# taz.de -- Filmarchiv in Mosambik: Vier Filme für die Ewigkeit | |
> In den 70er-Jahren prosperierte das Kino in Mosambik - vor allem als | |
> Propagandainstrument der sozialistischen Machthaber. Heute verrotten die | |
> Filme im Nationalen Filminstitut von Maputo. | |
Bild: Im Hinterhof aufgestapelte Filmrollen und entstaubte Filmstreifen im Nati… | |
Die Frau am Empfang hat ihren Kopf auf den hellbraunen Holztisch gelegt. | |
Sie hält ihren Mittagsschlaf. Die Eingangshalle bietet einen glanzlosen | |
Anblick. Grauer Steinboden, eine Treppe aus Beton führt in den ersten | |
Stock. An den Wänden hängen hier und dort ein paar Zettel mit Anweisungen. | |
Alles ist weiß getüncht, wo Wasser eingedrungen ist, sind die Mauern gelb | |
oder braun. Drei Gummibäume stehen verwaist hinter der Treppe. | |
Nichts deutet darauf hin, dass in diesem Gebäude eine der aktivsten | |
Filmproduktionen des südlichen Afrika zu Hause war. Bis zu 250 Kameraleute, | |
Regisseure, Techniker und Redakteure gingen hier ein und aus. Heute | |
herrscht Stille im Nationalen Filminstitut Mosambiks (INC) in Maputo - und | |
das schon seit jenem Tag im Jahre 1991, als ein Blitzschlag ein Feuer im | |
Gebäude auslöste. Die Aufnahmetechnik, die Kameras, die Schneidetische und | |
Dunkelkammern - alles war zerstört. Neuanschaffungen hat es seitdem nicht | |
mehr gegeben. Mosambik hat andere Probleme. Das Land ist bettelarm. Über | |
die Hälfte des Staatshaushalts stammt aus Entwicklungshilfe. | |
Nicht nur die Stille im Institut ist bedrückend. Gut zwei Dutzend | |
Angestellte sind dem INC geblieben; sie müssen mit ansehen, wie der größte | |
Schatz des Instituts verrottet: tausende von Metern Film, verpackt in | |
25.000 Filmdosen. Darauf festgehalten sind die ersten Gehversuche einer | |
jungen Nation, die Gründungsjahre eines sozialistischen Staates in Afrika. | |
Eine detaillierte Chronik - ein nahezu einmaliges Filmarchiv in Afrika. | |
Nach Jahrhunderten der portugiesischen Vorherrschaft erkämpft Mosambik als | |
eines der letzten Länder Afrikas seine Unabhängigkeit. Am 25. Juni 1975 | |
ruft Samora Machel, Führer der Freiheitsbewegung Frelimo, die Volksrepublik | |
Mosambik aus. Machel wird Präsident in einem der ärmsten Länder der Welt. | |
Ein sozialistischer Vorzeigestaat soll daraus werden. "Von nun an gibt es | |
keine Makua, Makonde oder Portugiesen mehr. Von nun an gibt es nur noch | |
Mosambikaner", wiederholt Machel gebetsmühlenartig auf seinen Reisen durchs | |
Land. Den ehemaligen Kolonialherren passt die sozialistische | |
Gleichschaltung nicht. Die Portugiesen ziehen sich aus Mosambik zurück und | |
hinterlassen in Wirtschaft, Handel und der medizinischen Versorgung große | |
Lücken. | |
"In ganz Mosambik gab es keine 40 Ärzte mehr. Die Not war groß. Trotzdem | |
war eine der ersten Amtshandlungen der neuen Regierung, das Nationale | |
Filminstitut zu gründen", wundert sich Pedro Pimenta noch heute. Er gehört | |
im November 1975 zu den ersten Angestellten des Instituts. Die Frelimo | |
formuliert den Anspruch des INC in ausgesprochen kämpferischen Worten: Es | |
"soll den Mosambikanern ein klares Bild vom Befreiungskampf und der | |
koloniale Aggression verschaffen". | |
Nur wie? Im jungen sozialistischen Staat gibt es nichts, worauf man | |
aufbauen kann, schon gar keine Filmtradition. Von Technik ganz zu | |
schweigen. Leute wie Pimenta stoßen ohne Ausbildung zum Institut. So | |
verlassen sich die neuen Filmemacher auf Bruderhilfe. Die ersten | |
