# taz.de -- „Es ging den Leuten ums Plündern“ | |
> GESCHICHTSSTUNDE II Nicht Linksradikale legten Feuer bei Bolle, sondern | |
> ein unpolitischer Pyromane namens Armin S. zündelte. Die taz hat ihn | |
> besucht | |
von Plutonia Plarre | |
Schmal und zerbrechlich sieht er aus, als er die Wohnungstür öffnet. Aus | |
seinen Haaren, die früher blond waren, ist die Farbe gewichen, ansonsten | |
ist er kaum gealtert. Durch die Brille, die kaschiert, dass er auf dem | |
linken Auge blind ist, mustert er die Besucherin. Die Visite war nicht | |
angekündigt. Aber Armin S. wirkt kein bisschen überrascht. Allzu | |
gegenwärtig ist das Datum. 30 Jahre ist es her, dass der Bolle-Supermarkt | |
in Kreuzberg in Flammen aufging. | |
Die Plünderung und der Brand des Geschäfts sind zum Sinnbild für die | |
Revolte am 1. Mai 1987 geworden. Jahrelang hatte sich die Legende gehalten, | |
Autonome hätten den Laden bei den Straßenkämpfen in Schutt und Asche | |
gelegt. In Wirklichkeit war es das Werk eines unpolitischen Pyromanen: | |
Armin S. | |
Der Mann, der als einzigartiger Feuerteufel in die Geschichte eingegangen | |
ist, ist heute 57 Jahre alt. Mehr als 700 Brände hat er zwischen 1977 und | |
1990 in halb Europa gelegt. In Süddeutschland und Berlin, wo drei Menschen | |
durch ihn zu Tode gekommen sind, war er besonders aktiv. Die Polizei wäre | |
S. möglicherweise nie auf die Spur gekommen, hätte der gelernte Tischler | |
seine Festnahme nicht provoziert. | |
Manchmal habe er in Selbstmordabsicht bis zu den Knien in den Flammen | |
gestanden, sagte S. dazu später. „Ich brauchte Hilfe.“ Im Sommer 1990 | |
zündete er nahe des alten Kontrollpunkts Dreilinden einen BVG-Unterstand an | |
und wartete auf die Polizei. | |
Bei der Kripo legte er eine Lebensbeichte ab. Der Prozess vor dem | |
Landgericht endete damit, dass ihn die Richter für schuldunfähig erklärten | |
und in den Maßregelvollzug einwiesen. Pyromanie aufgrund einer chronischen | |
Verhaltensstörung, so die psychiatrische Diagnose. Unterbringungen im | |
Maßregelvollzug sind nicht befristet. Nur wenn Gutachter und Gericht zu der | |
Auffassung kommen, von dem Patienten gehe keine Gefahr mehr aus, gibt es | |
Schritt für Schritt Vollzugslockerungen. | |
Bereitwillig lässt Armin S. die Reporterin herein. Wo er in Berlin wohnt, | |
bittet er nicht zu schreiben. Es ist das dritte Mal, dass man sich trifft. | |
Die erste Begegnung war 1997. Damals befand sich S. noch hinter den Mauern | |
der forensischen Psychiatrie in Wittenau. 2007 gab er der taz erneut ein | |
Interview. Da durfte er den Maßregelvollzug bereits tagsüber verlassen. Er | |
hatte eine kleine Wohnung und Arbeit in einer Druckerei. Aber jeden Abend | |
musste er wieder rein. | |
Nun, weitere zehn Jahre später, ist Armin S. frei. Ende 2015 wurde er | |
entlassen. Bis 2020 steht er unter Bewährung und Führungsaufsicht. Dazu | |
gehört auch, dass die Polizei sofort bei ihm aufkreuzt, wenn es in der Nähe | |
brennt. | |
Ein sexueller Kick beim Anblick der Flammen und ein Hass auf seine Familie | |
hätten ihn zu den Taten getrieben, hatte S. früher erzählt. Mit 17 hatte | |
der als achtes von neun Kindern in Baden-Württemberg Geborene begonnen, | |
Brände zu legen. Seine Kindheit beschrieb er als Hölle. Der Vater, ein | |
