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# taz.de -- Entscheidung: Warum ich Donezk verließ
> Die ukrainische Journalistin und taz Panter Workshop-Teilnehmerin Olena
> Povoliaieva zog mit ihrer Familie nach Moskau - aus Angst vor den
> Separatisten.
ENTSCHEIDUNG Die russischsprachige Ukrainerin Olena Povoliaieva zog mit
ihrer Familie nach Moskau - aus Angst vor den Separatisten.
AUS MOSKAU OLENA POVOLIAIEVA
Wenn ich morgens aufwache, wundere ich mich immer noch, warum ich aus dem
Fenster keine Apfelblüten sehe, sondern 20-stöckige Hochhäuser. In Donezk
gibt es solche Häuser nicht - ich bin in Moskau.
Mein Sohn war noch keine zwei Monate alt, als wir unsere Heimat verließen.
Viele unserer Freunde hatten damals ihre Familien schon nach Kiew in
Sicherheit gebracht. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass
ukrainische Bürger sich gegenseitig bekämpfen könnten.
Die Situation in Donezk wird angeheizt von 10.000 bis 15.000 bezahlten
Separatisten, denen Russland Waffen stellt. Sie entscheiden in der Region
Donezk über das Schicksal von Millionen. Die gesamte Region steht unter dem
Einfluss ihres Terrors. Sie plündern Autoläden, Wechselstuben,
Geldautomaten, Banken und Geschäfte. Sie nehmen Geiseln, foltern und töten
Menschen, die proukrainisch eingestellt sind.
Es sind vor allem die Arbeitslosen, die von Russland und den ukrainischen
Oligarchen instrumentalisiert werden. Nach der Flucht von Expräsident
Wiktor Janukowitsch fürchtete die regionale Elite, dass auch sie ihren
Reichtum verlieren könnte, den sie sich mit unehrlicher Arbeit verdient
hatte. Sie entschloss sich also, etwas gegen die Kiewer Regierung zu tun.
Die Separatisten erhalten ihr Geld aus dem "Familien"-Fonds von
Janukowitsch und seiner Verwandtschaft sowie aus den Taschen
einflussreicher Vertreter der Partei der Region.
Wir entschieden uns, Donezk zu verlassen, als in unserer Straße die ersten
Separatisten auftauchten. Sie fluchten und schrien vor unserem Fenster:
"Ruuussland! Russland!" Zu diesem Zeitpunkt hatte man die ukrainischen
Fernsehkanäle bereits abgeschaltet. "Wenn sie auch noch das Internet
abschalten, kann ich kein Geld mehr verdienen", sagte mein Mann, der als
Programmierer arbeitet.
Es fällt mir schwer, diese Leute zu verstehen. Ich wuchs in der
unabhängigen Ukraine auf und habe dieses Land immer geliebt. Vor meiner
Schwangerschaft arbeitete ich im ukrainischen Büro von Radio Free
Europe/Radio Liberty und produzierte Reportagen in ukrainischer Sprache. In
dieser Zeit bekam ich manchmal Drohungen, sowohl mündliche als auch
schriftliche. Trotzdem maß ich dem Ganzen nie eine besondere Bedeutung bei.
Mittlerweile gibt es in der Volksrepublik Donezk zwei neue Minister, die
mich für meine proukrainische Einstellung verachten. Wir kennen uns
persönlich. Weil ich weiß, was die Separatisten alles mit Journalisten
anstellen, möchte ich nicht nach Donezk zurückkehren.
Wir verließen Donezk am 7. Mai. Unsere Nachbarn erzählten später, dass es
am 9. Mai, dem Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland, eine Schießerei
in unserer Straße gegeben hat. Einen halben Kilometer von unserem Haus
entfernt liegt eine von Terroristen besetzte Militärbasis.
Ohne Visum nach Russland
Natürlich möchte ich zurück. Eltern, Verwandte und Freunde sind dort, unser
Haus steht in Donezk. Eine russische Nachrichtenagentur berichtete
kürzlich, dass es in Donezk eine Demonstration gegen Faschisten gegeben
hätte, bei der die Teilnehmer von Rechtsextremisten angegriffen worden
waren. Freunde waren dort. Was in Russland als Demo gegen Faschisten
bezeichnet wurde, war in Wirklichkeit ein Protest für eine vereinte
Ukraine. Nicht Faschisten, sondern prorussische Separatisten griffen die
Demonstranten an.
Ich bin eine russischsprachige Ukrainerin. In Donezk wurde ich deswegen nie
bedroht. Es sind stattdessen die ukrainischsprachigen Menschen, die hier
immer misstrauisch begutachtet wurden. Trotzdem gab es in den letzten
Jahren zwischen Russen und Ukrainern keine ernsthaften Konflikte.
Warum haben mein Mann und ich uns trotzdem entschieden, nach Russland zu
gehen? Wir können ohne Visum nach Russland einreisen und problemlos 90 Tage
am Stück hier bleiben. Wenn es für Europa die gleichen Visa-Bestimmungen
geben würde, dann wären wir jetzt in Paris oder Berlin. Der zweite Punkt
ist, dass mein Mann Informatiker ist und ein Großteil seiner Kunden in
Moskau sitzt. Jetzt warten wir ab, was nach den Wahlen am 25. Mai geschehen
wird. An diesem Tag soll es gefährlich werden in Donezk.
Man hätte alles im Keim ersticken müssen. Man hätte die Armee
einmarschieren lassen und keine Angst vor Putin zeigen sollen. Eine
Atombombe hätte er auf seine Nachbarn sicherlich nicht abgeworfen. Für
alles andere hätte er Zeit benötigt. Wertvolle Zeit, die die Ukrainer
hätten nutzen können, das Land von Separatisten und ausländischen Agenten
zu säubern. Ich möchte zurück nach Donezk - aber ein komisches Gefühl sagt
mir, das wird nicht mehr möglich sein.
Olena Povoliaieva, 27, arbeitete in Donezk als Journalistin für den
oppositionellen Radiosender Radio Svoboda, der nichts mit der rechten
ukrainischen Partei gleichen Namens zu tun hat. Sie war im Mai 2013
Teilnehmerin eines Workshops der taz Panter Stiftung.
21 May 2014
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