# taz.de -- Entscheidung zu Gentests an Embryonen: Medizinisch mündige Menschen | |
> Darf Menschen medizinisch mögliches Wissen vorenthalten werden? Der | |
> Bundestag meint: nein - und stimmt mehrheitlich zugunsten einer | |
> eingeschränkten PID-Erlaubnis. | |
Bild: Humangenetisches Material in einem Münchner Labor. | |
BERLIN taz | Matthias Bloechle erschien pünktlich um neun Uhr im Bundestag, | |
Besuchertribüne, dritte Reihe, Mitte. Der Mann, der als erster Arzt in | |
Deutschland die bis dahin für verboten gehaltene Präimplantationsdiagnostik | |
(PID) angewendet hatte, der Gynäkologe, der auf diese Weise einer Patientin | |
zu einem Kind ohne schwere genetische Erbkrankheit verholfen hatte und mit | |
seiner anschließenden Selbstanzeige erst den Bundesgerichtshof und nun das | |
Parlament mit der hoch emotionalen Debatte beschäftigte, ob die PID ethisch | |
vertretbar und gesetzlich in Ausnahmefällen zulässig sei - dieser Mann gab | |
sich gelassen: "Abwarten", sagte er bloß. | |
Es könne nicht sein, dass der Gesetzgeber mündigen Menschen medizinisches | |
Wissen vorenthalte, Wissen, das einzig dazu diene, menschliches Leid in | |
einem sehr frühen Stadium zu entdecken und andernfalls drohende Fehl- oder | |
Totgeburten zu vermeiden, so hatten Matthias Bloechle und zuletzt auch | |
seine Kollegen von der Bundesärztekammer stets argumentiert. | |
Doch im Bundestag war es in den ersten Stunden dieses langen | |
Donnerstagvormittags alles andere als klar, dass das Parlament dieser | |
Argumentation folgen und schlussendlich um 13.32 Uhr tatsächlich | |
mehrheitlich einen entsprechenden Gesetzentwurf um die Abgeordneten Ulrike | |
Flach (FDP), Carola Reimann (SPD) und Peter Hintze (CDU) verabschieden | |
würde. | |
## "Menschenwürde herrscht von Anfang an" | |
Fraktionsübergreifend fuhren die Abgeordneten, die die gentechnische | |
Untersuchung von Embryonen aus dem Reagenzglas strikt ablehnen, zuvor noch | |
einmal schweres moralisches Geschütz auf. "Die Auslese würde zur | |
gesellschaftlichen Norm", erklärte beispielsweise Harald Terpe von den | |
Grünen. Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnte gar vor | |
einem "fundamentalen Paradigmenwechsel, wenn wir die Qualitätsüberprüfung | |
menschlichen Lebens ermöglichen". Dem Saal rief Thierse, sichtlich erregt, | |
zu: "Menschenwürde herrscht von Anfang an." | |
Der Linken-Abgeordnete Ilja Seifert, seit einem Badeunfall gelähmt, | |
erinnerte daran, dass es um nichts Geringeres als "das Bild des Menschen" | |
gehe, das hier zur politischen Verhandlung stehe. "Der medizinische | |
Fortschritt ist geneigt, Illusionen zu nähren auf ewige Gesundheit, ewige | |
Schönheit, ewiges Leben", kritisierte Seifert. Als dann noch die | |
gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Birgitt Bender, sich zu der | |
Bemerkung verstieg, "das Hilfsversprechen der PID ist der Wunschtraum von | |
Technokraten", da wurde sogar Matthias Bloechle auf seiner Besuchertribüne | |
ein wenig nervös. "Obermufti", murmelte er. Doch Bender ging noch weiter. | |
Dem PID-Befürworter und CDU-Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze, der | |
zuvor in einer ebenso bewegenden wie nachdenklichen Rede die PID mit den | |
Worten verteidigt hatte, "Zivilisation bedeutet die Emanzipation von der | |
Natur", hielt Bender vor: "Die Emanzipation von der Natur ist ein alter | |
sozialistischer Wunschtraum" - und man müsse sich doch sehr wundern, dass | |
nun selbst Teile der Union Hoffnung daran knüpften. | |
Es war die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), der es als | |
letzte Rednerin der knapp vierstündigen Debatte gelang, die bis dahin | |
völlig offene Entscheidung zugunsten einer eingeschränkten PID-Erlaubnis zu | |
wenden. | |
## "Ich habe verzweifelte Frauen erlebt" | |
"Ich", hob von der Leyen an in ihrer unverkennbaren Art, auch politische | |
Mehrheitsbeschlüsse stets als ihre ureigenen, persönlichen Erfolge | |
darzustellen, "ich habe als junge Ärztin in der Gynäkologie angefangen, ich | |
habe verzweifelte Frauen erlebt und resignierte Paare." Paare, die Kinder | |
aufgrund schwerer Gendefekte noch im Mutterleib verloren oder nach wenigen | |
Lebensjahren qualvoll sterben sehen hätten. Und denen das Parlament nun mit | |
einem Gesetz zumindest ein bisschen helfen könne, einem Gesetz, das | |
Untersuchungen zur Vermeidung solcher Schicksale im Ausnahmefall erlaube - | |
die Garantie auf ein gesundes Kind selbstredend nicht inklusive. "Was ist | |
absolut richtig, was ist absolut falsch", fragte von der Leyen die | |
Abgeordneten. Um dann rhetorisch noch eins draufzusetzen und viele der bis | |
dahin noch Unentschlossenen im Saal auf ihre Seite zu ziehen: "Die Wucht | |
des Schicksals rund um Schwangerschaft und Geburt haben mich in dieser | |
Frage sehr still werden lassen." | |
Als dann um 13.32 Uhr die Stimmen aus drei Wahlgängen ausgezählt waren, als | |
klar war, dass 326 Abgeordnete und damit eine deutliche Mehrheit des | |
Parlaments für die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen votiert | |
hatten, da lächelte der Mann, der die Debatte angestoßen hatte, freundlich | |
von der Besuchertribüne herunter: "Ich kann damit gut leben", sagte | |
Matthias Bloechle. | |
7 Jul 2011 | |
## AUTOREN | |
Heike Haarhoff | |
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