesses, nicht die Inszenierung des Genies: | |
| zuletzt bei Neo Rauch. Die Serie über ihn wird in Regensburg zum ersten Mal | |
| gezeigt. Erstmals vollständig ist in Regensburg Rauterts spätes | |
| "Koordinaten"-Werk zu sehen. Dabei konfrontiert er jeweils zwei Bilder, die | |
| sich wechselseitig kommentieren, ergänzen, einordnen, auch "stören" sollen. | |
| Häufig steht das Bild eines Menschen einer technischen Apparatur, einer | |
| Skizze oder einem Plan gegenüber. Dieser "kosmische" Rautert denkt offenbar | |
| vermehrt über die (gefährdete) Stellung des Menschen in der Evolution des | |
| Universums nach. | |
| 20 Aug 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Henni Gleixner | |
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