# taz.de -- Feilschen um den Ort des Grauens | |
> ■ Aufgearbeitet wurde die Geschichte des KZ in Jasenovac noch nicht. | |
> Statt dessen machten alle Seiten mit den Opferzahlen Politik | |
Sarajevo (taz) – Das Ustascha- Regime ist grausam gegen seine Gegner | |
vorgegangen. Anfänglich waren es kroatische Widerständler, die in das Lager | |
Jasenovac gebracht wurden. Ante Pavelić, der „Führer“ des „Unabhängigen | |
Staates Kroatien“ (Nezavisna Drzava Hrvatska – NDH 1941–1945) von Hitlers | |
und Mussolinis Gnaden, hatte kaum Anhänger in Kroatien. Zwar begrüßte die | |
Mehrheit der Kroaten die Unabhängigkeit des kroatischen Staates, weil sich | |
das jugoslawische Königreich in ihren Augen seit 1921 in eine | |
zentralistische serbische Diktatur verwandelt hatte. Die „Ustaschen“ ( die | |
„Aufständischen“) bildeten bei der Machtübernahme 1941 nur eine | |
Splittergruppe von ein paar tausend Mann. | |
Nach dem Überfall Hitlers auf die Sowjetunion wurde bei Sisak die erste | |
Partisaneneinheit gegründet, die zunächst nur aus Kroaten bestand. Unter | |
dem kroatischen Kommunisten Josip Broz, genannt Tito, nahmen die | |
Kommunisten den antifaschistischen Kampf in die Hand. Viele Serben | |
Kroatiens und Muslime Bosniens schlossen sich in den folgenden Monaten den | |
Partisanen an. Auch Franjo Tudjman, der jetzige Präsident Kroatiens, wurde | |
Partisan. | |
Dennoch gelang es dem Regime, durch die Mobilisierung nationalistischer | |
Gefühle seine Anhängerschaft zu verbreitern. Entsprechend der | |
klerikal-faschistischen Ideologie wurden Juden und Roma in die | |
Konzentrationslager verschleppt, so auch nach Jasenovac. Auch die Serben | |
Kroatiens und Westbosniens gerieten in das Räderwerk der Diktatur. Nach der | |
Devise, ein Drittel töten, ein Drittel bekehren und ein Drittel vertreiben, | |
sollte eine kroatisch-katholische Bevölkerungsmehrheit in dem NDH-Staat | |
geschaffen werden, der die heutigen Staaten Kroatien, Bosnien-Herzegowina | |
und Teile der heute zu Serbien gehörenden Vojvodina umfaßte. | |
Jasenovac war nicht der einzige Ort des Grauens. Auch in Stara Gradiska, in | |
Lepoglavo und anderen Orten waren Lager eingerichtet. Dies mag erklären, | |
daß bald nach Kriegsende ein Streit begann, wie viele Menschen in Jasenovac | |
ermordet worden waren. Der bekannte kroatische Historiker Vladimir Zerjavic | |
geht von 85.000 Opfern aus. Später wurde, vor allem von serbischer Seite, | |
die Zahl nach oben getrieben. Plötzlich waren es 200.000 Opfer, in den | |
sechziger Jahren nannte die orthodoxe Kirche die Zahl von bis zu 800.000 | |
serbischen Opfern. Als Ende der achtziger Jahre in Serbien von Vuk | |
Drasković, Vojislav Šešelj und anderen Nationalisten Zahlen von bis zu 1,5 | |
Millionen ins Spiel gebracht wurden, versuchten kroatische Historiker, | |
darunter auch Franjo Tudjman, dagegenzuhalten. Anhand von Statistiken | |
versuchten sie zu beweisen, daß „nur“ bis zu 60.000 Menschen in Jasenovac | |
ermordet worden waren. | |
Fortan wurden die Mordtaten gegeneinander aufgerechnet, um den jeweiligen | |
„nationalen Standpunkt“ zu behaupten. Durch das Raster fielen die | |
Mechanismen totalitärer Ideologien, die zu den Massakern der Ustaschen an | |
Serben, zu den Massakern der Tschetniks an Kroaten, Albanern und Muslimen | |
sowie der Abrechnung der Partisanen mit ganzen Bevölkerungsgruppen geführt | |
hatten. Daß 1941–1945 im Geiste Adolf Hitlers ganze Bevölkerungsgruppen | |
„bestraft“, ermordet oder umgesiedelt wurden, ging unter. Es ist somit kein | |
Wunder, daß gerade diese Ideologien im Krieg 1991–1995 wieder auflebten. | |
Die Politik der „ethnischen Säuberungen“ und die 1992 und 1993 errichteten | |
Konzentrationslager in Bosnien zeugen davon. Erich Rathfelder | |
17 Apr 1998 | |
## AUTOREN | |
Erich Rathfelder | |
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