Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Falsches Verständnis
> Friedrich Merz nimmt zur Rolle seines Ahnen Stellung – und übernimmt
> dessen Schutzbehauptungen
AUS BERLIN CHRISTIAN SEMLER
Die Erklärung, mit der Friedrich Merz am 21. Januar an die Öffentlichkeit
getreten ist, ist bemerkenswert. Soweit es sich aus den Belegen erschließen
lässt, die Merz anführt, legte der CDU-Politiker seiner Erklärung dieselben
Akten zugrunde, wie sie die taz am Mittwochvormittag vom Hauptstaatsarchiv
Düsseldorf ausgehändigt bekam. In einer Flucht nach vorn gesteht Merz den
Beitritt seines Großvaters zur Reserve der SA im Juli 1933 ebenso zu wie
die Parteimitgliedschaft Josef Paul Sauvignys ab dem Jahr 1938. Der Fall
Merz besteht in der Argumentation, mit der der CDU-Politiker heute
rechtfertigt, wie sich sein Großvater damals rechtfertigte. Der
Unionsfraktionsvize übernimmt die Schutzbehauptungen Sauvignys in dessen
Entnazifizierungsverfahren von 1947 unkritisch. Und er interpretiert
Sauvignys politische Motive in genau der gleichen Weise, wie sein Großvater
das tat.
Merz gesteht zu, dass er die in der taz abgedruckten Auszüge der Rede
Sauvignys zum 1. Mai 1933 „aus heutiger Sicht“ nicht billige. Die Frage ist
jedoch, ob Merz mit seinen apologetischen Erklärungen für das Handeln
seines Großvaters nicht an einem politischen Klima mitwirkt, das
Opportunismus und Anpassertum an den Nazismus als Tugend preist und damit
der politischen Kultur unseres Landes schadet. Im Kern argumentiert Merz:
Mein Großvater war und blieb Antinazi, aber politisch konnte er leider
nicht anders.
Worin besteht diese Apologie? Zunächst in der Behauptung, sein Großvater
habe sich 1933 geweigert, der NSDAP beizutreten, und stattdessen mit der
kleinstmöglichen Konzession an das neue Regime die Mitgliedschaft in der
SA-Reserve gewählt. Daran wäre die Frage anzuschließen, warum er dann 1938
in die Partei eingetreten ist. Merz behauptet, hier läge eine Übernahme
ohne Antrag und Prüfung vor, quasi ein Pauschalverfahren. Diese
Argumentation ist mehr als unwahrscheinlich. Pauschalübernahmen scheint es
da und dort gegeben zu haben, obwohl dies unter Historikern strittig ist.
Aber sie beziehen sich auf die Kriegszeit und auch da war es so, dass
beispielsweise HJler eines Jahrgangs einen individuellen Antrag ausfüllen
mussten. Der Historiker Norbert Frei sagte hierzu gestern zur taz, dass
solche pauschalisierenden Verfahren dann eher wahrscheinlich waren, wenn
durch den Krieg die bürokratischen Prozeduren der NS-Partei nicht
durchhaltbar waren. Dies war 1938, ein Jahr vor Kriegsbeginn, kaum der
Fall. Der Historiker Michael Budruss, der sich jüngst gutachtlich mit der
Frage von Pauschalübernahmen in die NSDAP beschäftigt hat, erklärte
gegenüber der taz, er halte es für gänzlich unwahrscheinlich, dass solche
pauschalisierenden Verfahren angewendet wurden. Auf alle Fälle hätte der
Antrag ausgefüllt und unterschrieben werden müssen. Eine kenntnislose
Übernahme in die NSDAP scheidet nach Budruss aus.
Warum ist dann Sauvigny 1938 der NSDAP beigetreten? Das Datum weist auf die
Aufhebung der Sperre für Neuaufnahmen hin, die von 1933 bis 1937 galt. Nach
diesem Stichtag traten zweieinhalb Millionen Menschen der Partei neu bei.
