# taz.de -- „Feuer lässt mich heute kalt“ | |
> Armin S. | |
Lange hielt sich die Legende, Autonome hätten am 1. Mai 1987 in Kreuzberg | |
den Supermarkt Bolle abgefackelt. In Wirklichkeit war es das Werk eines | |
unpolitischen Pyromanen: Der Möbeltischler Armin S. hat zwischen 1977 und | |
1990 europaweit mehr als 700 Brände gelegt, viele davon in Berlin. Drei | |
Menschen kamen dabei ums Leben, der Sachschaden belief sich auf über 50 | |
Millionen Euro. Neben dem sexuellen Kick habe ihn der Hass auf seine | |
Familie zu den Taten getrieben, sagt Armin S. Nach einer Therapie darf der | |
inzwischen 46-Jährige die geschlossene Gerichtspsychiatrie seit vielen | |
Jahren tagsüber verlassen. Nie wieder ist etwas passiert. Dennoch ist | |
völlig unklar, ob und wann er aus dem Maßregelvollzug entlassen wird | |
INTERVIEW PLUTONIA PLARRE | |
taz: Herr S., Sie sind Raucher. Womit zünden Sie sich Ihre Zigaretten an? | |
Armin S.: Mit meinem Feuerzeug. Streichhölzer darf ich nicht anfassen. | |
Daran halte ich mich. | |
Was ist an Streichhölzern so gefährlich? | |
Man kann das Magnesium abreiben und zum Feuerlegen benutzen. | |
Wissen Sie noch, was Sie am Abend des 1. Mai 1987 gemacht haben? | |
Das weiß ich noch ziemlich genau. Ich bin am U-Bahnhof Görlitzer Bahnhof | |
zufällig in eine Demonstration geraten. Ich war kein politischer Mensch. | |
Der schwarze Block fing an, Randale zu machen. Die Polizei hatte sich | |
zurückgezogen. Steine flogen, Autos brannten, der Supermarkt Bolle wurde | |
geplündert. Dann haben einige Leute Molotow- Cocktails in den Laden | |
geschmissen. Ich habe mir gedacht: So funktioniert das nicht. Das | |
verursacht doch keinen großen Schaden. Ich werde denen mal zeigen, wie man | |
es richtig macht. Dann habe ich meine Fläschchen aus dem Rucksack geholt, | |
sie in den Laden geworfen und gerufen: Vorsicht, das brennt gleich ohne | |
Lunte. | |
Was hatten Sie für ein Brandmittel? | |
Ich hatte ein eigenes Mittel. Ich hatte ein bisschen herumexperimentiert. | |
Bolle ist vollkommen ausgebrannt. Jahrelang hieß es, die Autonomen seien es | |
gewesen. Hat Sie das geärgert? | |
Eigentlich nicht. Ich fand es interessant, was für ein Mythos da aufgebaut | |
worden ist. | |
Für Sie war Bolle nur eine Tat von vielen. Wohnhäuser und Bauernhöfe, die | |
Batteriefabrik Sonnenschein, das Blockhaus Nikolskoe, das Reetdach des | |
U-Bahnhofs Dahlem Dorf – wie viele Brände gehen auf Ihr Konto? | |
Europaweit 750, davon ungefähr 350 in Berlin und Süddeutschland. | |
Der Gesamtschaden wird auf mehr als 50 Millionen Euro geschätzt. Drei | |
Menschen verloren im Feuer ihr Leben. | |
Das habe ich erst im Nachhinein erfahren. Das hat mich sehr schockiert. Ich | |
habe nicht zu Ende gedacht, was ich da mache, und ich war immer stark | |
alkoholisiert. Ich war der Feuerteufel. Alles andere hat mich damals nicht | |
interessiert. | |
Waren Sie stolz auf Ihre Taten? | |
Damals schon. | |
Sogar bei der Feuerwehr haben Sie gezündelt. | |
Das war in Neukölln. Ich bin bei der Feuerwehr aufs Dach und habe es | |
angesteckt. Danach habe ich angerufen und gesagt: Ihre Feuerwehr brennt. | |
Bei uns brennt es nicht, niemals, haben die geantwortet. Die haben das erst | |
geschnallt, als ein Kollege mit dem Auto ankam. Danach haben sie schnell zu | |
löschen begonnen. Nach den Bränden bin ich immer gleich nach | |
Westdeutschland abgehauen, weil ich nicht geschnappt werden wollte. | |
Im Sommer 1990 wurden Sie dann aber doch festgenommen. | |
Eigentlich wollte ich aus Berlin wegtrampen. Am Kontrollpunkt in Dreilinden | |
habe ich ein BVG-Häuschen angesteckt, einen Taxifahrer am Löschen gehindert | |
und dann auf die Polizei gewartet. Ich brauchte Hilfe. Ich konnte und | |
wollte nicht mehr weitermachen. Ich habe auch dran gedacht, mich | |
umzubringen. Ich habe Feuer gelegt und gewartet, bis mir die Flammen bis zu | |