Dokumentarfilme werden von Jugoslawen, Brasilianern und Kubanern gedreht. | |
Parallel erhalten die mosambikanischen Genossen ihre Ausbildung an Kamera, | |
am Schneidetisch und am Mikrofon. Filmen werden sie während der ganzen Zeit | |
vor allem einen: Samora Machel. | |
Im ersten Stock des INC gibt es mehr Bewegung als in der Empfangshalle. In | |
einem Raum mit großem Fenster sitzen zwei Männer. Der eine trägt einen | |
Mundschutz und ist im Begriff, eine Filmdose aus Blech mit einem | |
Schraubenzieher aufzubrechen. Sie ist verrostet und klemmt. Als sie sich | |
öffnet, kommt eine Rolle zum Vorschein, darum wickelt sich pechschwarzes | |
Filmmaterial. Ein unangenehmer Geruch liegt im Raum, eine Mischung aus | |
Chemie und Süßsaurem. Transpirierendes Polyethylenterephthalat - aus diesem | |
Kunststoff sind die Filme gefertigt. Der Mitarbeiter entstaubt die Rolle, | |
bevor er sie zum Sichten in einen Schneidetisch mit Bildschirm einlegt. | |
Ratternd zieht der Apparat den Filmstreifen ein. | |
Auf dem Bildschirm sieht man einen Mann in gebügelter Uniform, die Ärmel | |
hochgekrempelt, auf dem Kopf eine Schirmkappe. Er schwingt mit den Armen, | |
die Hände zu Fäusten geballt. Vor ihm ein ganzes Bündel Mikrofone, | |
zusammengehalten mit Klebeband. Auf einer überdachten Tribüne, am | |
Rednerpult stehend, spricht Machel zu tausenden Mosambikanern im Stadion. | |
Er redet, er hält inne, über die Lautsprecher des Schneidetisches dröhnt | |
auf Portugiesisch die Frage "Was ist das Schönste im Leben eines Menschen?" | |
Das Volk antwortet unentschlossen, er stellt die Frage wieder und wieder, | |
bis er langsam und betont die Antwort des Volkes wiederholt: "Ja, das | |
Höchste im Leben eines Menschen ist die Freiheit!" | |
"Samora Machel hatte ein ausgeprägtes Gefühl für Kinematografie. Er wusste | |
genau, welche Macht bewegte Bilder auf die Massen ausüben. Er hatte damals | |
das größte Interesse und den mächtigsten Einfluss auf das Institut", sagt | |
der Chefarchivar des INC, Amilcar Mascarenhas. Von der Macht der Bilder ist | |
Machel schon während des Befreiungskrieges überzeugt. Mitte der 60er-Jahre, | |
gleich nach Beginn der Kämpfe gegen die Portugiesen, lädt die Frelimo | |
gleichgesinnte Filmemacher in den mosambikanischen Busch und lässt den | |
Kampf und die Entbehrungen der Freiheitskämpfer filmen. Im Krieg wie in den | |
ersten Jahren der Unabhängigkeit ist die Leinwand ein Instrument der | |
Propaganda. | |
Die Wochenschau "Kuxa Kanema" ("Geburt des Bildes") zeigt neben den Reden | |
des Präsidenten auch den Wiederaufbau des Landes. In Schwarzweiß entladen | |
Heerscharen von Mosambikanern in bloßer Handarbeit einen Laster voller | |
Betonsteine, roden gemeinschaftlich Palmen oder errichten Dächer. Manchmal | |
erinnert die Filmerei an das Telekolleg, vor allem wenn die Wochenschau | |
Lese- und Schreibunterricht auf Dorfplätzen dokumentiert. | |
Das Ziel, sagt Pimenta, war, "dass die Menschen sich selber sehen konnten. | |
Damit sie sich, ihre Arbeit, ihr Leben besser wertschätzen können. Das Kino | |
hatte also die Aufgabe, die Menschen und ihre Realität widerzuspiegeln - | |
ihnen eine neue Identität zu verschaffen." Viele Mosambikaner sehen zu | |
dieser Zeit zum ersten Mal einen Film und sind davon überwältigt. Sie | |
betrachten das Kino als direkte Errungenschaft der Unabhängigkeit. | |
Bis in den letzten Winkel des Landes soll die Propaganda ihre Wirkung | |
entfalten. Neben den rund 40 Kinosälen, die das INC vor allem in den großen | |
