| # taz.de -- Film über Fernsehkoch Wilmenrod: Der Bundesfeinschmecker | |
| > "Toast Hawaii"-Erfinder Wilmenrod war Deutschlands erster Fernsehkoch. | |
| > Das Biopic "Es liegt mir auf der Zunge" (Mittwoch, ARD, 20.15 Uhr) | |
| > scheitert an der Tragikomik seines Lebens. | |
| Bild: Das Schauspielerehepaar Jan Josef Liefers (Mitte) und Anna Loos - als Fer… | |
| Nein, Alfred Biolek war keineswegs der erste kochlöffelschwingende Amateur | |
| im deutschen Fernsehen. Der hieß - genauer: nannte sich - Clemens Wilmenrod | |
| und ging schon am 20. Februar 1953 erstmals auf Sendung. | |
| Keine schlechte Idee eigentlich in diesen Zeiten des boomenden Telekochens, | |
| jenen Wilmenrod für ein Biopic auszugraben. Aber die Idee stammt ja auch | |
| aus der Küche der lange Jahre für gute Ideen geschätzten, dann aber | |
| unehrenhaft entlassenen Ex-NDR-Fernsehspielchefin Doris J. Heinze. Heinzes | |
| Geschäftsmodell, eigene Ideen als fremde an ihren eigenen Sender zu | |
| verkaufen, steht zu Wilmenrods Küchenpraxis in einem quasi diametralen | |
| Verhältnis: Dem warfen seine Zeitgenossen später vor, fremde Rezepte als | |
| eigene ausgegeben zu haben. Allerdings gibt es gerade an der Urheberschaft | |
| der Kreation, die im Zentrum des kulinarischen Schaffens Wilmenrods steht, | |
| nicht den geringsten Zweifel - die Rede ist vom "Toast Hawaii". | |
| Allein dafür hat er sich die filmische Hommage von Kaspar Heidelbach | |
| (Regie) und Lothar Kurzawa (Buch) verdient. Die Besetzung ist erlesen, in | |
| den Hauptrollen: das Schauspielerehepaar Jan Josef Liefers und Anna Loos - | |
| als Wilmenrod und seine Gattin! Solange es um den Aufstieg des erfolglosen | |
| Provinzschauspielers mit putzigem Menjoubärtchen zum Bundesfeinschmecker | |
| mit putzigem Menjoubärtchen geht, ist Liefers die Idealbesetzung. Er kennt | |
| keine Hemmungen und bringt es fertig, auf die prätentiöse Gespreiztheit des | |
| originalen Wilmenrod noch eins draufzusetzen: "Wenn die Kirsche oder die | |
| Pflaume einen Stein besitzen, den wir entfernen müssen - warum soll nicht | |
| einmal die Erdbeere einen Kern von uns erhalten?" Fertig ist die mit einer | |
| Mandel "gefüllte Erdbeere". Da erscheinen uns Nachgeborenen die Fünfziger | |
| bald wie ein anarchisches Idyll, in dem die Verwendung von Dosenmischgemüse | |
| noch nicht tabuisiert war. | |
| Die Spiegel-Titelgeschichte der Ausgabe 26/1959 - die sich wie das Exposé | |
| zum Film liest - analysiert den Erfolg des flotten Hobbykochs so: "Die | |
| wenigen tausend Fernsehabonnenten hatten damals noch keine Meinung. Sie | |
| bestaunten den modernen Zauberspiegel, ließen sich beflimmern und von | |
| Wilmenrod als ,liebe, goldige Menschen' umschmeicheln." | |
| Der Film will auch das zeigen, will mehr sein als eine bloße | |
| Nostalgieklamotte. Das ist sein Problem. Wohl weil Clemens Wilmenrod keine | |
| rein fiktive Filmfigur ist, sondern als Carl Clemens Hahn tatsächlich | |
| gelebt hat, meinten die Macher des Films, ihm "gerecht werden" zu müssen. | |
| Und weil die fröhliche Sause irgendwann vorbei war, weil seine Frau ihren | |
| promiskuitiven Gatten irgendwann nicht länger ertragen konnte, weil er | |
| irgendwann nicht mehr als liebenswerter Filou, sondern als schamloser | |
| Pionier auch in Sachen Schleichwerbung begriffen wurde, weil sein Leben in | |
| den letzten Jahren tragisch verlief und tragisch endete - deswegen muss | |
| wohl auch der Fernsehfilm von der beschwingten Komödie in die bittere | |
| Tragikomödie umschlagen. Das aber will nicht recht gelingen. Das fulminant | |
| sinnfreie Pointenfeuerwerk der ersten Hälfte ist einfach zu komisch, macht | |
| es unmöglich, den Film danach auch nur für eine Minute halbwegs ernst zu | |
| nehmen. | |
| Der Balanceakt zwischen Tragik und Komik funktioniert genau einmal, wenn | |
| Wilmenrods Schwester dem im Krankenhaus Siechenden Mut machen will: "Du | |
| darfst die Flinte nicht ins Korn werfen!" Darauf er: "Warum soll ich die | |
| Flinte ins Korn werfen? Eher benutze ich sie." Danach erschießt er sich. | |
| 25 Nov 2009 | |
| ## AUTOREN | |
| Jens Müller | |
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