stets betrunkener Maurer, habe die Familie tyrannisiert. Die Mutter | |
schleppte, wenn der Alte nicht da war, ständig neue Liebhaber ins Haus. | |
Er sei viereinhalb Jahre alt gewesen, als ihm der betrunkene Vater eine | |
zerbrochene Bierflasche ins Auge gestoßen habe, erzählte S. Das Jugendamt | |
nahm die Kinder aus der Familie und steckte sie ins Heim. | |
In einer Scheune bei Augsburg legte S. das erste Mal Feuer. Da war er | |
Lehrling. Als die Flammen hoch schlugen, spürte er, dass ihn das erregte. | |
Der Hühnerstall der Oma, Boote, Bauernhöfe, Häuser – überall, wo er sich | |
als Gelegenheitsarbeiter verdingte, zündelte er. In einer Kneipe wartete er | |
auf die Sirene der Feuerwehr und mischte sich unter die Schaulustigen. | |
1980 zog S. nach Berlin. Zunächst geschah nichts, weil er zu Hause mit | |
Brandbeschleunigern herum experimentierte. Dann legte er in der Großstadt | |
los – schlimmer denn je. Im historischen Blockhaus Nikolskoe, das 1984 | |
abbrannte, starb ein Angestellter. Bei einem Feuer in der Reichenberger | |
Straße 153 kamen 1988 ein Paar und drei Katzen um. Er steckte Tankstellen | |
an, das Reetdach des U-Bahnhofs Dahlem Dorf ging auf sein Konto, selbst bei | |
der Feuerwehr Neukölln legte er Feuer. | |
Besonders oft schritt er in Kreuzberg zur Tat – und segelte immer wieder | |
auf politischem Ticket mit. So legte er am 28. Mai 1987 im Bilka-Kaufhaus | |
am Kottbusser Damm Feuer. Wie beim Bolle-Brand wurden Linke hinter der Tat | |
vermutet und ein Zusammenhang mit dem Selbstmord von Norbert Kubat gesehen. | |
Der 29-jährige Kreuzberger hatte sich zwei Tage zuvor in U-Haft erhängt, | |
nachdem er bei der Randale am 1. Mai festgenommen worden war. Allerdings | |
machte der professionelle Molotowcocktail die Ermittler stutzig. Er passte | |
so gar nicht zu den Autonomen. „Das war nicht so ein Einfacher mit Lappen | |
und Diesel in der Flasche“, so damals ein Brandexperte. | |
Ende 1987 verübte S. einen Brandanschlag auf einen Kita-Neubau auf dem | |
Gelände des besetzten Kinderbauernhofs an der Aldalbertstraße. Wieder kamen | |
Linksradikale in Verdacht. „Der revolutionäre Kampf wird immer absurder“, | |
konstatierte die Kreuzberger SPD seinerzeit. | |
Viel später erzählte S. der taz, er sei kein politischer Mensch. Rein | |
zufällig sei er am 1. Mai 1987 am Görlitzer Bahnhof in die Randale geraten. | |
Nachdem Bolle geplündert war, hätten Leute vom schwarzen Block | |
Molotowcocktails in den Laden geschmissen. „Ich habe mir gedacht, so | |
funktioniert das nicht. Denen werde ich zeigen, wie man das macht.“ Er habe | |
die Flaschen aus seinem Rucksack geholt und gerufen: „Vorsicht, das brennt | |
gleich ohne Lunte.“ | |
Das Gerede von der sozialen Revolte halte er für einen Mythos. „Nach allem, | |
was ich mitbekommen habe, ging es den Leuten nur ums Plündern und | |
Bullenjagen.“ Selbst vor kleinen Läden sei nicht halt gemacht worden. Am | |
Ende hätten sich die Leute die geklauten Sachen gegenseitig abgenommen. | |
Die dritte Begegnung mit Armin S. einige Tage vor dem 1. Mai 2017 dauert | |
nur kurz. Er sei froh, alles hinter sich zu haben. Mehr möchte er dazu | |
nicht mehr sagen. | |
29 Apr 2017 | |
## AUTOREN | |
Plutonia Plarre | |
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