Die Aufnahmesperre wurde zwar nicht konsequent durchgehalten, sie galt aber
auf alle Fälle für Mitglieder der „Systemparteien“, wie Sauvignys früher…
Partei, des katholischen Zentrums. Dass Sauvigny nach seiner vorzeitigen
Ablösung als Bürgermeister eintrat, muss, wenn „automatische“ Übernahme
ausscheidet, andere Gründe gehabt haben, über die keine Erkenntnisse
vorliegen. Denkbar, dass die historisch nachgewiesene Eintrittswelle aus
den Reihen ehemaliger Zentrumsanhänger im Jahr 1938 auch ins Hochsauerland
übergeschwappt ist.
Merz behauptet, Sauvigny hätte als Amtsträger wenigstens einer
NS-Organisation beitreten müssen und hätte sich deshalb der SA-Reserve
angeschlossen, allerdings ohne dort jemals eine Funktion auszuüben.
Untersucht man die Politik der Nazis in den Hochburgen des Zentrums oder
der Nationalkonservativen, so wird klar, dass Honoratioren der
„Systemparteien“ dort im Amt belassen wurden, wo deren Milieus intakt waren
und die Nazis nicht über genügend Personal verfügten – sofern diese
Honoratioren im Gleichschritt marschierten. Das Hochsauerland war eine
solche konservative Hochburg und Sauvigny war entschlossen, mitzumachen.
Niemand zwang ihn dazu, der SA-Reserve beizutreten. Reserve klingt harmlos,
aber bis zum Röhmputsch 1934 war die gesamte SA die Speerspitze der
„nationalen Revolution“.
Merz verweist auf die vorzeitige erzwungene Pensionierung seines Großvaters
1937 und macht Gebrauch von den „Persilscheinen“, die dieser im Rahmen des
Entnazifizierungsverfahrens vorgelegt habe, um zu beweisen, dass er niemals
Nazi war. Aber diese Beweisführung liegt neben der Sache, denn es geht
nicht darum, dass Sauvigny überzeugter Nazi, sondern dass er deren
Steigbügelhalter und Helfershelfer war. Viele der Funktionsträger, die,
ohne 1933 Mitglied der NSDAP zu sein, den Nazis nach der „Machtübernahme“
gute Dienste taten, wurden gefeuert, als sich die nazistische Macht
landesweit konsolidiert hatte. Es ging um die Futtertröge – die „Kämpfer�…
die 1933 leer ausgegangen waren, mussten versorgt werden. Der Schwarze
Sauvigny hatte seine Schuldigkeit getan, der Schwarze konnte gehen.
Hatte Sauvigny eine Alternative? Die Familie hatte fünf Kinder, die
versorgt werden mussten. Aber Sauvigny war zugelassener Anwalt. Konnte er,
der angebliche Nazifeind, aus der Partei ohne schwerwiegende Folgen
austreten? Da solche Fälle äußerst selten waren, ist das historische Urteil
schwierig. Es gab Politiker, die den Nazis nur eine kurze Lebenszeit gaben
und zu überwintern hofften. Es gab auch solche, und zu ihnen zählte
offenbar Sauvigny, die glaubten, die Nazis im konservativen Sinn lenken zu
können. Mit den Jahren wurden beide Illusionen offenkundig und die
Politiker der bürgerlichen „Systemparteien“ mussten sich entscheiden. Der
Historiker Norbert Frei meint, dass berufliche Nachteile nicht
ausgeschlossen waren. Strafrechtliche Konsequenzen, von denen Sauvigny im
Entnazifizierungsverfahren spricht, waren nicht zu befürchten und
standesrechtliche, wie die Streichung aus dem Anwaltsregister, ebenfalls
nicht. Merz hingegen suggeriert, die Lage seines Großvaters sei ausweglos
gewesen und der hätte das Beste daraus gemacht.
23 Jan 2004
## AUTOREN
CHRISTIAN SEMLER
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.