# taz.de -- Film über Adoptionstourismus: Warten auf das Baby | |
> John Sayles Spielfilm "Casa de los Babys" handelt vom Adoptionstourismus | |
> in Mittelamerika. Sechs reiche Nordamerikanerinnen warten in einem Hotel | |
> auf ihre Kinder. | |
Bild: Mit "Casa de los Babys" demonstriert US-Filmer Sayles, wie seine Landsleu… | |
In den Ländern Lateinamerikas existiert eine Vielzahl von Nischenökonomien, | |
die ganz auf die Bedürfnisse des reichen Nordens ausgerichtet sind. Die | |
Regeln dieser freien Märkte werden größtenteils auf regionaler Ebene | |
gemacht, weil neben Unternehmergeist persönliche Beziehungen oftmals eine | |
entscheidende Rolle spielen. In John Sayles "Casa de los Babys" dreht sich | |
alles um eine solche Mikroökonomie: "Haus der Babys" ist der Spitzname | |
eines Hotels in einem unbenannten mittelamerikanischen Land, in dem | |
wohlhabende Amerikanerinnen bis zur Aushändigung ihrer Adoptionspapiere | |
logieren. | |
Der bürokratische Prozess ist langwierig, auch wenn eine der Frauen | |
behauptet, dass die extremen Wartezeiten Teil des Geschäfts seien, das die | |
Regierung mit den Wohltäterinnen aus dem Norden macht. Regisseur John | |
Sayles wiederum gehört nicht zu jenen, die primär altruistische Motive | |
hinter dem Wunsch nach einem Adoptivkind aus Ländern des Südens vermuten. | |
(Das überlässt er lieber dem Boulevard mit seiner Obsession für die | |
ständigen Familienerweiterungen von Brangelina und Co.) | |
Sechs Frauen warten in "Casa de los Babys" auf die Zustimmung der Behörden. | |
Sayles verleiht, wie man es in einem Moralstück nicht anders erwarten | |
würde, jeder von ihnen eine distinktive Charaktereigenschaft: Marcia Gay | |
Haden übernimmt den Part der "hässlichen Amerikanerin", die ihr | |
ambivalentes Verhältnis zum Gastland in jedem Kommentar preisgeben muss. | |
Maggie Gyllenhaal spielt eine naive junge Frau, deren Leben vorgezeichnet | |
ist. Ihr Mann hat bereits den Namen ihres gemeinsamen Adoptivkinds | |
entschieden: Henry Junior. Darryl Hannah hat sich nach drei Fehlgeburten | |
einem Fitness- und New-Age-Wahn ergeben. Mary Steenburgen spielt eine | |
trockene Alkoholikerin und wiedergeborene Christin. Lily Taylor gibt eine | |
burschikose New Yorker Verlegerin, der aus pragmatischen Gründen eine | |
Mutterschaft ohne Mann vorschwebt (was sie bei den anderen Frauen sofort | |
als lesbisch qualifiziert). Einzig der jungen Irin Eileen (Susan Lynch) | |
bleibt etwas Raum für persönliche Entfaltung. Ihr gehört am Ende auch die | |
berührendste Szene des Films. | |
Sayles gilt seit über zwei Jahrzehnten als gutes Gewissen des | |
amerikanischen Independentkinos. Und wie sein europäischer Kollege Ken | |
Loach tendiert auch er manchmal zu schematischen Drehbuchkonstellationen. | |
Mit "Casa de los Babys" demonstriert Sayles, wie seine Landsleute | |
Lateinamerika zu einer willfährigen Dienstleistungsgesellschaft | |
degradieren. Das beginnt mit dem morgendlichen Margarita, setzt sich mit | |
Beschwerden über den schlechten Zimmerservice fort und gipfelt schließlich | |
in einer fulminanten Drohung, sollte der zuständige Anwalt den | |
Adoptionsprozess nicht endlich beschleunigen. Dem gegenüber platziert | |
Sayles unter anderem die resolute Hotelbetreiberin (Rita Moreno), die von | |
der Politik ihrer Regierung profitiert, und ihren Sohn, der im Babyhandel | |
einen neuen Imperialismus sieht und seiner Mutter vorhält, sich daran auch | |
noch zu bereichern. | |
Sayles manövriert sich vorsichtig durch das Minenfeld kultureller | |
Vorurteile und Stereotypen. Einen Bestechungsversuch der Haden-Figur muss | |
der Beamte entrüstet von sich weisen. (Er stellt sich dann aber als Bruder | |
der Hotelbetreiberin heraus). Sayles beschreibt ein ganzes System | |
gegenseitiger Abhängigkeiten und persönlicher Verwicklungen, angereichert | |
mit einem Schuss Lokalkolorit. Das Dienstmädchen Asunción fährt jeden | |
Morgen zusammen mit den anderen Arbeitern in die nahe gelegene Stadt, wo | |
sie die Zimmer der reichen Amerikanerinnen reinigt. Auch sie hat einmal ein | |
Baby zur Adoption freigegeben. Ein paar Straßenkinder zeigt Sayles beim | |
Klauen und Drogenschnüffeln. Die ungleiche "Resourcenverteilung" zwischen | |
den Ländern der Ersten und der Dritten Welt, wie Sayles sie zu suggerieren | |
scheint, wird zum neuralgischen Punkt seines Films. Ist diese Form der | |
Mutterschaft nun Ausdruck eines westlichen Paternalismus oder doch Ausdruck | |
reiner Gutherzigkeit? Was treibt die Frauen dazu, sich ein Adoptivkind in | |
einem Entwicklungsland zu suchen? Und mit welchen kulturellen Werten soll | |
es aufwachsen? | |
Jedem Bild kommt in "Casa de los Babys" eine spezifische Funktion zu. | |
Manchmal wird nur geredet, dann fühlt man sich wie im Theater. Die | |
Geschichte tritt darunter auf der Stelle, aber genauso wenig gelingt es | |
Sayles, dem Problem in der Tiefe nachzuspüren. Er entwickelt einen | |
umfangreichen Fragenkatalog, aber die Verbindungslinien bleiben abstrakt. | |
Am Ende hat man zwar die Dynamiken, die hier zum Tragen kommen, verstanden. | |
Aber die Frage, was das alles denn nun mit den Menschen und ihren | |
Sehnsüchten zu tun hat, mit denen man sich immerhin eineinhalb Stunden lang | |
zu identifizieren versucht, lässt der Film unbeantwortet. | |
30 Dec 2009 | |
## AUTOREN | |
Andreas Busche | |
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