| # taz.de -- Es war einmal ein Sommerloch | |
| Taz-Historie | |
| > den Redaktionen. Das ist üblich so in den Sommerferien. Und doch war bei | |
| > der taz auch die Sache mit dem Sommerloch schon immer etwas anders. Hier | |
| > erinnert sich der Aushilfshausmeister | |
| von Helmut Höge | |
| Das „Sommerloch“ der Medien erklärt sich aus den Schulferien der Kinder von | |
| Redakteuren. Weil diese im Sommer verreisen, sind die Redaktionen personell | |
| ausgedünnt. Die wenigen Dagebliebenen müssten deswegen eigentlich mehr als | |
| sonst arbeiten, tun sie aber nicht. Sie machen sozusagen auf Arbeit Urlaub, | |
| indem sie sich zurücklehnen – und jeden Scheiß wegdrucken. Zur Freude der | |
| Autoren, deren Manuskripte plötzlich keine lange Liegezeit mehr haben. | |
| Als die taz bis in die achtziger Jahre noch täglich die Kacke des Seins | |
| umgraben wollte, versuchte sie etwas gegen dieses gefürchtete Sommerloch zu | |
| unternehmen – und gründete das „taz-Sommerloch-Team“ (TST). Die fünfkö… | |
| Mannschaft, hinzu kam noch ein „Hämewart“ (Edda Urban), nahm auf dem | |
| Dauercamper-Areal des Zeltplatzes Niedermoos Quartier und berichtete | |
| täglich über das aktuelle Geschehen dort an einem oberhessischen See. Die | |
| Redaktion war’s zufrieden. | |
| Als der Sommer zu Ende ging und sich das Personalloch langsam wieder | |
| füllte, bedeutete man den Frontschweinen im Vogelsberg, ihre | |
| Kolumnentätigkeit langsam einzustellen. Das taz-Sommerloch-Team hatte aber | |
| Blut geleckt (öffentliche Aufmerksamkeit, viele Leserbriefe, heftige | |
| Kontroversen) und wollte nicht mehr aufhören. „Was nun?“ (Trotzki), also: | |
| „Was tun?“ (Lenin) | |
| ## Käsesensibilisiert | |
| In seiner Verzweiflung besuchte das TS-Team erst einmal die „ | |
| ‚Strolch‘-Woche“ in der Kreisstadt Lauterbach (der „Strolch“ ist ein | |
| Weichkäse aus der Region). Das TS-Team nutzte die Exkursion zu einem | |
| Einkauf bei Aldi. | |
| Käsesensibilisiert, wie wir inzwischen waren, entdeckten wir dort einen | |
| Aldi-Käse, dem man eine „Benno-Martiny-Medaille“ in Bronze für guten Käse | |
| verliehen hatte (Martiny hatte einst die Milchprüfung revolutioniert). Die | |
| Medaille prangte auf der Verpackung. Wir kauften den Käse, schnitten die | |
| Medaille aus und machten daraus eine „Benno-Martiny-Medaille in Bronze für | |
| sauberen Journalismus“. Diese klebten wir auf das Manuskript für die | |
| nächste Kolumne. | |
| Sie handelte davon, dass man uns, dem taz-Sommerloch-Team im Rahmen der | |
| Lauterbacher „Strolch“-Woche diese Medaille verliehen hatte. Nachdem wir | |
| die Seiten in die Redaktion gebeamt hatten, kam prompt ein „Glückwunsch!“ | |
| aus der Berliner Zentrale zurück, verbunden wenig später mit einer | |
| Verlängerung der TST-Berichterstattung – allerdings nun nicht mehr täglich, | |
| sondern wöchentlich. Das war uns aber auch fast recht. | |
| Da inzwischen der übliche Vogelsberger Dauerregen eingesetzt hatte, | |
| verließen wir jedoch den Zeltplatz, verabschiedeten uns von der | |
| Backwarenverkäuferin Irmtraut, unserer wichtigsten Informantin neben dem | |
| Platzwart Schinske, und verzogen uns in die mittelhessische | |
| Einkaufsmetropole Gießen. Dort besaß der Nachtportier Dr. Scherer eine | |
| Erdgeschosswohnung mit einer skobalitüberdachten Veranda, wo wir dann | |
| regelmäßig unsere Texte formulierten. An 160 Zeilen saßen wir sechs Stunden | |
| – bei Bier und Haschisch. Darüber wurde es Winter. | |
| Und nun ließ man die Kolumne wirklich auslaufen. Aber im darauffolgenden | |
| Frühjahr war das „taz-Sommerloch-Team“ wieder da: Wir besuchten im Auftrag | |
| der Kulturredaktion die „graue Stadt am Meer“ Husum – auf den Spuren | |
| Theodor Storms, den wir aber nicht ganz ernst nahmen, und wenig später | |
| fuhren wir auch noch, auf eigene Rechnung quasi, nach Helgoland – auf den | |
| Spuren eines ausgefallenen Tote-Hosen-Konzerts, woraus dann ein | |
| einfühlsames Inselporträt für die taz wurde. | |
| Von einem der Bademeister hatten wir erfahren: Über 200 „Rache für | |
| Sylt“-Punks und fast ebenso viele „Wackersdorfer Tote-Hosen-Fans“ hätten | |
| auf dem Festland Konzertkarten gekauft, da aber keine Übernachtungen von | |
| ihnen auf der Insel gebucht worden seien, befürchte man im Rathaus, dass | |
| diese Chaotentruppe wild auf der Insel zu kampieren gedenke, wobei es, wohl | |
| auch wegen des hier billig zu kaufenden Alkohols, dann erwartungsgemäß zu | |
| Ausschreitungen in der Nacht kommen würde, was ja im Übrigen bereits die | |