Städten unterhält, verfügt das Institut über mobile Projektoren aus der | |
Sowjetunion. Damit zieht das Institut von Dorf zu Dorf und zeigt auf | |
Marktplätzen Filme. Mosambik wächst nach Südafrika zum zweitgrößten | |
Filmproduzenten im südlichen Afrika heran. | |
Die Produktionswut lockt Filmemacher wie Jean-Luc Godard oder Jean Rouch | |
ins Land. Während Godard im Auftrag des INC die Möglichkeiten des | |
Fernsehens und der Videotechnik ausloten soll, experimentiert Rouch mit | |
Super-8-Filmen. Er gibt den Leuten Kameras und lässt sie filmen. Die | |
fertigen Kurzfilme werden unter den Dörfern und Städten ausgetauscht. Die | |
Menschen können sehen, wie man anderswo lebt und denkt. | |
Doch die schöne heile Welt des sozialistischen Aufbaus währt nicht lange. | |
Wieder gibt es Krieg, diesmal gegen das Apartheid-Regime aus Südafrika. Der | |
Kampf bestimmt die Berichterstattung des Filminstituts. Hunderte, tausende | |
von Toten sind in den Wochenschauen zu sehen, dazu zerschossene Gebäude und | |
kaputte Straßen. Doch im Mittelpunkt der Wochenschauen steht die heroische | |
Volksarmee. | |
In den 80er-Jahren wagen sich die Macher des Instituts neben den | |
Nachrichten- und Dokumentarfilmen auch an Spielfilme. "O Vento sopra do | |
Norte" ("Der Wind bläst aus Norden") entsteht ohne ausländische Hilfe. Der | |
Film handelt von Stammeskonflikten, Rassismus und der sozialistische | |
Befreiung und lockt in den ersten vier Tagen 8.000 Menschen in die Kinos. | |
Was wohl damit zusammenhängt, dass er 1987 uraufgeführt wurde - anlässlich | |
des 25-jährigen Bestehens der Frelimo. "O Vento sopra do Norte" ist der | |
letzte Höhepunkt des filmischen Schaffens im INC. Bereits ein Jahr zuvor | |
büßt das Institut seinen glühendsten Förderer ein. 1986 stirbt Machel bei | |
einem Flugzeugabsturz. Seine Nachfolger wollen vom Kino nichts mehr wissen; | |
sie setzen aufs Fernsehen. Auch distanzieren sie sich vom Sozialismus als | |
Staatsziel. | |
Das Institut gerät in Vergessenheit. Der Brand erledigt den Rest. Die | |
Filmdosen und ihr Inhalt verkommen seitdem. "Mosambik hat für die Rettung | |
der Filme kein Geld", sagt Mascarenhas. "Seit 2001 haben wir Briefe an alle | |
möglichen Institutionen und Botschaften geschrieben. Mit dem Erfolg, dass | |
uns Portugal und die Unesco seit Anfang des Jahres zwei Techniker stellen | |
und die Kosten für Technik und Material übernehmen." | |
Die hohe Luftfeuchtigkeit und die tropischen Temperaturen haben dem | |
Filmmaterial zugesetzt. Die staubige und stinkende Arbeit der Mosambikaner | |
und der zwei Techniker wird wohl noch bis Ende des Jahres dauern. Dann | |
wollen sie alle Bänder gesichtet, in Kunststoffdosen gelegt und in neuen | |
klimatisierten Sälen untergebracht haben. Die fachgerechte Lagerung soll | |
den Zerfallsprozess stoppen. | |
Wie es danach weitergeht, ist fraglich. Von der Digitalisierung der alten | |
Filme wagt man im Institut nicht zu träumen. Zu teuer, meint Mascarenhas. | |
Wenigstens vier Filme will man nach Südafrika schicken, um sie dort | |
digitalisieren zu lassen. Vier Filme für die Ewigkeit. Die anderen werden | |
wohl nie wieder vorgeführt. Isabel Noronha, eine ehemalige Produzentin, | |
formuliert es so: "Was du gemacht hast, ist zwar nicht zerstört, doch | |
gleichzeitig existiert es nicht mehr." | |
29 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Oliver Ramme | |
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