den Knien standen. | |
Bei der Kriminalpolizei haben Sie eine Lebensbeichte abgelegt. | |
Die Kripo wollte mir zuerst nicht glauben. Für meine Brände waren zum Teil | |
ja andere Leute verurteilt worden, die behauptet hatten, es gewesen zu | |
sein. Erst als ich die Beamten an die Tatorte geführt habe, ist ihnen | |
aufgegangen, wen sie da gefasst hatten. Mit einem Schlag war eine riesige | |
Zahl von Bränden aufgeklärt. Die Urteile der anderen wurden danach | |
aufgehoben. | |
Sie selbst sind 1991 verurteilt worden, kamen aber nicht in den Knast. | |
Das Gericht hat mich aufgrund eines psychiatrischen Gutachtens nach § 63 | |
für schuldunfähig erklärt und für unbefristete Zeit ins Krankenhaus für | |
Maßregelvollzug in Wittenau eingewiesen. | |
In dem Gutachten wurde Ihnen eine chronische Form der Pyromanie | |
bescheinigt. Feuerlegen bereite Ihnen Macht- und Lustgefühle bis hin zum | |
Samenerguss, hieß es. Ursache sei eine chronische Verhaltensstörung. | |
Genau. | |
Ist Pyromanie therapierbar? | |
Wenn man so zu Werke geht wie die Therapeutin, die im Krankenhaus für | |
Maßregelvollzug als Einzige eine Therapie mit mir gewagt hat: ja. Das | |
zentrale Thema in den Gesprächen war meine Kindheit, was ich alles erlebt | |
habe. Seit 27 Jahren bin ich HIV-positiv. Ich bin schwul, und zwar ziemlich | |
heftig. Ich bin sadistisch veranlagt. Inzwischen ist mir klar, dass mich | |
neben dem sexuellen Kick ein übergroßer Hass auf meine Familie und all die | |
Herrschaften, die mir was sagen wollten, zum Feuerlegen getrieben hat. | |
Sie sind in Villingen-Schwennigen als das achte von neun Kindern | |
aufgewachsen. Wie waren die Verhältnisse bei Ihnen zu Hause? | |
Extrem hart. Mein Vater war viel auf Baustellen außerhalb von Deutschland | |
unterwegs. Meine Mutter hatte in der Zeit Männerliebschaften. Die wurden | |
uns immer als Onkel Franz und Onkel Paul vorgestellt. Immer derselbe Name, | |
egal ob die Männer blond oder schwarzhaarig waren, dick oder dünn. Die | |
Mutter wollte immer zur gleichen Zeit ihre Ruhe haben, meistens um 15 Uhr. | |
Wir Kinder mussten dann unten spielen. Wenn der Vater nach Hause kam, hat | |
er sich volllaufen lassen, dann gab es Stress. Als meine Mutter mit dem 9. | |
Kind schwanger war, hat er sie furchtbar zur Sau gemacht, richtig bösartig | |
verprügelt. | |
Was hatten Sie für eine Beziehung zu Ihrem Vater? | |
Ich war das einzige Kind, das keine Schläge von meinem Vater bekommen hat. | |
Er hat mich unheimlich geliebt. Wegen meiner blonden Locken hat er mich | |
Engelchen genannt. Bis das mit meinem 14-jährigen Bruder passierte. Er | |
hatte ihn in einer Schweinetransportkiste im Keller eingesperrt. Mein | |
Bruder konnte darin weder stehen noch richtig liegen. Der Grund war, dass | |
mein Bruder meinen Vater daran zu hindern versucht hatte, meine Mutter zu | |
verprügeln. Uns hat er erzählt, der Bruder sei für immer weggegangen. Eines | |
Tages hat mein Vater mich mit runtergenommen und mir meinen Bruder gezeigt. | |
Ich habe fürchterlich geweint. Er hat gesagt, mein Bruder kriegt nichts zu | |
essen, bis er sich geändert hat. Von dem Tag an habe ich meinen Bruder mit | |
Essen versorgt. Alles, was bei den Mahlzeiten übrig geblieben ist, habe ich | |
runtergeschleppt. | |
Wie alt waren Sie da? | |
Viereinhalb. Eines Tages hat mich mein Vater dabei erwischt. Er hatte eine | |
Bierflasche in der Hand. Er hat den Flaschenhals abgehauen und ist damit | |
auf mich los. Seitdem bin ich auf dem linken Auge blind. Ich habe so | |
geschrien, dass eine Nachbarin aufmerksam geworden ist. Die hat die Polizei | |
und den Notarzt alarmiert. Danach sind wir Kinder alle ins Heim gekommen. | |
Was war das für ein Heim? | |
Ein katholisches Heim. Es hieß Heudorf am Bussen. Dort war es fast noch | |
schlimmer. Die Leiterin war ein Drachen. Ich wurde des Öfteren mit Händen | |