| Tote-HosenTourneeankündigung „Ficken/Bumsen/Blasen“ – evoziere, dies | |
| Letztere deutete der Bademeister aber nur an, wobei er sich verlegen unter | |
| seinem Bademantel am Bauch kratzte. | |
| Kurz und gut: Die Toten Hosen samt ihren Fans hätten Inselverbot. Zur | |
| Sicherheit stünde auf dem Festland noch eine Hundertschaft Polizisten mit | |
| Hubschraubern bereit. Ob dies rechtlich äußerst bedenklich sei, wisse er, | |
| der bloß saisonal Bademeister hier auf der Insel wäre, allerdings nicht. | |
| All das schrieben wir auf. Es hätte ewig so weitergehen können mit dem TST, | |
| aber dann zogen zwei nach Bremerhaven, einer wurde Lateinlehrer und zwei | |
| weitere zerstritten sich. | |
| Zuletzt, bereits nach der Wende, schickte mich die taz allein als | |
| „taz-Sommerloch-Team“ auf Reisen: Ich sollte täglich von wichtigen | |
| Urlaubsorten berichten: Ich fing in Emden an, machte einen Abstecher nach | |
| Borkum, fuhr an der Nordseeküste in Rich-tung Osten weiter, bis hoch nach | |
| St. Peter-Ording. Dann ging es an der Ostsee weiter, schließlich zu den | |
| ehemaligen DDR-Badeorten auf Rügen und Usedom, mit einem Abstecher nach | |
| Swinemünde. In Heringsdorf saßen mehrere mir bekannte Redakteurinnen in den | |
| Strandkörben. Im Strandcafé fragte mich eine schon immer dort ihren Urlaub | |
| verbringende Ostlerin, wie mir die Ostsee gefalle. Als Nordseegewohnter | |
| sagte ich: „Die Wellen sind ein bisschen klein!“ Woraufhin sie säuerlich | |
| meinte: „Typisch Wessi. Die Wellen sind ihm nicht groß genug!“ | |
| Ich fuhr von dort aus die Oder hoch in die wegen der Oderflut von | |
| Katastrophentouristen heimgesuchten Orte. Im Hotel meinte die | |
| Rezeptionistin: „Sie kommen zu spät, bis gestern war hier noch schwer was | |
| los. Alle waren da: ARD, Sat1, ZDF, Arte, Pro Sieben.“ Und weiter ging es | |
| die Neiße entlang nach Görlitz, das damals gerade von reichen alten | |
| Westsäcken mit Kamelhaarpinseln renoviert wurde. Zuletzt nahm ich auch noch | |
| das Klassiker-Dreieck Weimar, Jena, Apolda mit. Und dann war ich auch froh, | |
| dass die Tortour endlich zu Ende war. | |
| ## Du hast noch Schulden | |
| Weil ich nirgends ein Hotelzimmer vorbestellen konnte, hatte ich insgesamt | |
| 8.000 DM ausgegeben, aber von der taz bekam ich einschließlich Honorar nur | |
| 4.000 DM wieder. Und so kam es, dass mir im Lohnbüro ständig gesagt wurde: | |
| „Du hast noch Schulden.“ „Was soll ich machen?“ „Mehr Artikel schreib… | |
| wurde mir geantwortet. „Aber das nützt doch nichts“, erwiderte ich, „dann | |
| liegen meine Texte nur noch länger in den Redaktionen rum.“ Das wurde mit | |
| einem wissenden Kopfnicken zur Kenntnis genommen – bis wieder ein neuer | |
| Sommer kam: Ich sollte den Hausmeister vertreten, der Kinder hatte und im | |
| Sommer mit ihnen Urlaub machte. | |
| Und so wurde ich Aushilfshausmeister, was mir anfangs mit einer Kolumne | |
| versüßt wurde: Wöchentlich berichtete ich fortan als Sommerloch-Hausmeister | |
| aus dem Inneren der halbleeren taz-Zentrale, wobei meine eigentliche | |
| Tätigkeit darin bestand, alle nasenlang neue Ventilatoren für die | |
| überhitzten Redaktionsräume zu besorgen, was nicht leicht war, weil alle | |
| Firmen ihre Ventilatoren längst verkauft hatten, und die Hersteller mit dem | |
| Liefern nicht nachkamen. | |
| Es war ein heißer Sommer, inhaltlich ging es in der taz jedoch eher lauwarm | |
| zu. Ich selbst war zudem nicht geneigt die einen oder anderen scharfen | |
| Interna zu veröffentlichen, weil die Journalisten in der Hinsicht keinen | |
| Spaß verstehen und mich das als Autor „verbrannt“ hätte. Deswegen | |
| beschränkte ich mich auf das Hauswesen im engeren – fast | |
| strukturrealistischen – Sinne, was zur Folge hatte, dass man meine Kolumne | |
| schon bald für 50 DM (später 50 Euro) monatlich herzlos in die neuen | |
| „taz-Blogs“ abschob – unter der großsprecherischen Überschrift „Hier | |
| spricht der Aushilfshausmeister“. Dadurch bekam die Kolumne jedoch nicht | |
| mehr Biss als zuvor im Holzmedium. Außerdem bekam ich mit den | |
| Blog-Eintragungen nun laufend Ärger von außen. Zum Beispiel von der | |
| Hochschule für Technik und Wirtschaft, wo man angefangen hatte, ein | |
| Hausmeister-Studium anzubieten – „Facility Mangement“ dort vornehm genann… | |
| über das ich mich natürlich lustig machte. Immerhin war ich mit dem Blog | |
| nicht mehr auf die Sommerlochzeit beschränkt. Aber taz-Sommerlochfüller bin | |
| ich immer noch. | |
| 12 Aug 2016 | |
| ## AUTOREN | |
| Helmut Höge | |
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