und Füßen an ein Kreuz gefesselt und mit einem Rohrstock verprügelt. | |
Das klingt wie im Mittelalter. | |
Das war schon heftig. Ich war ein extrem schwieriger, aufsässiger Junge. | |
Ich habe mich an keine Regeln gehalten. Die Schwestern haben den anderen | |
Kindern verboten, mit mir zu reden. Das ist ein Außenseiter, der gehört | |
nicht zu unserer Gemeinschaft, haben sie gesagt. In dem Heim war ich bis zu | |
meinem 15. Lebensjahr. Dann kam ich in ein Ausbildungsheim in der Nähe von | |
Augsburg. Dort war es wesentlich besser. | |
Mit 17 Jahren haben Sie die Scheune eines Bauern angezündet. Wie kam es | |
dazu? | |
Ich hatte mich sehr über einen Lehrer geärgert. Er hatte meinen behinderten | |
Freund, der nicht rechnen konnte, fertiggemacht. Ich wusste, dass der | |
Lehrer mit dem Bauern Krach hatte. Bei dem Brand habe ich zum ersten Mal | |
gemerkt, dass ich dabei sexuelle Gefühle hatte. | |
Inzwischen sind Sie 46 und seit 16 Jahren im Maßregelvollzug. Wie stehen | |
Ihre Chancen, entlassen zu werden? | |
Ich will dieses Jahr einen Antrag auf Entlassung stellen. Ich darf ja seit | |
zehn Jahren raus. Anfangs waren es begleitete Ausgänge. Dann durfte ich | |
vier, fünf Stunden täglich allein gehen. Seit acht Jahren darf ich den | |
ganzen Tag raus. Nie wieder ist etwas passiert. Ich arbeitete draußen in | |
einer Druckerei und habe eine kleine Wohnung. Ich habe eine Freundin | |
außerhalb der Anstalt gefunden – eine Freundin auf platonischer Ebene. Die | |
Beziehung bedeutet mir viel. Die Nächte muss ich aber alle nach wie vor im | |
Maßregelvollzug verbringen. | |
Wovon hängt Ihre Entlassung ab? | |
Leute wie ich, die nach Paragraf 63 eingewiesen sind, haben jedes Jahr | |
einen Überprüfungstermin. Das Gericht prüft, ob man noch gefährlich ist für | |
die Allgemeinheit. Letztes Jahr bei der Überprüfung hat der Richter gesagt, | |
das Krankenhaus für Maßregelvollzug solle bis zur nächsten Überprüfung für | |
mich draußen eine Unterbringung finden. Ich habe einige Angebote von | |
betreuten Wohngemeinschaften. Die würden mich sofort aufnehmen. Aber das | |
geht nicht, weil der Senat eine Anordnung erlassen hat: Leute, die als | |
gefährlich eingestuft worden sind, dürften nicht in eine WG, in der | |
nichtgefährliche Leute sind. Die Ärzte und Sozialarbeiter wissen deshalb | |
nicht, wohin mit mir. | |
Fühlen Sie sich von der Pyromanie geheilt? | |
Ich habe damit abgeschlossen. Es war ein Lebensabschnitt. Ich habe gelernt, | |
dass ich bei Konflikten nicht alles runterschlucken muss. Ich habe gelernt, | |
darüber zu sprechen. Ich streite mich auch mit meinen Ärzten. Ich schreie | |
sie auch mal an. Und mir ist vollkommen klar, dass ich in meinem Leben | |
keinen Tropfen Alkohol mehr trinken darf. | |
Was empfinden Sie heute beim Anblick von Feuer? | |
Das lässt mich kalt. Früher, wenn ich Berichte über Brände im Fernsehen | |
gesehen habe, habe ich gedacht, das hätte ich besser gekonnt. Das ist | |
vorbei. | |
Zu Beginn des Gesprächs haben Sie gesagt, Sie seien früher unpolitisch | |
gewesen. Wie ist es heute? | |
Das Leben in der Klapsmühle hat mich politisiert. Egal, ob es sich um | |
Brandstifter, Sexualstraftäter, Mörder oder Kleptomanen handelt – man | |
steckt sie hinter Mauern und vergisst sie. Es ist viel schlimmer, als im | |
Knast zu sein. Man weiß nie, wann man rauskommt. Wenn ich 15 Jahre Knast | |
bekommen hätte, wäre ich längst draußen. | |
Noch ein Wort zum 1. Mai 1987, der von Teilen der Linken als soziale | |
Revolte gefeiert wurde. | |
Nach allem, was ich mitbekommen habe, ging es nur ums Plündern und | |
Bullenjagen. Selbst vor kleinen Läden wurde nicht Halt gemacht. Am Ende | |
haben sich die Leute die Sachen, die sie geklaut hatten, sogar noch | |
gegenseitig abgenommen. | |
30 Apr 2007 | |
## AUTOREN | |
PLUTONIA PLARRE | |
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